Mehrere hundert ungarische Soldaten sollen im Tschad stationiert werden. Was will Viktor Orbán auf einmal in Zentralafrika? Und was hat Russland damit zu tun?
Der Plan wirkt auf den ersten Blick reichlich absurd. Mindestens 200 Soldaten aus Ungarn sollen künftig in der zentralafrikanischen Diktatur Tschad stationiert werden. Gleichzeitig werden die französischen Truppen aus dem Land geworfen. Hat Ungarn auf einmal neokoloniale Ambitionen? Oder stecken andere Interessen dahinter?
Titelbild: Wachablöse vor dem Parlament in Budapest. Bild: Michael Bonvalot
Applaus für den Diktator
Erstmals bekannt gegeben wurde der Plan zur Truppenstationierung im Oktober 2023 von Ungarns Verteidigungsminister Kristóf Szalay-Bobrovniczky. Die erwartbaren Rechtfertigungen des ungarischen Ministers: Migration und Terrorismus. Für die Diktatur dagegen gibt es Applaus. Der Tschad sei „der einzige stabile Staat in der Region“, so der extrem rechte Politiker.
Das ungarische Parlament definierte damals auch ein weiteres Ziel dieser Militärmission, wie Le Monde berichtet [€ Paywall]. Es passt ins Bild: Die Stärkung der Armee des Tschad. Öffentlich wurde danach über die Pläne nicht mehr gesprochen. Doch im Hintergrund dürfte eifrig verhandelt worden sein.
Zwei Freunde in Budapest – und ein Massenmord im Tschad
Denn Anfang September besuchte der tschadische Diktator Mahamat Deby schließlich Budapest. Der General war im Mai 2024 angeblich zum Präsidenten gewählt worden, nachdem er zuvor eine Militärregierung eingeführt hatte. Damit bei der Wahl nicht schief geht, waren wichtige Oppositionellen allerdings vorab ausgeschlossen worden. Doch selbst das war der Junta noch nicht genug.
It is my pleasure to welcome President @GmahamatIdi in Hungary. The Republic of #Chad is a key country in the fight against illegal #migration. Migration from Africa to Europe cannot be stopped without the countries of the #Sahel region. That is why #Hungary is building a… pic.twitter.com/GFPDngQBZb
— Orbán Viktor (@PM_ViktorOrban) September 8, 2024
Bereits im Februar 2024 war der bekannte Oppositionsführer Yaya Dillo Djérou vom Militär ermordet worden. Gemeinsam mit ihm wurden dutzende Aktivist:innen seiner „Sozialistischen Partei ohne Grenzen“ getötet worden, als die Armee das Hauptquartier der Partei in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena überfiel.
Die Sozialistische Partei wurde danach vom Regime verboten. Ungarns extrem rechter Premierminister Viktor Orbán hat sich also einen bezeichnenden Partner für seine Expansion in Afrika ausgesucht. Orbán selbst hält sich übrigens auch nur deshalb an der Macht, weil er das Land zu einer „Führerdemokratie“ umgebaut hat. Die Bezeichnung hat der österreichische Osteuropa-Experte Paul Lendvai geprägt, der selbst aus Ungarn stammt.
Es bleibt in der Familie
In Budapest fixierten Diktator Deby und Orbán dann offenbar die künftige Zusammenarbeit auf höchster Ebene. Parallel dazu sollen auch EU-Gelder in den Tschad gelenkt werden: Die ungarische Regierung hätte die Überweisung eines Betrags von 14 Millionen Euro aus dem EU-Militärprogramm „Europäische Friedensfazilität“ eingeleitet, so der ungarische Außenminister Péter Szijjártó im September 2024.
Und damit alles in der Familie bleibt, wurde inzwischen Gáspár Orbán zum offiziellen Verbindungsoffizier der Militärmission im Tschad bestimmt. Er ist der Sohn von Premier Orbán. Doch ob dieser neue Job des Orbán-Sohns auch öffentlich bekannt werden sollte, ist unklar.
Zuerst hatten LeMonde und die ungarische Plattform direkt36 im Jänner 2024 berichtet, dass Orbán junior auf Fotos der zahlreichen ungarischen Diplomatenbesuche in der Sahelzone zu sehen wäre. Allerdings immer gut versteckt, das Gesicht teils sogar hinter einer OP-Maske verborgen. [€ Paywall]. Erst danach hat Ungarn den Job auch offiziell bestätigt. Spekuliert wird deshalb immer wieder darüber, ob das gesamte Engagement Ungarns schlicht ein Spleen von Orbán junior ist. Das aber scheint doch deutlich zu kurz gegriffen.
Profite für ungarische Unternehmen
So hat Ungarns Außenminister Szijjártó im September auch die Unterzeichnung weiterer Verträge bekanntgegeben: Ein 200-Millionen-Kredit soll dem Tschad gewährt werden. Offensichtlich nicht ganz uneigennützig. Denn Szijjártó weist auf Facebook darauf hin, dass ungarische Unternehmen von den Tschad-Krediten in den Branchen Lebensmittel, Wasserversorgung, Digitalisierung und Bildung profitieren sollen. Wie praktisch.
Gleichzeitig erklärt das auch die Motivation der tschadischen Diktatur: Sie erhält finanzielle Mittel aus Ungarn. Und dazu einige hundert Soldat:innen, die im Fall eines internen Konflikts wohl verlässlich auf der Seite des Regimes stehen würden. Genau das war lange Zeit auch Frankreichs Angebot für die Länder der Region.
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Zusätzlich kündigt auch die staatliche ungarische Hilfsorganisation „Hungary Helps“ eine Mission im Tschad an. Ohne ideologische Schlagseite kommt auch die allerdings nicht aus. Denn die Lieferung von Medikamenten soll in Zusammenarbeit mit dem „Baptistischen Hilfsdienst“ organisiert werden, so Hungary Helps. Und das lässt tief blicken.
Zusammenarbeit mit dubiosen Christ:innen
Die Baptisten sind eine evangelische Glaubensrichtung, die vor allem in den USA weit verbreitet ist. Auch in Afrika gibt es intensive Missionstätigkeit. Und die weltweit größte baptistische Organisation, die Southern Baptist Convention, gilt als schwer reaktionär.
Erst 1995 entschuldigte sie sich für ihre Verteidigung der Sklaverei, der Rassentrennung und des Rassismus. Die Regierung Orbán hat sich also interessante Geschäftspartner:innen ausgesucht. Die Hilfe selbst scheint dabei allerdings vernachlässigbar.
Hungary Helps spendet laut Außenminister Szijjarto gerade einmal eine Million Dollar für die Gesundheitsversorgung. In einem Land mit knapp 19 Millionen Einwohner:innen wohl nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Uran, Gold und Öl
Weit handfester als solche Medikamentenlieferungen könnten da schon andere wirtschaftliche Interessen sein. Der Tschad ist immerhin reich an Uran, Gold und Öl. Bei Treffen hinter verschlossenen Türen soll Orbán junior auch genau diese wirtschaftlichen Möglichkeiten ins Treffen geführt haben, berichtet der ungarische Journalist Szabolcs Panyi.
Ein Hindernis wäre allerdings der Transport: Der Tschad ist rund 4000 Kilometer von Ungarn entfernt und hat als Binnenstaat auch keine eigenen Häfen. Dazu gibt es auch kaum ungarische Großbetriebe mit genügend Ressourcen, um tatsächlich ins internationale Kolonialgeschäft einzusteigen. Da muss also noch mehr dahinterstecken.
Steht der Kreml hinter dem ungarischen Militäreinsatz?
Angeblich hatte Ungarn als ersten afrikanischen Partner zuerst Niger im Visier. Doch nachdem der dortige sozialdemokratische Präsident Mohamed Bazoum im Juli 2023 durch einen Putsch abgesetzt wurde, hätte sich Ungarn dem Tschad zugewandt. Das Ziel Ungarns sei dabei, flüchtende Menschen bereits in der Sahelzone aufzuhalten. So lautet zumindest die offizielle Erzählung. Ob diese Erzählung allerdings stimmt (beziehungsweise ob das die ganze Wahrheit ist), da dürfen durchaus Zweifel geäußert werden.
Denn schon bei Bekanntgabe der Militärmission wurde der Verdacht laut, dass die ungarische Militärmission tatsächlich den Interessen Moskaus dienen würde. Die ungarischen Soldaten würden damit also als Proxy-Truppen des Kremls in einer Region dienen, wo Russland bereits seit einigen Jahren seinen Einfluss zunehmend ausbaut.
Aus Budapest wurde das zuerst noch wütend dementiert. Es sei „einfach absurd, dass Ungarn die Interessen Russlands oder eines anderen Landes in der Sahelzone vertreten soll“, schrieb Laszlo Eduard, Ungarns Sondergesandter für die Region, auf seinem X-Account. Das berichtet Le Monde [€ Paywall]. Doch inzwischen ist einiges geschehen.
Russland übernimmt die Lücke
Die traditionelle Kolonialmacht in den meisten Staaten West- und Zentralafrikas ist Frankreich. Trotz der antikolonialen Befreiungsbewegungen ab den 1950er Jahren hatte Frankreich in den meisten Ländern der Region weiter Truppen stationiert und Regierungen nach eigenen Wünschen ein- und abgesetzt. Auch im Tschad hat Frankreich rund 1000 Soldat:innen stationiert.
Sogar die Währung der meisten Staaten der Sahelzone wird bis heute von Paris kontrolliert, wo traditionell auch die Goldreserven dieser Staaten gelagert werden. Nun aber wenden sich immer mehr Länder von Frankreich ab und haben die französischen Truppen offiziell zum Abzug aufgefordert. Ein verständlicher und lange überfälliger Schritt. Doch stattdessen wenden sich Staaten wie Mali, Niger und Burkina Faso nun Moskau zu. Russische Söldnertruppen der ehemaligen Wagner-Gruppe werden stationiert. Und das ist keine Verbesserung.
Die früheren Wagner-Einheiten sind inzwischen offiziell dem russischen Militär unterstellt und haben dazu den Namen gewechselt. Inzwischen heißen diese Einheiten „Afrikakorps“ – und damit ganz offiziell so wie frühere Einheiten der Nazi-Wehrmacht. Mehr über das Afrikakorps und die Nazis, die für Putin kämpfen, habe ich hier für euch aufgeschrieben.
Ungarn ersetzt Frankreich
Anfänglich sah es allerdings noch so aus, als würde Ungarn sich mit Frankreich arrangieren. Im Dezember 2023 wurde sogar ganz offiziell die militärische Zusammenarbeit zwischen Ungarn und Frankreich verstärkt. Frankreich hätte danach die „Unterstützung für Ungarns Präsenz in der Sahelzone und seine aktive Teilnahme an gemeinsamen militärischen Aktivitäten“ zum Ausdruck gebracht, berichtete im Anschluss Hungary Today. Doch das ist inzwischen deutlich überholt.
Denn Ende November 2024 hat die Regierung des Tschad überraschend erklärt, sie werde „das mit der Französischen Republik unterzeichnete Abkommen zur Verteidigungskooperation beenden“. Es solle zwar „keinen Bruch mit Frankreich, wie in Niger oder anderswo“ geben, zitiert die BBC den tschadischen Außenminister Abderaman Koulamallah.
Doch gleichzeitig sagt er, der Tschad müsse „seine strategischen Partnerschaften entsprechend den nationalen Prioritäten neu definieren“. Am Ende scheint es auf den Abzug der französischen Truppen hinauszulaufen. Die ungarischen Truppen dagegen dürfen bleiben. Sagen wir so: Der zeitliche Ablauf ist zumindest interessant.
Jonglieren zwischen Moskau und der NATO
Möglicherweise geschieht das alles sehr zur Freude Moskaus – mit dem Viktor Orbán trotz NATO-Mitgliedschaft eng verbündet ist. Nun werden 200 (möglicherweise auch 400) ungarische Soldaten an sich wohl kaum etwas bewirken. Um die Dimension begreiflich zu machen: Der Tschad hat eine Fläche von 1.284.000 Millionen Quadratkilometer – und ist damit rund 15-mal so groß wie Österreich.
Daher gibt es auch die These, dass Ungarn den Tschad vor allem benutzen möchte, um die eigenen Truppen kampftauglich zu halten. Doch gleichzeitig könnten die ungarischen Truppen auch als Einstiegsticket für Moskau fungieren. Ob Moskau tatsächlich profitieren wird, ist natürlich gegenwärtig noch offen.
„… noch nie ein solches Maß an Geheimhaltung“
Immerhin ist Ungarn weiterhin Mitglied der NATO und der EU. Und Orbán vollführt laufend einen Eiertanz, um die anderen NATO- und EU-Mitglieder nicht vollends zu vergrämen. Kritiker:innen in Ungarn meinen jedenfalls, dass die jetzt geplante Militärmission enorm intransparent wäre.
„Wir haben noch nie ein solches Maß an Geheimhaltung in Bezug auf das ungarische Militär erlebt“, sagt etwa die Sozialdemokratin Ágnes Vadai gegenüber Balkan Insight. Und sie sollte wissen, wovon sie spricht: Vadai war bis 2010 immerhin selbst Staatssekretärin im Verteidigungsministerium.
Ein Zentrum für den russischen Geheimdienst?
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Der Budapester Investigativjournalist Szabolcs Panyi hat noch einen anderen Verdacht. Er meint, dass Gáspár Orbán die Schaffung eines militärischen Geheimdienstzentrums im Tschad planen würde. Das würden ungarische Quellen sagen.
Panyi zitiert dazu auch einen mitteleuropäischen Regierungsbeamten: „Wir haben gehört, dass die ungarische Regierung außerdem beabsichtigt, im Tschad ein Zentrum für militärischen Geheimdienst einzurichten, was uns Sorgen bereitet. Seit Prigoschins Tod und dem Zerfall der Wagner-Gruppe hat Russland in Afrika einiges an Einfluss verloren. Wir befürchten, dass dieses ungarische militärische Geheimdienstzentrum möglicherweise russischen Interessen dienen könnte, und ich vermute, dass Kreml-Beamte wie Sergej Lawrow, Russlands wichtigstes Gesicht in Afrika, die Ungarn ermutigt haben“, so der Beamte.
„Wenn Russland den Konflikt in den kommenden Jahren eskalieren lässt, erwarten wir, dass er vielschichtig sein wird und Afrika und Migration wahrscheinlich ebenfalls involviert sein werden“, fügt der Beamte hinzu.
Wir sollten genauer hinsehen!
Die tatsächliche Motivlage der ungarischen Rechtsaußen-Regierung für die Intervention im Tschad ist heute noch unklar. Dahinter könnten wirtschaftliche Motive stehen. Es könnte der Versuch sein, der eigenen Bevölkerung propagandistisch internationale Größe vorzutäuschen und gleichzeitig auf der Rassismus-Welle zu reiten. Persönliche Profitmotive der Familie Orbán sind möglich. Und schließlich scheinen auch russische Interessen sehr gut denkbar. Eventuell ist es auch eine Mischung verschiedener Faktoren. Wir wissen es nicht.
Doch was wir wissen: Hier passiert gerade etwas, was außerhalb Ungarns noch kaum bekannt ist. Wir sollten genauer hinsehen.
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