Ich berichte seit Beginn der Ukraine-Krise über die Situation der Geflüchteten. Dazu unterstütze ich selbst mehrere Flüchtlinge. Das sind meine Erfahrungen mit dem völligen Chaos.

Frau L. ist ganz frisch in Wien kommen, sie stammt aus Saporischschja, einer Großstadt im Südosten der Ukraine. Ganz in der Nähe des größten Atomkraftwerks Europas, über das jüngst auch immer wieder in internationalen Medien zu lesen war. Die Front verläuft aktuell kurz vor der Stadt, dort kann Frau L. auf keinen Fall bleiben.

Ich unterstütze Frau L., wir kennen uns über gemeinsame ukrainische Freund*innen. Der erste logische Schritt: Wir müssen Frau L. in einem der Erstaufnahmezentren in Österreich registrieren. Doch das ist leichter gesagt als getan.

Widersprüchliche Informationen

Am 22. März versuche ich herauszufinden, wie ich derzeit in Wien Geflüchtete aus der Ukraine registrieren kann. Die erste Hürde: Herausfinden, ob aktuell überhaupt eine Registrierung möglich ist. Klingt banal, ist es leider überhaupt nicht.

Auf der Seite des Fonds Soziales Wien (FSW) finde ich die Information, dass im „Erfassungs- und Beratungszentrum im Austria Center Vienna“(ACV) Tickets ausgegeben würden. Also Nummern, mit denen dann eine Registrierung möglich wäre.

Schild beim ACV in russischer Sprache: „Liebe Gäste, Aufgrund der Überlastung bleibt unsere Einrichtung für heute geschlossen. Bitte kommen Sie an den folgenden Tagen wieder. Danke für das Verständnis!“ Bild: Michael Bonvalot

Unmittelbar danach folgt aber die Information, dass das Beratungszentrum aktuell für Neuaufnahmen geschlossen sei. Die beiden Informationen widersprechen sich offensichtlich. Anruf beim FSW. Mit der sehr netten Dame am Telefon spreche ich lange und versuche, konkrete Antworten zu bekommen. Sie hat leider auch keine Ahnung.

Meldezettel besorgen!

Schließlich verbindet sie mich an einen zuständigen Kollegen. Der ist ebenfalls sehr nett und offensichtlich fachlich zuständig. Faktisch weiß er aber auch nicht mehr – die Widersprüche lassen sich nicht auflösen.

Er gibt mir aber zumindest einen sehr wichtigen Hinweis: Alle Geflüchteten sollten sich so schnell wie möglich einen Meldezettel besorgen, das wäre noch wichtiger als die Erfassung. Denn das Datum des Meldezettels wäre das früheste Datum für den Zugang zur Grundversorgung. Wenn das so stimmt, frage ich mich, warum das nicht viel stärker kommuniziert wird.

Der Herr vom FSW meint auch, dass die Erfassung und die Beratung im ACV getrennt wären. Bei Frau L. geht es um die Erfassung, eine Beratung braucht sie nicht. Sie kann bei Verwandten in Wien unterkommen. Doch die Erfassung ist enorm wichtig, denn daran hängt die Arbeitserlaubnis und sie hat bereits einen Job in Aussicht. Ob also die Erfassung im ACV aktuell möglich ist?

Keine klaren Auskünfte

Der Herr vom FSW glaubt es schon. Auf Nachfrage sagt er dann aber: Sicher weiß er es eigentlich auch nicht. Und vielleicht wäre die Erfassung ja auch in der zweiten großen Wiener Erfassungsstelle in der Messe möglich. Die wurde auch medial breit beworben.

Warum die Erfassungsstelle Messe (Stand 24. März) auf der Informationsseite des FSW mit dem Titel „Anlaufstellen für vertriebene Menschen aus der Ukraine“ dann nicht einmal erwähnt wird? Es bleibt ein Rätsel.

Schließlich folgt der Vorschlag des FSW-Mitarbeiters: Ich solle doch persönlich zum ACV oder zur Messe fahren und selbst herausfinden, ob eine Registrierung möglich wäre. Wie stellen sich Bund und Stadt Wien vor, dass das weiter gehen soll?

Termin oder kein Termin?

Auf der zentralen Informationsseite des Innenministeriums sind dann zumindest beide Wiener Erfassungsstellen zu finden, ACV und Messe. Allerdings mit dem Hinweis: „Terminvergabe notwendig“. So steht es auch in vielen Medien. Wo der Termin zu bekommen ist? Kein Hinweis, es bleibt im Dunkeln. Für die zwei großen Zentren in Wien werden nicht einmal Telefonnummern genannt.

Und selbst da, wo für andere Bundesländer Telefonnummern genannt werden: Menschen, die vorwiegend ukrainisch oder russisch sprechen, sollen zuerst die Seite des österreichischen Innenministeriums finden. Dort sollen sie sich Telefonnummern heraussuchen und dann mit Personen Termine ausmachen, die Deutsch und vermutlich bestenfalls Englisch können. Ein schlechter Scherz.

Hier herrscht Chaos

Ein ukrainischer Freund erzählt mir, dass er vor einigen Tagen Verwandte bei der Registrierungsstelle am Flughafen Wien-Schwechat registrieren wollte. Die Beamten hätten ihm gesagt, dass das nur mit Termin geht. Wo er den Termin ausmachen kann? Das hätte niemand gewusst. Und auf einmal ging es dann auch ohne Termin.  Es ist offensichtlich: Hier herrscht Chaos.

Ab 23. März wurde dann auf der Seite des FSW zumindest die widersprüchliche Information bezüglich der Tickets für das ACV verändert – möglicherweise ist ja mein Anruf dafür mitverantwortlich. Nun herrscht zumindest Klarheit.

Keine Neu-Registrierung möglich. Angeblich.

Auf der Seite des FSW heißt es jetzt zum ACV: „Einlass aktuell nur mit einem Termin. Sobald das Beratungszentrum wieder für alle geöffnet ist, informieren wir Sie hier. Deshalb gilt aktuell: Personen, die bereits einen Beratungstermin hatten, werden vom FSW kontaktiert. Einlass nur mit Termin, aktuell keine Neuaufnahmen! Wir informieren Sie, sobald das Beratungszentrum wieder für alle geöffnet ist.“

Im Klartext: Es ist aktuell für geflüchtete Menschen laut FSW nicht einmal möglich, sich im ACV erfassen zu lassen. Einzig das sogenannte humanitäre Ankunftszentrum im zweiten Bezirk, das von der NGO „Train of Hope“ getragen wird, wird auf der Seite des FSW genannt. Hier findet ihr meine große Reportage aus dem Ankunftszentrum von Train of Hope.

Vor Ort ist alles ganz anders.

Doch jede Information über das Erfassungszentrum in der Messe fehlt auf der Seite des FSW. Und das ist ein entscheidendes Problem. Ich fahre also am 22. März persönlich zur Messe.

Dort sagt mir dann eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes, dass eine Terminvergabe überhaupt nicht notwendig wäre. Die flüchtenden Personen sollten einfach vorbeikommen, am besten am Vormittag bis zehn Uhr. Eine ganz andere Information also, als sie das Innenministerium offiziell ausgibt.

Wer ist zuständig?

Verantwortliche Personen sagen mir, dass ein Grund für die fehlenden Strukturen in Wien mangelndes Vertrauen der Stadt in den Bund wäre. Zuerst solle die Finanzierung geklärt werden, bevor Strukturen hochgefahren würden.

Falls das stimmt, dann müssen sich die Verantwortlichen endlich einigen. Denn aktuell sind die Leidtragenden die geflüchteten Menschen. Und das geht so nicht.

Die Lage am Hauptbahnhof

Währenddessen bekomme ich laufend Nachrichten über weitere Probleme. Über die zu Beginn katastrophale Lage am Wiener Hauptbahnhof hatte ich bereits berichtet, als die ersten Geflüchteten in Wien angekommen sind. Hier findet ihr meinen Bericht über die Lage vor Ort und die fehlenden Schlafräume, hier findet ihr meinen Bericht über Menschen, die aus einem Zug nach Deutschland geworfen wurden.

Bereits vor über einer Woche hatten ehrenamtliche Helfer*innen aus der Ukraine, Russland, Belarus und Österreich einen Hilferuf in Form eines offenen Briefs gestartet. Hier habe diesen offenen Brief veröffentlicht. Bei meinem letzten Besuch mit einer Frau aus der Ukraine Anfang der Woche hatte sich die Situation am Hauptbahnhof zumindest tagsüber deutlich entspannt.

Es sind wesentlich mehr Mitarbeiter*innen der Caritas vor Ort, die für die Strukturen am Hauptbahnhof verantwortlich ist. Alles wirkt inzwischen professioneller organisiert. Es gibt Essen, Tee und auch sehr nützliche Dinge wie Simkarten. Doch Yuliya, eine ehrenamtliche Helferin am Hauptbahnhof, erzählt mir, dass sie inzwischen völlig ausgebrannt wäre. Die Wienerin, die ursprünglich aus Belarus stammt, ist Krankenschwester.

„Die Menschen sind völlig erschöpft“

„Immer wieder kommen Kinder und Erwachsene mit hohem Fieber, Durchfall oder Erbrechen an“, erzählt mir Yuliya. „Die Menschen sind völlig erschöpft.“ Krankenschwester Yuliya kritisiert, dass zwar am späten Nachmittag und frühen Abend ein Bus der Caritas zur medizinischen Versorgung vor Ort wäre. Doch damit wäre keine durchgehende ärztliche Betreuung für die ankommenden Flüchtlinge gegeben.

Ein Caritas-Sprecher bestätigt, dass aktuell zwischen 17 und 21 Uhr ein Bus der Caritas zur medizinischen Versorgung vor Ort wäre. Hier fehlt offensichtlich ein Team der Wiener Berufsrettung oder einer anderen Rettungsorganisation.

Auch die Übersetzungsarbeit würde primär von Freiwilligen übernommen. „Vor allem am Abend haben wir viel zu wenige Übersetzer*innen. Da brauchen wir dringend Hilfe.“

Von der Caritas, die die Strukturen am Hauptbahnhof organisiert, wünscht sich Yuliya eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Freiwilligen. Sie sieht auch die Gefahr, dass Menschen aufgrund fehlender Strukturen und Unterkünfte Opfer von Menschenhändlern werden könnten.

Wo sind die Wohnungen?

Apropos Unterkünfte. Auch hier dürfte einiges im Argen liegen. „Ich kenne Leute, die haben ihre Wohnungen vor knapp vier Wochen bei der zuständigen Bundesbetreuungsagentur (BBU) angemeldet. Bis heute haben sie keine Rückmeldung bekommen. Doch gleichzeitig werden Menschen in furchtbare Massenunterkünfte geschickt „, erzählt Yuliya. Das deckt sich mit anderen Berichten.

In einem Hilferuf an die Öffentlichkeit mit dem Titel „Der Bund versagt „schreibt Train of Hope am 22. März: „Derzeit erfolgt die Unterbringung in geeigneten Unterkünften durch den Bund nur sehr schleppend – und das, obwohl etliche Privatpersonen bereits vor Wochen Wohnraum angeboten haben, bereit wären, Familien aufzunehmen und seit Wochen nun vergebens auf Rückmeldung von der BBU warten. Leidtragende sind hier vor allem kleine Kinder, die mit ihren Familien teilweise nicht kindgerecht in großen Hallen untergebracht und notdürftig betreut werden.“

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Ein ukrainischer Freund, der schon länger in Wien lebt, schreibt mir gleichzeitig, dass er nun endlich eine Wohnung für geflüchtete Verwandte gefunden hätte. Aber nicht über die BBU. Er hätte dafür alle großen NGOs direkt kontaktieren müssen, irgendwo hätte es dann geklappt.

Der Bund versagt

Es ist völlig klar, dass in einer großen und unerwarteten Krise nicht alles sofort reibungslos funktioniert. Doch der russische Einmarsch in die Ukraine hat am 24. Februar begonnen, vor einem Monat. Das Mindeste, was inzwischen zu erwarten wäre: Korrekte Informationen, funktionierende Grundstrukturen, die Verteilung des vorhandenen Wohnraums und ein niedrigschwelliger Zugang zur Erfassung.

Die Erfassung von Frau L. hat übrigens schließlich geklappt. Am 23. März stand sie ab 7.30 Uhr vor der Messe, wie sie mir erzählt. Da hatten sich bereits lange Schlangen gebildet – unter den geflüchteten Menschen gibt es offenbar Mund-zu-Mund-Informationen die besser funktioniert als die Infos durch die Behörden. Um zehn Uhr kommt auch Frau L. endlich dran. Ich bin bei ihr, als wir es schaffen, sie zu registrieren. Endlich. Wir sind erleichtert.

Das Chaos muss gelöst werden

Die Informationen der Behörden hätten Frau L. nicht nur nicht unterstützt. Im Gegenteil: Die zahlreichen Falsch- und Gar-Nicht-Informationen hätten sie sogar von der Registrierung abgehalten. Gemeinsam haben wir es geschafft.

Doch: Ich bin Journalist und Sozialarbeiter. Ich spreche muttersprachlich Deutsch, ich kann recherchieren und weiß, wo ich Informationen finde. Ich kann mit Behörden verhandeln und kann mich da auch durchsetzen. Wie sollen das Geflüchtete aus der Ukraine schaffen?

Derzeit herrscht Chaos. Und das muss dringend gelöst werden.

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