Um Abschiebungen nach Afghanistan zu verhindern, haben Menschenrechts-AktivistInnen die Flughafen-Autobahn A4 blockiert. Ich habe die AktivistInnen an diesem Tag exklusiv begleitet – so haben sie die Blockade geplant und umgesetzt.

Der Wecker läutet noch vor fünf Uhr in der Früh. In Wien ist es noch dunkel, die Kälte der Nacht frisst sich in die Beine. Heute ist Dienstag, der 30. März. Ein schneller Kaffee, ein paar Mal umsteigen und ich sitze in der Schnellbahn zum Flughafen. Dort werde ich weitere Instruktionen bekommen.

Einige Wochen zuvor wurde ich kontaktiert. Für den 30. März wäre eine Sammel-Abschiebung von Menschen ins Kriegsgebiet Afghanistan geplant. Ob ich darüber berichten wollen würde? Ich sage sofort zu, mit mehreren Aktivistinnen telefoniere und schreibe ich in den Tagen danach über sichere Kanäle. Die Menschenrechts-AktivistInnen wollen eine Aktion beim Flughafen starten.

„Vor allen Reisen wird gewarnt!“

Rund 45 Menschen sollen an diesem Dienstag nach Afghanistan abgeschoben werden, davon 15 aus Österreich. Das österreichische Außenministerium sagt zur Situation in Afghanistan: „Bestehendes Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen und kriminellen Übergriffen einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle im ganzen Land.“

Bild: Michael Bonvalot

Für ganz Afghanistan gilt laut österreichischen Behörden eine Reisewarnung. Dazu die höchstmögliche Sicherheitsstufe 6, das bedeutet: „Vor allen Reisen wird gewarnt!“ Und dorthin wollen die österreichischen Behörden Menschen abschieben?

Die AktivistInnen bereiten sich vor

Inzwischen bin ich am Flughafen angekommen. Ein kurzes Telefongespräch über die sichere Plattform Signal, dann holt mich eine Aktivistin mit dem Auto ab. Wir fahren rund zehn Minuten zu einem Punkt am westlichen Ende des Flughafens. Hier ist eine Brücke über die Autobahn. Es fällt sofort auf: Sowohl die Flughafen-Autobahn A4 wie die Bundesstraße S9 könnten an dieser Stelle lahmgelegt werden.

Weitere AktivistInnen treffen sich währenddessen am östlichen Ende des Flughafens. Kurz vor sieben Uhr kommen wir in einem Waldstück neben der Autobahn an. Dort haben sich bereits rund 70 Menschenrechts-AktivistInnen versammelt.

„Wir gehen jetzt los!“

Die Stimmung ist noch recht entspannt. Manche essen eine Kleinigkeit, andere bereiten sich vor, einige überprüfen Klettergurte und Gerät. Die Leute sind nett, mit einigen führe ich kurze Gespräche. Sie erzählen mir, warum es ihnen wichtig ist, heute hier zu sein. „Ich will und kann einfach nicht länger nur zu sehen, wenn Menschen in die Hölle abgeschoben werden“, sagt etwa Stefan.

Bild: Michael Bonvalot

Ich kann mich überall frei bewegen, die einzige Bitte: Nichts zu veröffentlichen, bis die Aktion steht. Daran halte ich mich selbstverständlich. Kurz nach acht Uhr beginnt es, eine Aktivistin ruft: „Wir gehen jetzt los!“ Letzte Informationen werden ausgetauscht, dann kommt Bewegung in die Gruppe. Jetzt muss es schnell gehen. Wir gehen zur Brücke über der Autobahn.

Jetzt muss es schnell gehen

Auf der Brücke beginnen zwei AktivistInnen sofort, sich abzuseilen. Sie haben Klettergurte und entsprechendes Gerät. Direkt unter ihnen brausen inzwischen schwere LKWs über die Autobahn. Es sieht extrem mutig aus, was die AktivistInnen hier tun. Das Risiko ist aber offensichtlich kalkuliert: Sie seilen sich nur soweit ab, dass sie von den LKWs nicht getroffen werden können.

Bild: Michael Bonvalot

Andere AktivistInnen hängen inzwischen Transparente über die Autobahn. Diese Transparente herunterzureißen wird übrigens das erste sein, was die Polizei nach ihrem Eintreffen tun wird. Eine zweite Gruppe blockiert inzwischen wenige Meter weiter die Bundesstraße S9, die Hainburger Straße. Die AktivistInnen hatten dafür extra eine Holzkonstruktion gebaut, die sie nun auf die Straße rollen.

Bild: Michael Bonvalot

Dazu spannen sie quer über die Straße zwei große Transparente. „Abschiebungen stoppen“ steht darauf und „Abschiebung ist Mord! #Afghanistanisnotsafe“. Schließlich werden noch Fässer und eine Badewanne mit Betonfüllung auf die Straße gerollt.

„Achtung Menschen auf der Fahrbahn“

Kurz nach dem Beginn der Blockade fährt ein erstes Polizeiauto mit Blaulicht und quietschenden Reifen vorbei. Am Rand der Autobahn selbst stoppt nach kurzer Zeit ein Auto der Autobahn-Betriebsgesellschaft Asfinag und zeigt eine Leuchtschrift mit der Aufschrift „Langsam fahren“. Ganz durchdacht ist die Aktion aber offensichtlich nicht: Das Auto steht nur wenige Meter vor der Autobahn-Brücke. Niemand könnte zeitgerecht runterbremsen.

Auch die AktivistInnen selbst haben als Warnhinweis ein Transparent über die Autobahn-Brücke gespannt: „Achtung – Menschen auf der Fahrbahn – Langsam fahren“. Doch trotz der abgeseilten AktivistInnen wird die Autobahn noch lange nicht gesperrt. Erst gegen 9.15, rund eine Stunde nach Beginn der Aktion, wird der Verkehr schließlich gestoppt.

Journalistische Berichterstattung soll verhindert werden

Inzwischen trifft auch immer mehr Polizei ein. Einzelne Polizisten agieren äußerst ruppig, stoßen AktivistInnen und versuchen auch, die journalistische Berichterstattung zu verhindern. Ich bin klar als Journalist erkennbar und trage offen meinen Presseausweis. Dennoch versucht ein Offizier immer wieder, mich von der Brücke zu vertreiben, wo die AktivistInnen abgeseilt sind.

Sogar meine Tasche wird zwangsweise durchsucht mit der absurden Begründung, ich könne eine Waffe bei mir tragen. Ein Kollege, der fotografiert, wird zeitweise überhaupt daran gehindert, auf die Brücke zu kommen.

Die Feuerwehr trifft ein

Gegen 10.15h trifft schließlich ein Fahrzeug der Feuerwehr Schwechat mit einer Leiter ein. Die zwei AktivistInnen werden von der Brücke geholt, sie wehren sich nicht. Im Gegenteil: Ich sehe, wie einer der beiden selbst und freiwillig die Karabiner löst, mit denen er sich fixiert hat. Kurz danach wird auch die Flughafen-Autobahn wieder für den Verkehr freigegeben. Ob es allerdings tatsächlich die ursächliche Aufgabe der Feuerwehr ist, einen Protest gegen Abschiebungen zu verhindern, darüber könnte – und müsste – wohl diskutiert werden.

Direkt nebenan ist die Bundesstraße S9 allerdings weiterhin blockiert. Hier wird die Polizei nun zunehmend rüde. Ich sehe mehrmals, wie Polizisten einzelne AktivistInnen stoßen. Gegen 13 Uhr 30 löst die Polizei die Blockade schließlich endgültig auf. Zahlreiche AktivistInnen werden festgenommen und noch mehrere Stunden im Polizeianhaltezentrum am Flughafen gefangen gehalten.

Zahlreiche Festnahmen

Die Bilanz des Tages: Nach eigenen Angaben hat die Polizei insgesamt 76 Menschen festgenommen und dutzende Menschenrechts-AktivistInnen angezeigt. Gleichzeitig beginnt auch eine mediale Kampagne. So lässt die Polizei verlautbaren, dass einige der Menschen, die abgeschoben werden sollten, strafrechtlich relevante Verurteilungen hätten.

Wie diese Verurteilungen jeweils zustande gekommen sind, für welche ganz konkreten Vergehen die Menschen verurteilt wurden und wie lange die Verurteilungen jeweils zurückliegen, erfahren wir nicht. An einem Beispiel: Die Polizei spricht etwa von Verurteilungen wegen Suchtmitteldelikten. Eventuell waren das schlichtweg ein paar Gramm Dope – etwas was in Österreich weit verbreitet und in immer mehr Staaten der Welt völlig legal ist. Wir wissen es nicht. Doch rechte Boulevard-Medien greifen den Spin sofort dankbar auf.

Philippa vom Bündnis „Bleiberecht für alle“ sagt dazu: „Abschiebungen in lebensgefährliche Länder zusätzlich zu einer strafrechtlichen Verurteilung sind eine inakzeptable Form nicht-rechtsstaatlicher Doppelbestrafung.“ Die Erzählung, dass überwiegend StraftäterInnen abgeschoben werden sollten, ist für sie „eine gut durchdachte gefährliche Strategie rassistischer Politik, die dazu verleiten soll wegzuschauen, weil es ja ‚die Richtigen‘ trifft.“

Blockieren gegen Abschiebungen?

Bereits in den Tagen vor der Blockade spreche ich mit mehreren AktivistInnen darüber, ob die Blockade einer Autobahn tatsächlich der beste Weg ist, um auf Abschiebungen aufmerksam zu machen. L. antwortet: „ich weiß, dass daran Kritik kommen wird. Ich weiß, dass rechte Medien toben werden. Doch was sollen wir sonst noch tun, wenn Menschen mitten in die Hölle des Krieges abgeschoben werden?“

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Bild: Michael Bonvalot

Gleichzeitig drehen die Aktivistinnen den Spieß um. Gäbe es keine Abschiebungen, müsste auch nicht dagegen protestiert werden. Mara Lund etwa sagt: „Wir machen heute nicht nur die Regierung, sondern auch die Fluggesellschaften für diese rassistische Praxis sowie Flughäfen als Orte der Klimazerstörung verantwortlich. Jede Fluglinie und sogar die Crew an Bord hätte die Möglichkeit, nicht an solchen Abschiebungen mitzuwirken und damit ein Zeichen der Solidarität zu setzen.“

Und Philippa erklärt: „Natürlich ging es uns nicht darum Staus zu produzieren. Hätten wir aber auf dieses täglich passierende Unrecht nicht so stark aufmerksam gemacht, wären schon wieder 45 Menschen unbemerkt in ein lebensgefährliches Kriegsgebiet abgeschoben worden.“ Bei dieser mörderischen Politik wollen die Aktivistinnen einfach nicht mehr zuschauen, wie Philippa sagt: „Menschenrechte sind unteilbar und hören auch nicht an Grenzen auf.“

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