Die neofaschistische Gruppe Identitäre behindert und attackiert regelmäßig Journalist:innen bei ihren Aufmärschen. Ich bin erstmals rechtlich dagegen vorgegangen – jetzt gab es ein richtungsweisendes Urteil am Wiener Landesgericht.

Die Situation ist aufgeheizt. Die Rechten rempeln und stoßen. Mit aufgespannten Regenschirmen machen sich Ordner der Gruppe Identitäre vor den Kameras breit – sie wollen verhindern, dass ich ihren Aufmarsch dokumentiere. Identitären-Gesicht Martin Sellner und der rechtsgewendete Ex-Al-Kaida-Mann Irfan Peci provozieren mich laufend.

Sellner hält mir die Hand vor die Kamera, Peci brüllt mir zu, dass ich kein anderes Ziel hätte, „als normale, patriotische Bürger zu diffamieren“. Es ist der 29. April 2023 in Wien. Im Arbeiter:innenbezirk Favoriten versuchen die neofaschistischen Identitären, ihre einschlägige Propaganda zu verbreiten. Stargast des kleinen rechten Grüppchens, das sich am Columbusplatz versammelt hat, ist Irfan Peci.

Der war einst ein hochrangiger Kader des deutschen Ablegers der islamisch-fundamentalistischen Al-Kaida – heute tritt er gemeinsam mit extremen Rechten auf. Doch journalistische Berichterstattung über diesen Aufmarsch ist offensichtlich unerwünscht.

Die Angriffe eskalieren

Die Lage eskaliert endgültig, als Peci damit beginnt, Passant:innen sein Mikrofon vor die Nase zu halten. Schreiend geht er auf einen Mann zu, seine Stimme überschlägt sich fast über die Lautsprecher. „Du Feigling“ beschimpft Peci den Mann.

Peci mit Mikro vor einem Passanten. Im Hintergrund: Sellner. Bild: Michael Bonvalot

Peci tut so, als würde er per Mikro mit dem Mann sprechen, doch während seiner Tiraden behält er das Mikro die ganze Zeit selbst in der Hand. Sein Gegenüber kommt kaum zu Wort, Peci zieht ihm laufend das Mikro weg. Ich nehme all das auf Video auf – es passt den Rechten offenbar gar nicht.

Der Mann will flüchten

Immer mehr Männer mit Ordner-Schleife drängen sich um mich, die Schirme gegen die Kameras haben sie aufgespannt. Auf einmal spüre ich einen schmerzhaften Tritt, danach versucht ein Mann, sich schnell zu entfernen. Auch er ist durch seine Schleife als Ordner erkennbar.

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Schnell versuche ich, den Mann festzuhalten, um ihn an der Flucht zu hindern. Ich will ihn zur Polizei bringen und sage ihm das auch, wie auf einem meiner Videos hörbar ist. Andere Rechte stellen sich dazwischen – ich erhalte mehrere Stöße, wie auf meinem Video gut erkennbar ist, vor allem ein Mann tut sich dabei hervor. Dieses Video wird dann auch vor Gericht eine wichtige Rolle als Beweismittel spielen.

Identitären-Gesicht Sellner beim Versuch, die Hand vor meine Kamera zu halten. Links im Bild ist ein Schirm erkennbar. Bild: Michael Bonvalot

Der Mann ist inzwischen weiter weg. Erst gegen Ende des Aufmarschs nimmt die Polizei dann nach meiner nachdrücklichen Aufforderung die Personalien von zwei Männern auf. Nun ist dieser Fall in Wien vor Gericht gekommen.

Verhandlung wegen Körperverletzung und Nötigung

Verhandelt wird der Fall am 4. Dezember am Wiener Straflandesgericht, angeklagt sind der Grazer Andreas S. wegen Körperverletzung sowie der Münchner Stefan B. wegen Nötigung. Beide Männer bekennen sich nicht schuldig. Doch das am selben Tag gefällte Urteil könnte wegweisend sein. Andreas S. wird zwar freigesprochen. Die Begründung des Richters: Es sei „nicht hundertprozentig“, ob es S. gewesen wäre, der getreten hätte.

Doch B. wird (nicht rechtskräftig) wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 1500 Euro verurteilt. Weitere 1500 Euro Geldstrafe Euro werden bedingt auf drei Jahre nachgesehen. Stefan B. soll derjenige gewesen sein, der mich gestoßen hat. Das Urteil gegen B. begründet der Richter dann ausführlich. Dessen Behauptung, dass eigentlich ich auf ihn losgehen wollte, sei „nicht glaubwürdig“.

Auch eine Diversion (also ein Maßnahme ohne Verurteilung) sei ausgeschlossen, „weil es keine Verantwortungsübernahme“ des Angeklagten gegeben hätte. Der Richter stellt B. in seiner Urteilsbegründung indirekt sogar die Rute ins Fenster: Es gäbe „noch keinen Anlass für eine Freiheitsstrafe“.

Vor Gericht geben weder die Staatsanwaltschaft noch die Verteidigung eine Erklärung ab, beide Urteile sind danit unmittelbar nach der Verhandlung noch nicht rechtskräftig. Doch meine Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft nach Ablauf der entsprechenden Fristen ergibt: Der Freispruch von Andreas S. ist rechtskräftig. Stefan B. dagegen hat Berufung gegen seine Verurteilung angemeldet. Das Urteil ist damit nicht rechtskräftig und es gilt die Unschuldsvermutung.

Doch wenn das Urteil gegen B. vor dem Berufungsgericht hält, dann wird seine Geldstrafe von 1500 Euro fällig. Und falls B. dann in den nächsten drei Jahren erneut einschlägig verurteilt würde, könnte die jetzt bedingt ausgesprochene Strafe von weiteren 1500 Euro ebenfalls fällig werden. Die Strafe wird übrigens an die Republik Österreich bezahlt, ich als Verfahrensbeteiligter bekomme also nichts.

Dazu kommt: Falls das jetzige Urteil hält, wäre eine neuerliche Verurteilung eine Wiederholungstat. Das Urteil würde dann vermutlich härter ausfallen. Und dann gibt es noch ein Damoklesschwert: Die jetzige Verurteilung würde laut Gericht noch nicht im Strafregister aufscheinen. Auch das könnte sich bei einer erneuten Verurteilung ändern. All das kann durchaus einen abschreckenden Effekt für künftige extrem rechte Angriffe auf Journalist:innen erzielen.

Es könnte ein wichtiges Präzedenzurteil werden

Dieses Urteil könnte enorme Bedeutung für die künftige Arbeit von Journalist:innen in Österreich bekommen. Bereits seit Jahren versuchen extreme Rechte regelmäßig, die mediale Berichterstattung von ihren Aufmärschen einzuschränken und zu behindern. Wenn dieses Urteil in der nächsten Instanz hält, müssten sich die Rechten auf ihren Aufmärschen künftig sehr genau überlegen, ob sie weiterhin so aggressiv gegenüber Medienvertreter:innen auftreten. Denn sonst würden ihnen Verurteilungen wegen Nötigung drohen.

Doch auch, falls diese Verurteilung nicht halten sollte, ist mit diesem Verfahren ein erster und enorm wichtiger Schritt getan. Denn nun ist klar: Urteile sind möglich, wenn extreme Rechte die freie Berichterstattung verhindern wollen. Und das ist eine sehr gute Nachricht für alle Journalist:innen.

Ich führe regelmäßig Verfahren zur Verteidigung der Pressefreiheit in Österreich. Das macht keinen Spaß, es ist enorm zeitaufwendig und kostet viel Geld. Gegenwärtig führe ich etwa ein Verfahren gegen einen Polizisten, der nicht wollte, dass ich das Video einer Amtshandlung veröffentliche. Polizisten hatten mich in Wien von einem extrem rechten Aufmarsch abgedrängt und meine Berichterstattung verhindert – sogar das Landesverwaltungsgericht Wien hat inzwischen erkannt, dass das rechtswidrig war. Dennoch hat mich der für den Einsatz verantwortliche Polizist auf Schadenersatz geklagt, weil er in diesem Video zu sehen war. Es könnte mich tausende Euro kosten. Doch ich glaube, dass es notwendig ist, die Pressefreiheit zu verteidigen.

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