Die Aussagen auf einer Identitären-Party in Wien sind an Widerlichkeit nicht zu überbieten. Den Holocaust hätte es gar nicht gegeben, behauptet die rechte Aktivistin. Doch wenn, dann würde sie ihn ohnehin „geil“ finden. Und sie fordert einen Massenmord an muslimischen Menschen in Deutschland, sie nennt das ein „Srebrenica 2.0“. Im bosnischen Ort Srebrenica hatten serbische Soldaten und Paramilitärs im Juli 1995 über 8000 muslimische Bosnier in einem Genozid ermordet.
Die Party mit diesen ekelerregenden Aussagen findet rund um den Aufmarsch der neofaschistischen Gruppe Identitäre am 20. Juli 2024 in Wien statt, dokumentiert von Undercover-Reporterinnen von RTL. In einem bekannten Haus der rechten Szene Wiens. Alles über die Hintergründe zur Party und die in der Doku gezeigten Treffpunkte der Identitären in Wien habe ich hier für euch aufgeschrieben. Die neofaschistischen Identitären und ihre Verbündeten versuchen nun, sich irgendwie aus dieser widerlichen Geschichte heraus zu reden.
Entweder behaupten sie, dass die rechte Aktivistin eine „eingeschleuste Agentin“ wäre oder sie stellen eine psychische Erkrankung in den Raum. Doch das solche Aussagen gerade bei den Identitären fallen, ist kein Zufall. Tatsächlich ist es nur der letzte Vorfall in einer langen Reihe von beunruhigenden – und oft enorm gefährlichen – Ereignissen rund um diese Truppe.
Das geplante Attentat auf das Wiener Volksstimmefest
Im Oktober 2022 verurteilte das Oberlandesgericht Wien einen Mann zu fünf Jahren unbedingter Haft. Er hatte einen Anschlag auf das linke Volksstimmefest in Wien geplant, dazu hatte er auch detaillierte Feindeslisten angelegt. Er hatte sogar bereits erfolgreiche Sprengübungen durchgeführt. Die Behörden allerdings hatten offensichtlich kein Interesse daran, die Öffentlichkeit über die Verhaftung eines verhinderten Rechtsterroristen zu informieren.
Ich habe die Information erst im Verfassungsschutzbericht entdeckt, zahlreiche Medien haben meine Recherche danach aufgegriffen. Hier könnt ihr meine Recherche lesen. Der Mann war laut Behörden ein langjähriger Anhänger der Identitäre Bewegung Österreich (IBÖ).
Der mutmaßliche Terrorist hätte den Identitären auch mehrmals Geld gespendet. Laut Verfassungsschutz seien dazu “zahlreiche Kontakte zu Mitgliedern der IBÖ festgestellt” worden. Auch in Chatgruppen der IBÖ sei der Mann äußerst aktiv gewesen.
Die Terrorgruppe „Feuerkrieg“, die Morde von Bratislava und die Identitären
Im Mai 2023 dann der nächste Fall. Da geben die Behörden bekannt, dass sie ein mutmaßliches Mitglied der Neonazi-Terrorgruppe „Feuerkrieg Division“ in Wien aufgespürt hätten. Bei einer Hausdurchsuchung wurden Schusswaffen, eine Hakenkreuz-Fahne sowie andere NS-Devotionalien sichergestellt.
Anhaltspunkte für Aktivitäten dieser Terrororganisation gab es in Wien bereits 2019, wo erstmals Plakate der Gruppe auftauchten. Hier könnt ihr meine Recherche dazu lesen. Rund um den Prozess im Mai 2024 stellt sich dann heraus: Der Feuerkrieg-Mann war ein Aktivist der Identitären Bewegung Österreich. Und die rechtzeitige Verhaftung hatte möglicherweise ein Attentat verhindert.
Denn im Oktober 2022 hatte ein Faschist in Bratislava die zwei jungen Männer Juraj und Matúš ermordet, weil sie vor einer LGBTI+-Bar saßen. Laut Verfassungsschutz ergab die Auswertung der elektronischen Datenträger des österreichischen Feuerkrieg-Mannes, dass er mit dem Mentor des Attentäters von Bratislava in einer gemeinsamen Chat-Gruppe gewesen war. Meinen Bericht aus Bratislava über den Mord an Juraj und Matúš könnt ihr hier lesen.
Jetzt Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen!
Sellner und der Massenmörder
Und auch Identitären-Gesicht Martin Sellner selbst hatte bereits nachweislich Kontakt zu einem späteren faschistischen Massenmörder. Im März 2019 hatte der Faschist B.T. im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen in einer Moschee ermordet.
Der Massenmörder hatte vor dem Attentat mehrmals Geld an den französischen und den deutschen Ableger der Identitären gespendet – und auch Sellner persönlich erhielt von ihm rund 1500 Euro. “Er ermutigte auch andere, an Martin Sellner zu spenden”, heißt es im Untersuchungsbericht der neuseeländischen Behörden. Sellner schreibt dem späteren Massenmörder nach dessen Geldspende, dass ihm B.T. “Energie und Motivation” geben würde.
Kurz danach besucht B.T. sogar Wien und Österreich. Bei seinem Attentat in Neuseeland bezieht er sich dann etliche Male auf „identitäre“ Parolen, auf Wien und Österreich. Hier könnt ihr meine Recherche lesen, wie eng die Beziehung des Attentäters von Christchurch zu den Identitären war.
Die Geschichte der Identitären beginnt mit einem Attentat
Sogar die Geschichte der Identitären beginnt mit einem Mordversuch. Im Juli 2002 versuchte der französische rechte Aktivist Maxime Bruniere, den damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac mit einem Gewehr zu erschießen.
Der Schuss verfehlte Chirac. Bruniere war Anhänger der faschistischen Organisation Unité radicale (UR, Radikale Union) – nach dem gescheiterten Attentat wurde die UR allerdings von den Behörden aufgelöst. Die Reaktion der Gruppe: Die Kader der UR führen die Truppe ab August 2002 einfach unter einem anderen Namen weiter. Der Name ihrer neuen Organisation: „Bloc identitaire“, also: Der „Identitäre Block“.
Mutmaßliche Mordserie in Frankreich
Die Gruppe baut sich in weiterer Folge in Frankreich langsam auf, Schwerpunkt ist das noble Nizza an der französischen Mittelmeerküste. Doch auch in anderen Regionen werden Strukturen aufgebaut. Und die Gruppe bleibt offenbar lebensgefährlich. Zwischen 2010 und 2011 werden in der nordfranzösischen Stadt Lille fünf Männer tot in der Deûle gefunden, dem Fluss, der die Stadt durchquert. Die Stadt ist ebenfalls ein Schwerpunkt-Gebiet der Identitären – lange Jahre hatten sie dort auch ein öffentliches Zentrum, wo sie unter anderem Kampfsport für den „Endkampf“ trainierten.
Die Behörden tun die Toten als Unfall oder Suizid ab – obwohl es schon damals Hinweise auf homophobe Serienmörder gibt. Eine Polizistin soll sogar eine Beziehung mit einem der mutmaßlichen Täter gehabt haben, wie Charlie Hebdo berichtet. Doch dann wird klar, dass zumindest eines der Opfer, der bekannte Linke Hervé Rybarczyk, ermordet wurde. Die Täter sollen laut Zeit „langjährige Anhänger der Identitären Bewegung sein“. Szenenwechsel nach Österreich.
Österreichische Nazis und die Gründung der Identitären
Du kannst das folgende Banner mit einem Klick auf das X wegdrücken und weiterlesen! Oder Du kannst davor noch Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen!
Anfang der 2010er Jahre beginnen Nachwuchs-Neonazis rund um den Niederösterreicher Martin Sellner mit einer strategischen Neuorientierung. Sie sehen das offensichtliche Problem der Nazi-Szene: Die Führungskader gehen mit dem österreichischen NS-Verbotsgesetz immer wieder für Jahre ins Gefängnis.
So zerschlagen die Behörden genau in dieser Zeit die Nazi-Homepage Alpen-Donau rund um Neonazi Gottfried Küssel – Küssel und einige andere gehen danach für Jahre ins Gefängnis. Sellner gilt damals als Nachwuchshoffnung der österreichischen Nazi-Szene und hatte auch selbst Hakenkreuze geklebt, darunter sogar auf die Synagoge in Baden bei Wien.
Ein schneller Richtungswechsel
Doch beim Alpen-Donau-Verfahren gehört Sellner nicht zu den Angeklagten und es gilt die Unschuldsvermutung. Dennoch sicherlich eine einschneidende Erfahrung für den damaligen Jungnazi. Dazu erkennt die Gruppe rund um Sellner, dass die alten Nazi-Parolen in der breiteren Öffentlichkeit einfach nicht mehr ziehen und auch viele potentielle Rekruten abschrecken.
Die Gruppe – ein großer Teil von ihnen deutschnationale Burschenschafter und Verbindungsstudenten – fasst nun einen Plan: Sie werden eine neue Gruppe gründen. Sie nennen sich „identitär“ und verzichten in der Öffentlichkeit auf NS-Parolen. Ihre einschlägige Geschichte aber können sie nicht verleugnen.
Blut soll fließen
Sellner versucht seine Verwandlung vom Nazi zum „Identitären“ dann 2014 in einem langen – und langatmigen – Text zu erklären. Doch schon der Titel dieses Textes zeigt die einschlägige Positionierung. Denn Sellner nennt seine Zeilen „Geständnis einer Maske“. Und das ist eine eindeutige Referenz an den japanischen Faschisten Yukio Mishima, dessen bekanntestes Werk den Titel „Bekenntnisse einer Maske“ trägt.
Mishima war ein bekannter faschistischer Kader im Nachkriegs-Japan, 1970 tötete er sich nach einem gescheiterten (und äußerst bizarren) Putschversuch selbst. Dass der Titel von Sellners Text kein Zufall ist, zeigen zahlreiche positive Postings, die er im Lauf der Jahre über Mishima veröffentlicht. So schreibt er etwa: „Ich mag Japan extrem gern wegen Mishima“. Alles über den gefährlichen Mishima-Kult der Identitären habe ich hier für euch aufgeschrieben.
Im Online-Shop der Identitären werden sogar eigene Fanartikel für den japanischen Faschisten verkauft. Etwa ein T-Shirt mit dem Mishima-Zitat: „Verwandle dein Leben in eine Gedichtzeile, geschrieben mit einem Spritzer Blut.“ Und genau diese blutige Militanz zieht einschlägige Gestalten an.
Dazu passt auch ein zentraler Slogan der Gruppe: Die Reconquista, also die christliche Eroberung Spaniens. Tatsächlich war ein zentrales Element der Reconquista die Vertreibung, Unterdrückung oder Ermordung der muslimischen und jüdischen Bevölkerung Spaniens.
Sie bleiben Faschist:innen
Doch gleichzeitig zeigt die Mishima-Verehrung auch das tatsächliche Gesicht der Identitären. Sie bleiben Faschist:innen. Doch sie vollziehen eine taktische Wende. Nun reden sie nicht mehr über die Nazis, stattdessen beziehen sie sich auf japanische, französische oder italienische Faschist:innen. Oder auch auf die deutschen Faschisten der sogenannten „Konservativen Revolution“.
Der Plan: Das NS-Verbotsgesetz umgehen und in der breiteren Öffentlichkeit harmlos wirken. Denn die Faschist:innen, über die Identitären jetzt sprechen, sind in der breiten Öffentlichkeit meist wenig bis gar nicht bekannt. Hier habe ich für euch aufgeschrieben, warum Österreich rechtlich eigentlich dazu verpflichtet wäre, alle faschistischen Organisationen aufzulösen.
Das Identitären-Zentrum in Wien bezieht sich auf einen Hitler-Verehrer
Ein gutes Beispiel dafür ist das Wiener Zentrum der Identitären, die „Rautenklause“. Unter anderem dort hatte die identitäre Holocaust-Leugnerin mit den Undercover-Reporterinnen von RTL gesprochen. Namensgeber für dieses Zentrum ist der Faschist Ernst Jünger, der den Namen „Rautenklause“ einst als Begriff für einen zeitweiligen Rückzugsort geprägt hatte. Jünger war ein früherer Hitler-Verehrer.
Später allerdings entfernte er sich zeitweilig von den Nazis. Sie waren ihm zu wenig terroristisch. Es ist bezeichnend, dass die Identitären ihr Wiener Zentrum gerade nach diesem Mann benennen. In Wien – und auch in ihrem Zentrum in Steyregg bei Linz organisieren die Identitären ebenfalls regelmäßig Kampfsport-Trainings. Genauso wie in Lille in Frankreich. Alles über die Rautenklause, Jünger und die Verbindungen in die FPÖ-Spitze habe ich hier für euch recherchiert. Meine Video-Reportage aus Steyregg könnt ihr hier ansehen.
Regelmäßige Übergriffe bei Veranstaltungen
Und auch rund um Aufmärsche der Identitären gibt es immer wieder Übergriffe. So greifen Identitäre etwa nach einem Aufmarsch im Juni 2015 am Wiener Praterstern eine Gruppe von Antifaschist:innen an. Ich bin vor Ort und dokumentiere. Danach wird auf dem einschlägigen Forum „Altermedia“ bedauert, warum die Gelegenheit nicht genützt worden sei, um auch mich zu „verarzten“. Auch nach einem Aufmarsch in Graz im Jänner 2016 werden mehrere Antifaschist:innen von bekannten Kadern der Gruppe attackiert, unter anderem mit einem „Totschläger“. Die Antifaschist:innen können den Angriff abwehren.
Hände vor der Kamera, Schirme, Personen stellen sich in den Weg, Stöße. So sieht derzeit journalistische Berichterstattung bei einem neofaschistischen Aufmarsch in Wien aus. #w2904 pic.twitter.com/qLEcXFSVjF
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 29, 2023
Bei meinen Vor-Ort-Berichten über Aufmärsche der Identitären werde ich laufend an der Berichterstattung gehindert und attackiert. Der nächste Prozess, den ich deshalb gegen zwei Identitäre wegen Nötigung führen muss, wird im September 2024 in Wien verhandelt. Hier kannst Du diesen Prozess finanziell unterstützen!
Lächerliche Ausreden
Die Ausreden der rechten Szene nach den jüngsten Holocaust-Leugnungen sind bestenfalls lächerlich. Die einschlägige Plattform „Info Direkt“ aus Oberösterreich etwa will wissen, dass die Frau “ bewusst eingeschleust“ worden wäre, um der „patriotischen Bewegung zu schaden“. Der „Beweis“? Sie hätte zwischen Mai und Juli 2024 an vielen rechten Veranstaltungen teilgenommen. Ein interessantes Verständnis vom rechtem Aktivismus. Offenbar gilt in diesen Kreisen: Je weniger, desto besser.
Und Identitären-Gesicht Martin Sellner fantasiert in einer Audio-Botschaft davon, dass die Frau entweder eine eingeschleuste Provokateurin wäre oder psychisch krank. Wie praktisch. Die Fakten sprechen dagegen eine ganz andere Sprache.
Tatsächlich finden sich solche einschlägigen Personen regelmäßig rund um die Identitären. Die Identitären ziehen solche Personen offensichtlich an wie die Scheiße die Fliegen. Und das ist kein Zufall. Diese Gruppe ist gefährlich.
Diese Recherche war viel Arbeit. Wieviel ist Dir guter Journalismus wert?
Standpunkt.press wird ausschließlich über Deine Spenden finanziert. Schon ab fünf Euro kannst Du einen wichtigen Beitrag leisten. Und wenn Du standpunkt.press künftig monatlich unterstützt, können in Zukunft noch viel mehr Recherchen erscheinen. Vielen Dank!
• Spendenkonto – monatlich/einmalig:
IBAN: AT64 1420 0200 1026 2551
BIC: BAWAATWW
Easy Bank, 1100 Wien
Kontoinhaber: Michael Bonvalot
(Bitte die Mailadresse als Verwendungszweck, damit ich Dich bei technischen Fragen erreichen kann!)
• Kreditkarte und Paypal – monatlich/einmalig:
• Steady – monatlich: Klick hier für Steady!
[Steady zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]
• Patreon – monatlich: Klick hier für Patreon!
[Patreon zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]
Vielen Dank für Deine Unterstützung!