Die Identitären wollten im Sommer in Wien die „größte patriotische Demo der zweiten Republik“ abhalten. Der Sommer ist vorbei – der rechte Aufmarsch hat nicht stattgefunden. Was ist denn da schiefgegangen?
Die Ankündigungen der Identitären waren großmäulig. Die „größte patriotische Demo der zweiten Republik“ solle im Spätsommer 2020 in Wien stattfinden. Mit „mindestens 5.000 Teilnehmern“. So wollte es im Jänner 2020 zumindest die Plattform „Tagesstimme“ wissen – das Sprachrohr der neofaschistischen Gruppe Identitäre. Ähnlich tönte die Gruppe auf anderen Plattformen.
Auf der Seite der Identitären-Tarnorganisation „Die Österreicher“ hieß es, die Gruppe wolle im Spätsommer 2020 „die größte patriotische Demo gegen den Bevölkerungsaustausch veranstalten, die unser Land je gesehen hat“. Der „entscheidende Punkt“ dieser Mobilisierung sei: „Erst wenn uns 5.000 Leute fix zugesagt haben, werden wir die Veranstaltung anmelden.“ Der Sommer 2020 ist nun aber ganz eindeutig vorbei – vom Aufmarsch der Identitären keine Spur.
Auf der Seite der identitären Tarngruppe „Österreicher“ wurde der Artikel inzwischen stillschweigend verändert. Die Angabe, wann der Aufmarsch stattfinden soll, wurde schlichtweg gelöscht. Nun heißt es nur noch verschämt, dass der Aufmarsch angemeldet würde, wenn 5000 Personen fix zugesagt hätten.
Dann wolle die Gruppe am Wiener Heldenplatz auf die Straße gehen. Es ist auch der Platz, wo Adolf Hitler 1938 den „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich verkündet hatte.
Gerade einmal knapp 1000 Zusagen
Laut eigenen Angaben gibt es mit Anfang September nur knapp über 1000 Zusagen – gerade einmal ein Fünftel jener 5000 Personen, die die Gruppe bereits „im Spätsommer“ auf die Straße bringen wollte. Und bei den rund 1000 Zusagen müssen vermutlich auch einige AntifaschistInnen mitgezählt werden, die sich so über neofaschistische Aktivitäten informieren wollen.
Auch das Mobilisierungsvideo zum Aufmarsch ist inzwischen von der Seite verschwunden. Die Überschrift zum Aufmarsch lautet zwar weiterhin: „Unser Weg führt Patrioten auf die Straße“. Aber so einfach ist es offenbar doch nicht.
Größte Demo aller Zeiten. Oder so.
In internen Papieren der Identitären wurde der geplante Aufmarsch zuvor als zentrale Mobilisierung verkauft. So veröffentlichte etwa die Identitären-Tarnorganisation „Österreicher“ am 26. November 2019 ein internes Papier, das die Plattform Addendum veröffentlicht hat. Der Aufmarsch solle die erste Kampagne der neuen Tarnorganisation werden. Der äußerst großmäulige Arbeitstitel: „Die Befreiung Wiens“.
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Das Ziel der Mobilisierung wurde in diesem Papier so beschrieben: „In einem Zeitraum von max 1 Jahren soll über Basisaktivismus ein Potential von mindestens 3000 Patrioten nach Wien mobilisiert werden.“ Mindestens „3500 qualifizierten Kontakten „solle ein „Versprechen zur Teilnahme [an?] der Großkundgebung abgenommen“ werden. [Alle Fehler im Original.]
Nun wäre das eine Jahr erst am 26. November 2020 abgelaufen. Doch offensichtlich reichte dieses erste interne Ziel den NeofaschistInnen noch nicht. Denn öffentlich sollten es kurz danach eben bereits 5000 TeilnehmerInnen und der Spätsommer 2020 werden. Und mit dieser Ankündigung ist die Gruppe offensichtlich massiv gescheitert.
Update: Inzwischen rudert IB-Gesicht Martin Sellner auch via Youtube nochmals zurück. Am 4. Oktober nennt er nicht einmal mehr einen Zeitraum, sondern sagt nur noch, dass 5000 Personen zusammen kommen müssten. Doch „soweit sind wir noch lange nicht“, so Sellner, es sei ein „langfristiges Ziel“.
Identitäre Aufmärsche in Wien im Herbst
Dennoch ist die Gruppe nicht völlig untätig. So haben im September und Oktober in Wien zwei Aufmärsche stattgefunden. (Der folgende Absatz ist aktualisiert.) Am 12. September ist die Gruppe gemeinsam mit Verbündeten zum wiederholten Mal am Rand der Stadt am Kahlenberg aufmarschiert. Als Vorwand diente die sogenannte „Türkenbelagerung“, also die Belagerung Wiens durch Truppen des Osmanischen Reiches im Jahr 1683. Hier könnt ihr meinen Bericht von diesem Aufmarsch lesen.
Und am 3. Oktober marschierte die rechte Truppe mit einer „Kundgebung gegen den Bevölkerungsaustausch“, der am Wiener Michaelerplatz begann. Ursprünglich war als Aufmarschpunkt der weit größere Stephansplatz genannt – das wurde stillschweigend verändert. Hier könnt ihr den Bericht von diesem Mini-Aufmarsch lesen. Bei beiden Aufmärschen war die Beteiligung allerdings extrem gering.
Sind die Identitären tot?
Manche verkünden aktuell bereits den Tod der Identitären – das aber wäre sicher deutlich verfrüht, wie auch die jetzigen kleineren Mobilisierungen zeigen. Die Gruppe ist in Österreich weiterhin aktiv und hat in mehreren Städten wohl auch eine gewisse Konsolidierung geschafft.
Im September etwa sind Veranstaltungen in Wien, Graz, Linz, Wels, Ried, Wiener Neustadt, Vöcklabruck, Voitsberg sowie der Südost-Steiermark angekündigt. Das ist nicht wenig, eine Entwarnung ist nicht angesagt.
Dazu kommen immer wieder öffentliche Mini-Kundgebungen, jüngst etwa in Graz, Salzburg oder Linz – fast immer konfrontiert mit antifaschistischen Protesten. In Wien wurden erst Ende August 14 AntifaschistInnen vor Gericht freigesprochen. Sie waren angeklagt, weil sie gegen eine solche Mini-Kundgebung der Identitären in Wien protestiert hatten. Ich selbst habe vor Gericht auch als Zeuge ausgesagt. Hier könnt ihr mehr zu dieser absurden Anklage lesen.
In Wien versucht die Identitären dazu, ihre Strukturen zu verfestigen. Im 5. Bezirk hat die Gruppe offenbar einen Keller angekauft, der bereits seit einiger Zeit renoviert wird. Hier könnt ihr alles über dieses geplante Zentrum und den Widerstand dagegen lesen.
Thread! Die neofaschistische Gruppe "Identitäre" will im Keller eines Hauses in der Wiener Ramperstorffergasse ein neues Zentrum aufbauen. Aktuell soll der Keller in Wien-Margareten intensiv renoviert werden, auch bekannte Kader der Gruppe sollen anwesend sein. … pic.twitter.com/cLl4mv4GVn
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) August 25, 2020
Viel hängt aber weiterhin offensichtlich von der Reisebereitschaft weniger Kader ab. Auf Bildern in verschiedenen Orten sind immer wieder bekannte Gesichter zu sehen. So ist etwa Identitären-Sprachrohr Martin Sellner fast omnipräsent – nach stabilen und ideologisch gefestigten regionalen Strukturen wirkt das eher nicht.
Und offenbar schafft es die Gruppe nicht, über ihre Kerne hinaus zu mobilisieren. Im internen Papier der „Österreicher“ im November 2019 hieß es, der geplante Aufmarsch solle „ein Test der Mobilisierungsfähigkeit“ für die Gruppe werden. Dieser Test ist offensichtlich gnadenlos schiefgegangen. Es ist eine peinliche Niederlage.
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