Der Österreichische Turnerbund veranstaltet ein bundesweites Turntreffen für Kinder und Jugendliche. Festredner ist Niederösterreichs FPÖ-Chef Landbauer. Eines der „Pflichtlieder“: Störende Menschen „schiabt mas in‘ Ofen nein und heizt ein“!
Das Lied trägt den Titel „Nein, nein, nein, aber Nein“. In der ersten Strophe ist es eine Klage, dass Menschen nicht immer lustig sein könnten. Doch in der zweiten Strophe wird es dann zum „Ja, ja, ja, aber ja!“ Was mit dem „Ja“ gemeint ist? Da wird gesungen, was mit Menschen geschieht, die nicht „lustig“ genug sind: „Wann die Leit grantig sein, schiabt mas in‘ Ofen nein und heizt ein!“
Menschen in Öfen schieben und dann verbrennen. Das ist der Text eines sogenannten „Pflichtlieds“ bei einer bundesweiten Turnveranstaltung für Kinder und Jugendliche im Juli 2024.
Veranstalter dieses „Bundesjugendturnfests“ in Mödling bei Wien ist der einschlägig bekannte Österreichische Turnerbund (ÖTB). Auch Burschenschafter und mindestens ein bekannter Kader der neofaschistischen Gruppe Identitäre sind beim ÖTB involviert.
Zehntausende Mitglieder in ganz Österreich
Nach außen wirkt der Österreichische Turnerbund wie eine harmlose Sportorganisation. Die zahlreichen ÖTB-Turnvereine in vielen Gemeinden Österreichs wirken meist unverdächtig und gehören quasi zum Stadtbild. Oft verweisen sie auf ihren eigenen Homepages nicht einmal auf ihre Mitgliedschaft im ÖTB. Doch tatsächlich ist der ÖTB die sicherlich breitenwirksamste Vorfeldorganisation des deutschnationalen Lagers in Österreich.
Nach eigenen Angaben hat die Organisation mit Stand Juni 2023 bundesweit über 44.000 Mitglieder. Aufgenommen werden laut ÖTB Kinder ab sechs Jahren. Beworben wird das Event in Mödling dann etwa mit einem Wimpel mit der Aufschrift „Turnerjugend“ – in altbekannter Frakturschrift.
Attacke während der Berichterstattung
Angeblich sollen zwischen 11. und 14. Juli um die tausend Personen zum Turnfest gekommen sein. So zumindest wird es bei der Eröffnungsfeier am 11. Juli am Schrannenplatz verkündet, dem Hauptplatz von Mödling. Doch sagen wir es mal so: Tatsächlich ist der Schrannenplatz nicht wahnsinnig groß – und an diesem Tag nicht wahnsinnig voll.
Unter den Anwesenden ist auch ein junger Mann, der selbst filmt und mir gegen die Kamera schlägt. Ein Video der Attacke ist vorhanden, auch der Name des Mannes ist mir bekannt. Rechtliche Schritte sind in Planung.
In meinem Archiv finde ich dazu weitere Bilder: Nachdem die neofaschistische Gruppe Identitäre 2021 die Regenbogenparade in Wien gestört hatte, werden mehrere junge Männer von der Polizei festgehalten. Einer der Männer gleicht dem Angreifer von Mödling wie ein faules Ei dem anderen.
Kinder und alte German:innen
Doch die meisten Anwesenden sind Kinder und Jugendliche. Sie sind ideologisch noch besonders leicht beeinflussbar. Dank gibt es von der Bühne dann an den „gesamten Festausschuss“, unter anderem an „Hartwig“, „Herwig“ und „Edda“.
In der Leitung des ÖTB Wien sitzen übrigens gleichzeitig unter anderem Personen mit folgenden Vornamen: Edda, Dietmar, Gerwin, Ingrun und Gunhild. Odin hätte vermutlich seine Freude am ÖTB gehabt! Apropos German:innen: Als einer der Festredner tritt Niederösterreichs FPÖ-Chef Udo Landbauer auf – selbst langjähriger Burschenschafter bei der einschlägigen Wiener Neustädter Burschenschaft Germania.
Die Journalistin Nina Horaczek hatte 2018 veröffentlicht, dass im Germanen-Liederbuch die Textzeile „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“ zu finden war. Zur FPÖ hat der ÖTB überhaupt beste Verbindungen, doch dazu später noch mehr!
FPÖ-Landbauer lobt „den Gesang“ beim ÖTB
Landbauer ist inzwischen auch stellvertretender Landeshauptmann der ÖVP-FPÖ-Koalition in Niederösterreich, zuständig unter anderem für den Sport. In seiner Rede beklagt er dann die „Sperren in Zeiten des Corona-Regimes“. Die Menschen, die an COVID-19 schwer erkrankt oder verstorben sind, erwähnt Landbauer nicht.
Und der FPÖ-Chef lobt den ÖTB. Was den Verein „so auszeichnen“ würde: Dort stünden auch „der Gesang“ und „die Volkskultur im Mittelpunkt“.
Damit dürfe der ÖTB auch „nicht als x-beliebiger Verein bezeichnet“ werden, so Landbauer. Er sei stattdessen der „Bewahrer eines Kulturgutes“. Zur Erinnerung, welches „Kulturgut“ beim ÖTB als „Pflichtlied“ gesungen wird: „Wann die Leit grantig sein, schiabt mas in‘ Ofen nein und heizt ein!“
Das Land Niederösterreich unterstützt „finanziell großzügig“
Vorgestellt wird Landbauer von der Moderation mit lobenden Worten. Immerhin hätte das Land Niederösterreich die Veranstaltung „finanziell großzügig unterstützt“, heißt es. Dank kommt auch für die „großzügige Unterstützung“ durch die Stadt Mödling sowie verschiedene Sponsoren.
Auf meine Anfrage schreibt Patrick Pfaller, Sprecher der zuständigen Abteilung „Sportland Niederösterreich“: Der Antrag zur Förderung sei „geprüft worden“ und entspräche „den Förderrichtlinien des Landes Niederösterreich“. Auf meine Frage zum ÖTB-„Pflichtlied“, wo Menschen in Öfen geschoben werden sollen, geht Pfaller nicht ein.
Die Stadt Mödling will kein Problem sehen
Die ÖVP-regierte Stadtgemeinde Mödling reagiert auf meine Anfrage zuerst mit einer Rechtfertigung, die direkt vom ÖTB übernommen wird: „Das von Ihnen angesprochene Kinderlied findet sich nach Angaben des ÖTB Turnverein Mödling 1863 im Volksliedverzeichnis.“ Und zur Unterstützung der Veranstaltung gäbe es einen Gemeinderatsbeschluss.
Auf meine Nachfrage, wie die Stadt selbst zu „Pflichtliedern“ steht, wo Menschen in Öfen verbrannt werden, wird nicht mehr geantwortet. Für seine Veranstaltung kann der ÖTB übrigens nicht nur zahlreiche öffentliche Schulen nützen, sondern auch das Mödlinger Stadtbad sowie das Sportzentrum Mödling.
Währenddessen stehen überall in der Stadt Plakate mit Werbung für die ÖTB-Veranstaltung. Dabei wird vor allem das ländliche und damit angeblich ursprüngliche Österreich hervorgehoben, die ideologische Botschaft ist klar. So wird etwa ein öffentliches „Volkstanzfest“ während des Turnlagers beworben, dort sollen alle ÖTB-Teilnehmer:innen mit Tracht erscheinen.
Es würde „das größte volkstümliche Ereignis Österreich“ heißt es – was doch reichlich großspurig klingt. Auffällig ist dabei, wer sich dem Volkstanz beim ÖTB besonders verschrieben hat. Im Wiener ÖTB etwa gibt es dafür einen eigenen Ableger, den „Volkstanzkreis Schönbrunn“.
„Schriftwartin“ dieses Kreises ist Gudrun Eppich. Neben ihrer Tätigkeit für den ÖTB engagiert sie sich auch für die einschlägige „Sudetendeutsche Landsmannschaft in Österreich“. Ein weiteres Vorstandsmitglied ist Gerhild Mückstein – in der Vergangenheit hatte sie bei der Nationalratswahl für die rechtsoffene Truppe „Vereinte Grüne Österreichs“ kandidiert. Auch der Volkstanz ist also keineswegs so harmlos, wie er vordergründig scheinen mag.
Wo sind denn die gesprengten Ketten geblieben?
Apropos Symbolik: In Mödling wird auch eine österreichische Fahne samt Wappen gezeigt. Doch das Wappen wurde auffällig verändert: Der Adler trägt zwar die Mauerkrone als Symbol des Bürgertums auf dem Kopf. Doch im Original hat der Bundesvogel in den Klauen auch einen Hammer und eine Sichel – es sind die Symbole für Arbeiter:innen und Bäuer:innen im österreichischen Wappen. Die sind beim ÖTB einfach verschwunden.
Im Original-Wappen trägt der Adler in den Klauen dazu gesprengte Ketten. Die wurden dem Wappen nach 1945 hinzugefügt und stehen für die Befreiung vom NS-Regime. Auch die sind beim ÖTB nicht zu finden. Zufällig passiert so etwas nicht.
Militärische Aufmachung
Zwischen den Reden kommt bei der Eröffnungsfeier immer wieder Musik von einem „Spielmannszug“ des ÖTB. Diese Züge seien „militärischen Ursprungs“, wie es auf der Seite des ÖTB heißt, sie seien bis zu den Landsknechtsheeren zurückzuverfolgen. Ob das das richtige Milieu für Kinder und Jugendliche ist?
Dazu werden alle anwesenden ÖTB-Zweigstellen einzeln aufgerufen. Danach treten Kinder und Jugendliche mit den Vereinsfahnen vor die Menge und stellen sich in einer Reihe zu einer Fahnenparade auf. Viele von ihnen tragen Tracht. Hier wird das angeblich „ursprüngliche“ Deutsch-Österreich zelebriert.
Reine Erholung dürfte dagegen beim ÖTB ohnehin nicht so gern gesehen werden. So hat ein weiteres „Pflichtlied“ für die Kinder und Jugendlichen in Mödling den Text: „Wer nur den lieben langen Tag ohne Plag, ohne Arbeit vertändelt, wer das mag, der gehört nicht zu uns!“ Geschrieben wurde der Text übrigens in der Zeit des NS-Regimes im Jahr 1944. Wer da wohl mit „uns“ gemeint ist?
„Schützen Heil“
Gegen Schluss betritt dann auch noch Hartwig Kautz die Bühne, nach eigener Ansage „frischgebackener Bundesjugendwart“ des ÖTB. Eine Person mit demselben Namen wird auf der Seite des „Penzing-Hietzinger Turnvereins“ aus Wien als Teilnehmer eines Schießwettbewerbs angeführt. Dieser Kautz schießt für die deutschnationale Studentenverbindung „Wiener Akademischer Turnverein“ (WATV).
Das Schießen dürfte dabei traditionell die erste jährliche Großveranstaltung im Wiener ÖTB sein. Auch das erzählt bereits so einiges. Gegrüßt wird mit den Worten „Schützen Heil“. Der ÖTB insgesamt dagegen grüßt bis heute mit „Gut Heil“.
Auch Kautz will sich auf Landbauer beziehen – oder wie er sagt: „Dem Herrn ..… ahm ..… na ..… La ..… dem Herrn Landbauer“. In diesem Moment ist es ganz still am Platz. Dann erinnert Kautz noch an den „Turnvater Jahn“. Er meint damit Friedrich Ludwig Jahn – die deutschnationale Überfigur des ÖTB.
Das Hakenkreuz, der Antisemitismus und der ÖTB
Der sogenannte „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn gründet Anfang des 19. Jahrhunderts mit Gleichgesinnten einen Geheimbund, den „Deutschen Bund“. Das Ziel: Eine nationale Sammlung der Deutschen. Die geheime Truppe gilt als Vorläuferin der Burschenschaften.
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Gleichzeitig interessiert sich der deutschnationale Geheimbündler auch für das Turnen. Jahn wird später auch die Turner-Parole „Frisch, fromm, fröhlich, frei“ popularisieren. Sie wird bis heute sowohl im ÖTB wie im Deutschen Turner-Bund verwendet, der inzwischen nach eigenen Angaben über 4,5 Millionen Mitglieder hat. Die vier „F“ werden in einschlägigen Kreisen gern so geschrieben, dass sie einem Hakenkreuz auffallend ähneln.
Rassismus und Antisemitismus
Auf der Burg am Wiener Leopoldsberg etwa gibt es bis heute eine Gedenktafel für Jahn, wo die Hakenkreuz-ähnliche Anordnung zu sehen ist. Der Eigentümer, das katholische Stift Klosterneuburg, hat 2019 auf eine Anfrage meinerseits darin allerdings kein Problem gesehen: Das Hakenkreuz sei schließlich „eines der ältesten Symbole der Welt“. Hier habe ich diese Geschichte für Dich aufgeschrieben.
In seinem zentralen ideologischen Werk „Deutsches Volkstum“ fordert Jahn unter anderem die „Verbannung der Ausländerei“, das Buch enthält eindeutig antisemitische und antiziganistische Passagen. Er schwingt sich auch zu weiteren rassistischen Tiraden auf, etwa über Menschen als angebliche „Mischlinge von Tieren“. Und diese völkischen Traditionen setzen sich fort.
Eine Fahne mit der Aufschrift „Rassenreinheit“
So gibt es bis heute in vielen Gemeinden in Österreich und Deutschland Turnhallen, Plätze und Straßen, die nach Jahn benannt sind. Mitten im beliebten Wiener Augarten trainieren Schüler:innen und Sportvereine etwa auf einer „Jahnwiese“. In Deutschland ist mit dem „SSV Jahn Regensburg“ auch ein populärer Zweitliga-Fußballverein nach Jahn benannt.
In einschlägigen Turner-Kreisen werden parallel dazu auch die ideologischen Vorgaben von Jahn hochgehalten. So trug der kurzzeitige Salzburger FPÖ-Landtagskandidat Reinhard Rebhandl laut Mauthausen Komitee noch im Jahr 2010 eine Turnfahne mit der Aufschrift „Rassenreinheit“. Der blaue Politiker war auch Obmann des ÖTB-Turnvereins Golling sowie Mitglied der schlagenden Burschenschaft Gothia Salzburg. Offiziell soll der ÖTB-Bundesturnrat 1996 beschlossen haben, Fahnen wie diese nicht mehr zu verwenden. Wohlgemerkt: Erst 1996.
Noch zum „Gauturnfest“ des ÖTB im Jahr 1990 im oberösterreichischen Vöcklabruck heißt es in einer parlamentarischen Anfrage: Dort „wurden Urkunden mit Hakenkreuzen öffentlich ausgestellt, Fahnen mit der Aufschrift ‚Rassenreinheit‘ getragen, es waren Nazilieder (‚Westerwald‘) und ‚Heil‘-Rufe zu hören und der Redewettbewerb war von deutschnationalen Themen (‚Die deutschen Ostgebiete und ihre Rückgewinnung‘) geprägt“.
Möglichst wenig Fremdwörter
Apropos Redewettbewerb: Bei einer solchen Veranstaltung des ÖTB verdiente sich auch der spätere FPÖ-Obmann Jörg Haider als Jugendlicher seine ersten Sporen. Das Thema seines Beitrags: „Sind wir Österreicher Deutsche?“ Bei der offiziellen Bewerbung der Disziplinen zum ÖTB-Bundesjugendturnfest 2024 fehlt der Redewettbewerb allerdings. Er existiert dennoch.
Zu finden ist dieser ganz spezielle Wettbewerb auf der ÖTB-Seite dann erst über den Zeitplan und die „Riegeneinteilung“. Eine Vorgabe für die Punktevergabe beim Redewettbewerb laut Regelwerk: „Nur unvermeidliche Fremdwörter“. Schon die Verwendung von Fremdwörtern hat für Kinder und Jugendliche beim ÖTB also offenbar Punkteabzüge zur Folge.
Im „Festführer“ des ÖTB findet sich auch Grußwort von Anna-Theres Teichgräber, sie ist in Mödling Stadträtin für Sport. Die Grüne hebt in ihrem Beitrag den Redewettbewerb sogar eigens hervor und schreibt gleichzeitig über „Miteinander“ und „Fairplay“. Auf eine Anfrage hat Teichgräber nicht geantwortet.
Turnen für „Volk und Vaterland“
Die ideologischen Grundlagen dafür finden sich bereits bei Friedrich Ludwig Jahn. Denn das Turnen hatte für ihn einen eindeutig und einschlägig politischen Nutzen. Es sollte das deutsche Nationalgefühl stärken, dazu kam der offensichtlich vormilitärische Charakter der körperlichen Ausbildung. Jahns Ziel: „Des Deutschen Knaben und Deutschen Jünglings höchste Pflicht ist, ein Deutscher Mann zu werden und zu bleiben, um für das Volk und Vaterland kräftig zu wirken.“
Deshalb wäre das Turnen ursprünglich auch „ausschließlich auf die Männer beschränkt“ gewesen und „bezog vor allem wehrertüchtigende Übungen ein“, sagt der Sporthistoriker Hans Joachim Teichler gegenüber dem WDR.
Militaristische Klänge finden sich auch in Mödling. Die Teilnehmer:innen sind in öffentlichen Schulen untergebracht, für die der ÖTB eigens einen „Wachdienst“ organisiert. „Den Anweisungen“ dieses Wachdienstes sei „Folge zu leisten“, heißt es im Kasernenhof-Ton.
Eine weibliche Form gibt es nicht
Männerbündelei findet sich bis heute ebenfalls im ÖTB. So heißt es im Verbandslied „Turner, auf zum Streite“, das auch bei der Auftaktveranstaltung in Mödling angestimmt wird: „Männer, stark und wahr, strahlt der Himmel klar.“
Dazu passt dann auch ein Werbevideo des ÖTB auf Instagram, das im April veröffentlicht wurde. Dort werden zahlreiche Mädchen gezeigt, die sich selbst jeweils mit den Worten „Ich bin Turner“ vorstellen. Eine weibliche Form gibt es offenbar nicht. Bei Jahn ging es eben nur um die „deutschen Knaben“.
Bücher werden verbrannt
Jahn ist auch einer der führenden Protagonisten, als im Jahr 1815 in Jena die sogenannte „Urburschenschaft“ gegründet wird. Das Ziel: Die Abschaffung der bisherigen studentischen Landsmannschaften und ihre Ersetzung durch die eindeutig politischen und deutschnationalen Burschenschaften.
Bereits zwei Jahre später verbrennen die Burschenschafter auf der Wartburg im thüringischen Eisenach die ersten Bücher. „Wehe über die Juden“, heißt es, als ein Buch des deutschen Autors Saul Ascher ins Feuer geworfen wird.
Die Turner sind im März 1938 bei den Nazis ganz vorne mit dabei
Die Verbrennung der „undeutschen“ Bücher soll vermutlich Jahn persönlich angeregt haben. 1933 werden dann die Nazis Bücher verbrennen. Und kurz darauf Menschen. Unter den Tätern sind sehr viele Turner und Burschenschafter ganz vorne mit dabei.
In Österreich zeigt sich das gleich in den Anschlusstagen im März 1938. Am 11. März sammeln sich die Kampfverbände von NSDAP, SA und SS „in Turnhallen der verschiedensten Wiener Bezirke“, notiert der Sporthistoriker Matthias Marschik in seinem ausgezeichneten Werk „Sportdiktatur“. Unter dem Deckmantel des Sports seien dort „regelrechte Wehrzüge“ aufgestellt worden. In der Praxis hätten in Österreich „vor allem Männer aus dem Turnerlager“ die Machtübernahme durch die Nazis kontrolliert.
Nach 1945 werden die Nazi-Turner verboten
Sogar der ÖTB selbst muss in seiner Organisationsgeschichte zugeben, dass der Turnerbund „eine der wichtigsten Vorfeldorganisationen“ der NSDAP gewesen sei. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auch erstmal alle ehemaligen Mitgliedsvereine des damaligen „Deutschen Turnerbunds“ als nationalsozialistisch eingestuft und verboten.
Reorganisiert wurde der Verband dann ab 1952, ausgehend von Oberösterreich. Also einem deutschnationalen Kernland, wo unter anderem auch Adolf Hitler sowie die führenden Nazis Adolf Eichmann, Ernst Kaltenbrunner und Anton Reinthaller aufgewachsen sind. Meine Recherche über die österreichische Geschichte des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann könnt ihr hier lesen. Der SS-Brigadegeneral Reinthaller wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der erste Parteiobmann der FPÖ.
Die FPÖ wurde am 7. April 1956 gegründet. Das ist ihr erster Parteichef: Der SS-General Anton Reinthaller. Als Unterstaatssekretär in Nazi-Berlin war der spätere FPÖ-Vorsitzende der höchstrangige österreichische Nazi nach Hitler. Das ist die tatsächliche Geschichte der FPÖ. pic.twitter.com/DXCyp28DFq
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 7, 2024
ÖTB: Jahn ist die „Orientierung für uns Heutige“
Für den ÖTB sind all die Jahn’schen und deutschnationalen Traditionen offenbar kein Problem, ganz im Gegenteil. Das zeigt etwa die Sommerausgabe 2021 der ÖTB-Vereinszeitung „Unser Turnen“. In einem vierseitigen Artikel wird Jahn dort ausführlich gehuldigt. Jahn hätte das „‚vaterländische‘ Turnen“ mit einem „hochgesteckten politischen Ziel“ verbunden. Nämlich der „Einigung Deutschlands (unter preußischer Führung)“.
Jahn würde gleichzeitig, so heißt es, „Orientierung für uns Heutige“ sowie „Leitbilder und Praxismodelle“ vorgeben. Bis heute veranstaltet der ÖTB auch eine jährliche „Jahnwanderung“. Es zeigt deutlich, wie der ÖTB versucht, die Mitglieder auch ideologisch zu erziehen. Und das offenbar generationsübergreifend, wie auch die zahlreich vorhandenen altdeutschen Vornamen in der Organisation zeigen.
Eindeutige ideologische Ziele
Auch auf der Homepage des ÖTB wird Jahn ausführlich gewürdigt. Gleich unter dieser Würdigung heißt es dann, dass der ÖTB auf das „organisch gewachsene Ganze unseres Volkes“ blicken würde und die Idee einer „volksbewussten Lebensgemeinschaft“ hätte. Es sind einschlägige Propaganda-Begriffe der völkischen Rechten. Dazu passen auch die aktuellen „Leitsätze“ des ÖTB, die ebenfalls auf der Homepage der Organisation veröffentlicht sind.
Darin heißt es etwa, dass ein wesentlicher Sinn des Turnens im „freiwilligen Einordnen in die Gemeinschaft“ läge. Die Familie sei die lebenswichtige „Kern- und Keimzelle für Volk und Staat“ und es wäre die „Pflicht, die Heimat zu verteidigen“. Direkt daneben auf der ÖTB-Page: Ein Bild einer Kindergruppe samt ÖTB-Fahne rund um ein Schild mit der Aufschrift „Achtung Staatsgrenze“.
Schließlich würde der ÖTB auch für die „Erhaltung, Pflege und Förderung des deutschen Volkstums“ eintreten. Die ideologischen Botschaften sind eindeutig.
Schon Kinder werden indoktriniert
Zusammengefasst werden die Leitsätze des ÖTB unter dem Motto „Turnen ist mehr als Sport“. Es ist ein wiederkehrender Slogan der Organisation, er macht deutlich, wie wichtig die ideologische Beeinflussung genommen wird.
Und schon Kinder werden einschlägig indoktriniert: So gibt es etwa beim Bundesjugendturnfest in Mödling den „Rede-, Lese- und Vortragswettbewerb“ für die Altersklasse ab 15 Jahren. Als „Grundlage“ werden die Leitsätze des ÖTB „empfohlen“.
Mitten in die organisierte extreme Rechte
Für die einschlägige Ausbildung sorgen auch die entsprechenden Figuren. Auf Instagram posiert etwa Identitären-Gesicht Gernot Schmidt mit ÖTB-Fahne – mutmaßlich ist das Bild auf einem ÖTB-Lager entstanden. Der Nachwuchs-Rechte ist seit einigen Jahren bei Aktionen des österreichischen Ablegers der neofaschistischen Gruppe Identitäre regelmäßig ganz vorne mit dabei.
Ebenfalls organisiert ist Schmidt bei der Wiener Burschenschaft Olympia – und die steht sogar innerhalb des extrem rechten Dachverbands „Deutsche Burschenschaft“ am äußersten rechten Rand. Auch zur FPÖ hat Schmidt beste Verbindungen: Ab 2017 war er der Wiener Landesvorsitzende der FPÖ-Vorfeldorganisation „Ring freiheitlicher Studenten“ (RFS) – und tauchte schon damals bei einem Nazi-Grab am Zentralfriedhof auf. Hier habe ich diese Geschichte für Dich aufgeschrieben. Und Schmidt dürfte nicht der einzige in der Familie mit Verbindungen zum ÖTB sein.
Auf den Lagern des ÖTB sammelt sich überhaupt so einiges. Das „Bundesknabenlager“ in Kärnten etwa hatte noch vor einigen Jahren Wolfram Wadl geleitet. Der trat dann 2021 für die „Liste Leobener Studenten“ (LLS) zur ÖH-Wahl an. Und die wiederum gilt als eng vernetzt mit dem RFS. Ebenfalls beste Verbindungen hat die LLS laut Standard zur Leobener Burschenschaft Leder. Wie klein doch die Welt ist.
Der ÖTB und die deutschnationalen Studentenverbindungen
Die Burschenschaften und deutschnationalen Studentenverbindung spielen beim ÖTB bis heute überhaupt eine enorm wichtige Rolle. In der bereits erwähnten Jahn-Würdigung in der Verbandszeitung „Unser Turnen“ wird die Gründung der Urburschenschaft explizit als „großer Erfolg“ gefeiert. Tatsächlich sind die deutschnationalen Studentenverbindungen sogar direkt im ÖTB organisiert.
Denn der ÖTB hat auch sechs sogenannte „akademische“ Turnvereine, zwei in Graz sowie je einen in Wien, Linz, Innsbruck und Leoben. Und hier sind wir erneut tief in der organisierten extremen Rechten. So ist etwa der bereits genannte „Wiener Akademische Turnverein“ (WATV) nicht nur beim ÖTB organisiert. Tatsächlich sei der WATV „Turnverein und akademische Korporation in einem“, heißt es etwa in einer älteren Version der WATV-Website, die ich gesichert habe.
Vom ÖTB zur deutschnationalen Sonnwendfeier
Denn der scheinbar harmlose Turnverein ist gleichzeitig auch eine deutschnationale Studentenverbindung. In dieser Funktion ist der WATV auch Mitglied im „Wiener Korporationsrings“ (WKR), also dem Dachverband der deutschnationalen Studentenverbindung der Bundeshauptstadt.
Nach eigenen Angaben hätten die Deutschnationalen übrigens auch „entscheidend“ zur Gründung des heutigen Wiener Universitätssportinstituts (USI) beigetragen, wo zahlreiche Wiener Studis Sport machen. Ob das so stimmt, ist unklar. Fakt ist allerdings, dass etwa 2017 das „Stiftungsfest“ des WATV ganz offiziell am bekannten Universitätssportzentrum auf der Wiener Schmelz durchgeführt werden konnte.
Stolz wird auf Insta auch darauf hingewiesen, dass der WATV im Jahr 2024 sogar den Vorsitz des WKR führen würde. Nach eigenen Angaben hat er im Frühsommer auch die einschlägige „Sonnwendfeier“ des Rings in der Nähe von Wien ausgerichtet. Ein Foto der Veranstaltung zeigt rund 150 bis 200 Personen mit Fackeln – viele der anwesenden Männer tragen Burschenschafter-Kappen.
„Deutsches Volkstum“, genau gegenüber der Uni Wien
Früher wurde auf der Seite des WATV auch noch gefordert, „unser deutsches Volkstum als Ausdrucksform des Volkes in uns aufzunehmen“. Das passt übrigens auch zu den „deutschen“ Farben der Verbindung: Sie verwendet die Kombination Schwarz-Rot-Gold. Inzwischen ist die Seite allerdings leergeräumt, es ist nur noch eine E-Mail-Adresse als Kontakt zu finden.
Seine „Bude“ samt Dachterrasse hat der WATV übrigens auf der Mölkerbastei, also genau gegenüber dem Haupteingang der Uni Wien. In Mödling sehe ich am Rand ebenfalls mehrere Personen aus der Burschenschafter-Szene.
Interne Kämpfe brechen aus
Wo die deutschnationalen Studentenverbindungen und der ÖTB sind, da ist die FPÖ nicht weit. Dafür steht etwa Peter Ritter, bis zumindest April 2021 Obmann der Turnorganisation. Ritter ist gleichzeitig FPÖ-Gemeinderat in Oberösterreich. Dann dürfte es im ÖTB allerdings gröbere Probleme gegeben haben.
In der Verbandszeitung „Unser Turnen“ schreibt ab der Ausgabe vom Mai 2021 auf einmal nicht mehr Obmann Ritter das traditionelle Vorwort. Stattdessen gibt es einen Aufruf eines Mitglieds, „wieder gemeinsam etwas zu schaffen“. Und im Juni heißt es dann, es wäre an der Zeit, „Zeichen der Veränderung nachhaltig zu nutzen“. Und danach wird es sogar noch ungemütlicher.
Finanzielle Ungereimtheiten und einschlägige Codes
Denn am 33. Bundesturntag im März 2022 folgt dann ein Bericht der internen Finanzprüfung. Das „Ergebnis der Prüfungen war kein erfreuliches“, heißt es in der Verbandszeitung. Es seien „zahlreiche Verfehlungen und Ungereimtheiten“ festgestellt worden. Auf der Konferenz wurden dann sogar Regressforderungen gegen ehemals führende Funktionäre diskutiert, es gilt die Unschuldsvermutung. Inhaltlich aber dürfte alles beim Alten geblieben sein.
Das zeigt schon die Datierung von „Unser Turnen“. Die Ausgaben erscheinen nicht etwa im Februar, März oder Juni. Sondern in Monaten mit Namen wie „Hornung“, „Lenzmond“ und „Brachmond“. Da geht das altgermanische Herz auf.
Beste Verbindungen zur FPÖ
Offiziell heißt es in der Satzung des ÖTB zwar, dass „parteipolitische Bestrebungen“ im ÖTB „ausgeschlossen“ seien. Doch real ist Ritter ohnehin nur eines von unzähligen Beispielen für die Verbindungen zwischen FPÖ und ÖTB. Kein Wunder, letztlich ist die FPÖ die traditionelle politische Vertretung des deutschnationalen Lagers in Österreich. Und der ÖTB sorgt für die sportliche Ertüchtigung der Szene.
Beispielhaft dafür ist etwa der FPÖ-EU-Abgeordnete Roman Haider. Laut der Plattform „Meine Abgeordneten“ ist er neben seinen Tätigkeiten für die FPÖ auch stellvertretender Obmann des ÖTB-Turnvereins Aschach an der Donau. Und auch er ist Burschenschafter: Haider ist gleichzeitig „Alter Herr“ der oberösterreichischen Burschenschaft „Donauhort Aschach“.
Beim Jugendturnfest in Mödling ist dann auch der Wiener FPÖ-Gemeinderat Dietbert Kowarik vor Ort. Ob er mit seinen 49 Jahren im ÖTB noch als Jugendturner durchgeht, muss dabei offenbleiben.
FPÖ-Gemeinderat Kowarik mag keine Fotos
Kowarik trägt in Mödling das Shirt des Wiener ÖTB-Vereins Sechshaus – dazu ist er laut der Plattform „Meine Abgeordneten“ auch Mitglied der einschlägigen Wiener Burschenschaft Olympia. Er und Identitären-Gesicht Schmidt sind also offenbar in der gleichen Studentenverbindung. Der mutmaßliche Schmiss jedenfalls sitzt bei Kowarik, gut sichtbar, über der Oberlippe.
Für die neofaschistische Gruppe Identitäre macht Kowarik den Notar, diese Geschichte habe ich hier für Dich recherchiert. In Mödling hält der FPÖ-Mann eine Stange mit zahlreichen Fahnen in der Hand, ganz oben weht ein Wimpel mit den deutschen Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot. Als er sieht, dass ich ihn fotografiere, droht Kowarik sofort mit „Urheberrecht“ und „Personenrecht“. Es bleibt mir nicht erspart, dem FPÖ-Mann das Medienrecht näher zu bringen.
„Zum Goldenen Reichsapfel“
Der Name Kowarik taucht im ÖTB übrigens mit auffallender Regelmäßigkeit auf, die Vornamen sind – im Gegensatz zum Familiennamen – meist auffallend germanisch (sie werden hier bewusst nicht wiedergegeben, weil es sich teils um Kinder handelt). Und dann ist da auch noch Dietmar Kowarik, ebenfalls Mitglied im Wiener ÖTB-Verein Sechshaus.
Im Zivilberuf ist Dietmar Kowarik Eigentümer der „Apotheke zum Goldenen Reichsapfel“. Beim Wiener ÖTB ist er der „Dietwart“. Solche Dietwarte sind im ÖTB traditionell für Schulung und Jugendbetreuung verantwortlich.
Der 2019 verstorbene „Bundesdietwart“ Wolfgang Hosiner etwa wird in der Verbandszeitung mit den Worten gelobt, dass seine Reden bei „Julfeier, Sonnwend“ oder sonstigen Gelegenheiten unvergessen wären. Dazu wird auch „der Einsatz für sein Volk“ gelobt, selbst bei „‚Gegenwind“. Dass Hosiner gleichzeitig FPÖ-Obmann für die oberösterreichische Region Eferding und Grießkrichen war, wird im Nachruf des ÖTB übrigens nicht erwähnt
Der „Dietwart“ und das rassenpolitische Amt der NSDAP
Der Begriff „Dietwart“ ist in der deutschnationalen Turnbewegung allerdings nicht neu: Im NS-Regime gab es sogar eine Zeitung mit gleichem Namen: „Der Dietwart.“ Mit dem Untertitel: „Amtliche Zeitschrift des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen zur Vertiefung der Dietarbeit“. Im Klartext: Es war die ideologische Turner:innenzeitung der Nazis.
Publiziert hat im „Dietwart“ etwa Walter Groß, Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP. Groß propagierte unter anderem die Zwangssterilisation von sogenannten „Erbkranken“ und „Asozialen“. Die Nazis verschleppten und ermordeten Menschen mit Behinderung und Menschen, die als „asozial“ stigmatisiert wurden.
Besonders gelobt wird im „Dietwart“ übrigens die Arbeit der turnenden Nazis aus der „Ostmark“. Erst die hätten, so heißt es in einer Ausgabe, das „Dietwesen ins Reich getragen“. Diese „Erziehungsarbeit“ sei dann schließlich mit der Machtergreifung der Nazis auch in Deutschland „zu einem Grundgesetz der Leibesübungen im Sinne Friedrich Ludwig Jahns und damit im Sinne des Nationalsozialismus“ umgesetzt worden. Für den ÖTB ist all das aber offensichtlich dennoch kein Anlass, sich vom Begriff „Dietwart“ zu distanzieren.
Der SS-Mann wird bis heute gewürdigt
Seine zahlreichen bundesweiten Jugendlager veranstaltet der ÖTB traditionell am Kärntner Turnersee. Der Name des Sees ist dabei kein Zufall, es gibt tatsächlich eine enge Verbindung zum ÖTB. Und die wiederum zeigt exemplarisch die Geschichte der Organisation: Bis 1932 hieß der Kärntner See noch „Sablatnig / Zablaško“, hatte also einen slowenischen Namen. Doch dann übernahm der Verein „Kärntner Grenzland“ das Areal. Es waren Deutschnationale und Nazis.
Vereinsgründer Karl Hönck, gleichzeitig Gründungsmitglied des Wolfsberger Turnvereins, war SS-Oberscharführer – er ersetzte auch den slowenischen Namen durch die Bezeichnung „Turnersee“. Die Initiative zum Ankauf kam laut Sporthistoriker Marschik vom österreichischen Nazi-Chefideologen und Turner Friedrich Rainer. Der hätte, so Marschik, über den „vorgeschobenen Verein ‚Kärntner Grenzland'“ dafür gesorgt, dass der See in den Besitz des Turnerbundes gekommen wäre. Rainer, später Gauführer von Kärnten, wurde wegen seiner zahlreichen Kriegsverbrechen nach den Zweiten Weltkrieg in Jugoslawien hingerichtet.
Noch im Februar 2020 (!) wurde der See laut Standard auf der Homepage „kärnter-ferienwohnungen.at“ mit folgenden Worten beworben: „Seinen Namen verdankt der Turnersee einem Zeltlager zur Schulung und Ausrichtung der Führer des Turnerbundes auf das große Ziel, welches 1938 mit der Heimkehr der Ostmark ins deutsche Reich auch erreicht wurde“. Nach Medienberichten und einer Anzeige wurde der Satz gelöscht.
Wird das Heim wirklich umbenannt?
Das Heim am See ist dagegen weiterhin nach dem SS-Oberscharführer Hönck benannt. Im April 2024 hatte der bis heute existierende Verein „Kärntner Grenzland“ zwar gegenüber dem ORF erklärt, dass eine Umbenennung „heuer noch über die Bühne gehen könnte“. Bisher scheint aber nichts passiert zu sein.
Auf der Homepage des Vereins ist weiter von einem „Karl Hönck Heim“ die Rede. Hinweise auf diese NS-Geschichte fehlen dort übrigens – wohl wenig überraschend – ebenfalls völlig. Und der einschlägige Name des Sees soll offenbar erst gar nicht geändert werden. Im Sommer 2023 soll rund um das Karl Hönck Heim sogar wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung ermittelt worden sein.
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Ermittungen wegen NS-Wiederbetätigung
Ausgangspunkt wäre der Fund eines Zettels mit ominösen Notizen gewesen, wie der Autor Wilhelm Kuehs schreibt (€ Paywall) „Heil Hitler: Gruß der Nazis“ soll darauf gestanden sein oder „undeutsch: als nicht typisch deutsch geltend“. Urlaubsgäste hätten dazu laut dem Kärntner Landesverfassungsamt Gruppen beobachtet, die durch den Wald marschierten und dabei Lieder über Großdeutschland sangen.
Eine Zeugin hätte auch gesehen, wie ein Mann Burschen dazu zwang, mit einer Bierbank am Rücken Liegestütze zu machen. Als die Zeugin die Bestrafung unterbinden hätte wollen, sei sie von dem Mann bedroht worden – der sich als Mitglied des ÖTB zu erkennen gegeben hätte.
Die Ermittlungen seien in weiterer Folge allerdings eingestellt worden. In einer Stellungnahme gegenüber der Kleinen Zeitung behauptete der Verein Kärntner Grenzland dann, dass weder der Verein noch der ÖTB „etwas mit dem Nationalsozialismus oder rechtem Gedankengut zu tun“ hätten. Zur Erinnerung: Das Turnerheim wurde nach einem SS-Mann benannt.
Eine „Abenteuerwoche“ im SS-Oberscharführer-Heim
Auch das jährliche Jugendlager des ÖTB vom 31. Juli bis 9. August 2024 wird in einschlägigen Kanälen bereits breit beworben. Als „Abenteuerwoche für Jugendliche“, wo sich die Jugendlichen mit „Gleichgesinnten“ aus „anderen Vereinen und Bundesländern“ vernetzen könnten. Wo das Lager für Jugendliche stattfindet? Ganz offiziell im „Jugend- & Sporthotel Karl-Hönck-Heim“.
Was die Geschichte noch problematischer macht: Auch Schulen organisieren ihre Sportwoche im Heim mit dem SS-Namen. Bei mir hatte sich schon im Mai 2022 ein besorgter Vater gemeldet, dessen Sohn damals ins Wiener TGM ging. Mit rund 3300 Schüler:innen ist diese technische Lehranstalt eine der größten Schulen der Bundeshauptstadt. „Für mich ist es sehr übel, dass eine öffentliche Schule in ein Ferienlager fährt, das den Namen eines SS-Mannes trägt“, sagt der Vater noch heute zu mir.
Ideologische Schulung in Kärnten
Die verschiedenen Lager spielen offensichtlich auch ideologisch eine wichtige Rolle für den ÖTB. Das Ganze kommt wohl vordergründig sehr leicht daher und kann damit umso besser sickern. Scheinbar geht es um Turnen und Freizeit, doch gleichzeitig ist schon die Bewerbung bezeichnend.
So wirbt etwa die Verbandszeitung „Unser Turnen“ mit einer früheren Teilnehmerin für das Familienlager im Juli 2024. Zitiert wird sie mit folgenden Worten: „Das Lager hat mich daran erinnert, wie wichtig es ist, sich mit seinem Volkstum auseinanderzusetzen.“ Es ist die konsequente Fortsetzung des ÖTB-Mottos: „Turnen ist mehr als Sport“.
Die einschlägige Politik ist immer dabei. Und damit das niemand vergisst, gibt es etwa eine tägliche „Morgenfeier“ mit einem „Tagesleitgedanken“, gestaltet von einer „Gruppe vom Dienst“. Für die Älteren gibt es dann am Turnersee auch ein „Literaturcafé“ – gestaltet in der Vergangenheit etwa von der Grazer FPÖ-„Kulturreferentin“ Heide Eustacchio. Ihr Sohn Mario war übrigens bis 2021 stellvertretender Bürgermeister von Graz, aktuell sitzt er für die Blauen im Gemeinderat der steirischen Landeshauptstadt. Auch er ist Burschenschafter.
Der „Mister Turnersee“ im „Windmond“
Apropos: Bei der einschlägigen Schulung für den ÖTB-Nachwuchs dürften verbindungsstudentische Kreise ebenfalls eine wichtige Rolle übernehmen. Identitären-Gesicht Gernot Schmidt wurde ja bereits genannt, ebenso der „frischgebackene“ Bundesjugendwart Hartwig Kautz. Besondere Bedeutung hat dabei wohl das Bundesknabenlager – oder BuKnaLa, wie es knackig im Jargon des ÖTB heißt.
Der „Lagerleiter“ des BuKnaLa für das Jahr 2024 etwa, Gernot Kroat, wird offiziell als Mitglied des ÖTB-Turnvereins Mödling vorgestellt (ja, da gibt es viele Gernote). Doch beim bereits erwähnten Schießwettbewerb des Penzing-Hietzinger Turnvereins tritt eine Person mit dem gleichen Namen für die deutschnationalen Studenten des WATV an.
In der Verbandszeitung wird Kroat übrigens als „Mister Turnersee“ vorgestellt – den Text in der Ausgabe vom „Windmond“ 2021 hat er praktischerweise gleich selbst geschrieben. Wer nicht mit dem germanischen Kalender vertraut ist: Dabei handelt es sich um den November.
Die Mädchen sollen sticken, flechten und Volkstänze üben
Für die Mädchen hat der ÖTB dagegen noch ganz eigene Angebote. So wird in der Verbandszeitung etwa auch das jährliche „Bundesmädchenlager“ beworben – im ÖTB heißt es, erraten, „BuMäLa“. Dort stehen neben „Spiel und Sport“ unter anderem „Sticken“ und „Flechten“ auf dem Programm. Besonders hervorgehoben werden auch die „Volkstanzabende“. Der Bericht in „Unser Turnen“ aus dem Jahr 2022 irritiert aber auch noch auf einer anderen Ebene.
Geschrieben ist der Bericht aus der Perspektive einer jugendlichen Teilnehmerin, da gibt dann etwa Zeilen wie: „Das Knabenlager kam ab und zu auch in den Badezeiten vorbei. So kam keiner trocken über den Steg, da man sofort hinein geschmissen wurde. Aber wenn wir uns gemeinsam gegen die Buben verbündeten, hatten sie keine Chance. Meistens jedenfalls …“. Doch als Autor des Textes ist Thomas Brey vom Penzing-Hietzinger Turnverein angeführt. Bei ihm dürfte sich eher nicht um eine jugendliche Teilnehmerin handeln.
Buben und Mädchen werden getrennt
Doch der Text zeigt gleichzeitig noch etwas anderes: Beim ÖTB werden Kinder und Jugendliche in vielen Fällen nach Geschlechtern getrennt. Pädagogisch ein längst überholtes Konzept. Doch es passt natürlich, wenn einerseits die Mädchen sticken und flechten sollen. Und sich andererseits Vorbild Jahn vor allem um die deutschen Knaben sorgte.
Apropos reaktionäre Geschlechterrollen: In Mödling sind überall Kinder und Jugendliche in Lederhosen, Dirndln und Tracht zu sehen. Immer wieder tragen Mädchen dazu die langen Haare mit zwei am Kopf angelegten und geflochtenen Zöpfen – das wird offenbar innerhalb des ÖTB gewünscht und gefördert (Bilder der Kinder sind vorhanden, werden hier aber bewusst nicht veröffentlicht). Eine Ausgabe der Verbandszeitung vom Mai („Wonnemond“) 2019 zeigt sogar eigens ein Foto von acht Mädchen mit genau dieser Haartracht auf der Titelseite.
Ob das so unschuldig ist, wie es vordergründig aussieht, muss offen bleiben. Während des NS-Regimes galt jedenfalls die Devise: „Arisch ist der Zopf – jüdisch ist der Bubikopf“. Die Seite „NS-Zeit in Hannover“ beschreibt das Phänomen als: „Zopf tragen und dem Führer später viele Kinder schenken“.
Wo der ÖTB seine Hochburgen hat
Bei der Auftaktveranstaltung am Mödlinger Schrannenplatz werden dann auch alle teilnehmenden ÖTB-Vereine einzeln aufgerufen, damit sie ihre Fahnen präsentieren können. Es zeigt gleichzeitig die geographischen Schwerpunkte der einschlägigen Turner:innen sehr deutlich: Aufgerufen werden über 20 Vereine aus Oberösterreich, rund 10 aus Niederösterreich und 9 aus Wien. Wobei bei den Wiener Vereinen auch der „Männerturnverein Klosterneuburg 1885“ sowie der Turnverein Langenzersdorf dabei sind. Tatsächlich sind beides Orte in Niederösterreich.
Dazu kommt je ein Verein aus Salzburg, der Steiermark und Tirol. Das Burgenland und Vorarlberg sind nicht vertreten. Dass gerade der ÖTB aus dem deutschnationalen Kernland Oberösterreich so stark vertreten ist, ist dabei wohl kein Zufall.
Nach eigenen Angaben hat der ÖTB allein in Oberösterreich insgesamt 67 lokale Vereine. Die weiteren Hochburgen sind Niederösterreich mit 38 Vereinen und Wien mit 30. Das bedeutet: In einigen Regionen gibt es eine enorme lokale Verankerung. Und die kann auch sehr verdeckt und damit besonders problematisch daherkommen.
In der Wiener Seestadt werden ganz unauffällig Strukturen aufgebaut
So gibt es im großen Wiener Stadterweiterungsgebiet Seestadt den „Turnverein Seestadt“. Angeboten werden in Wien-Donaustadt etwa Yoga, Volleyball oder „Eltern-Kind-Turnen“, die Kurse werden ganz offiziell in verschiedenen Schulen in der Seestadt abgehalten. Auf den ersten Blick sieht das also alles ganz harmlos aus.
Doch mitten in der Terminliste, zwischen dem Geräteturnen und der Methodikschulung, verbirgt sich dann die Einladung zu einem „Kinder- und Jugendlager am Turnersee in Kärnten“. Die Anmeldung solle über die Homepage des ÖTB Wien erfolgen.
Ansonsten gibt es auf der Startseite weder ein Logo des ÖTB noch sonstige Hinweise auf die treudeutschen Turner. Einzig in der Rubrik „Partner und Freunde“ wird der ÖTB genannt. Erst ein Gegencheck auf der Seite des ÖTB Wien zeigt: Tatsächlich ist der „Turnverein Seestadt“ ein Mitgliedsverein des ÖTB. Und auf den ÖTB-Jugendlagern besteht dann die Gefahr, dass bereits Kinder einschlägig indoktriniert werden.
Der ÖTB wird kräftig mit Steuergeldern gestützt
Die ÖTB-Verbandszeitung erscheint mehrmals jährlich, durchgehend vierfarbig gedruckt. Billig ist das sicher nicht. Was für ein Glück für den ÖTB, dass in so gut wie jeder Ausgabe eine einseitige bezahlte Anzeige des Landes Oberösterreich zu finden ist. In Oberösterreich regiert seit 2015 durchgehend eine ÖVP-FPÖ-Koalition.
Während der schwarz-blauen Koalition auf Bundesebene finden sich dann auch Inserate aus FPÖ-geführten Ministerien in der Verbandszeitung. Inserate gibt es etwa vom Sportministerium, damals geführt vom früheren FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Oder vom Verteidigungsministerium, damals geleitet vom steirischen FPÖ-Mann Mario Kunasek. Inzwischen gibt es den Verdacht, dass er in den großen Finanzskandal in der FPÖ Steiermark involviert wäre. Kunasek bestreitet und es gilt die Unschuldsvermutung.
Auf öffentlichen Schulen wehen die Fahnen des ÖTB
Auch das Event in Mödling wird von der öffentlichen Hand kräftig unterstützt. Geld fließt vom Land Niederösterreich, auch die Stadt Mödling unterstützt kräftig. Die traditionell deutschnationalen Turner werden sogar in öffentlichen Schulen untergebracht, auf den großen Fahnenstangen vor den Schulgebäuden wehen die Fahnen des ÖTB.
Und auch bekannte Konzerne unterstützen das einschlägige Event in Mödling. Darunter etwa Billa, die Wiener Städtische, der Energieanbieter EVN, der Technik-Konzern Ricoh, Baumaterialhersteller Ytong/Xella, der Gemüsehersteller Efko aus dem Raiffeisen-Milieu, Egger Getränke sowie McDonalds.
Konzerne finanzieren, der ÖTB antwortet nicht
Für McDonalds schreibt Sprecherin Jessica Schreckenfuchs-Vallant, dass der Konzern sich „klar von nationalsozialistischen Inhalten“ distanzieren würde und „jegliche Art von Menschenfeindlichkeit“ verurteile. Ein Rückzug von der Veranstaltung erfolgt allerdings nicht. Seitens der EVN sagt Sprecher Stefan Zach, dass der Konzern keine „rechts- oder linksextreme, frauenfeindliche oder homophobe Veranstaltung“ unterstützen würde. Woher an dieser Stelle „Linke“ kommen, bleibt unklar. Dazu sei laut EVN der ÖTB ohnehin „keine verbotene Organisation“.
Von Ytong/Xella heißt es, dass der Sachverhalt „zeitnah“ geprüft würde. Die anderen angefragten Sponsoren haben gar nicht geantwortet. Auch der ÖTB hat auf eine Anfrage mit einem ausführlichen Fragenkatalog trotz ausreichender Frist nicht reagiert.
Es ist ein Problem. Und wir müssen darüber sprechen.
Der ÖTB ist in der österreichischen Sportlandschaft mit seinen über 44.000 Mitgliedern eine wichtige Größe. Vordergründig kommt er daher wie eine harmlose Turn- und Sportorganisation, auf dieser Basis rekrutiert er neue Anhänger:innen. Und so werden auch viele Kinder und Jugendliche in ein einschlägiges Milieu gezogen. Dort besteht dann die Gefahr, dass diese Kinder mit höchst problematischen Inhalten politisch indoktriniert werden.
Zur Erinnerung: „Wann die Leit grantig sein, schiabt mas in‘ Ofen nein und heizt ein!“ Nein, es darf kein „Pflichtlied“ bei einer Veranstaltung für Jugendliche sein, Menschen in Öfen zu schieben und zu verbrennen. Tatsächlich sollte so etwas überhaupt nirgends gesungen oder verbreitet werden. Der ÖTB ist ein Problem. Wir sollten darüber sprechen.
Ergänzt um Informationen zum österreichischen Wappen, dem Volkstanzkreis Schönbrunn sowie den Ermittlungen wegen NS-Wiederbetätigung.
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