Den BewohnerInnen des Quarantäne-Quartiers in der Messe Wien wird verboten, in sozialen Medien über ihre Situation zu berichten. Für Sonntag ist eine Demonstration angekündigt.

„Das Filmen oder Fortografieren ist strengstens untersagt!! Ebenso sind Postings über Ihren Aufenthalt in sozialen Netzwerken untersagt!!“ Das steht samt Rechtschreibfehler „Fortografieren“ und in Blockbuchstaben auf einem Informationsblatt, das an die BewohnerInnen des Quarantäne-Quartiers am Wiener Messegelände verteilt wird. Die betroffenen Menschen sind dort für zumindest 14 Tage in Quarantäne. Geht es nach den Verantwortlichen des Quarantäne-Quartiers, ist ihnen in dieser Zeit offenbar nicht nur jedes Foto, sondern sogar jede Information über ihre Situation verboten.

Das Quartier in der Messe Wien steht unter Verantwortung des Krisenstabes der Stadt Wien und wird vom SPÖ-nahen Samariterbund betrieben. Susanne Kritzer vom Samariterbund sagt, dass „aus Datenschutzgründen die Privatsphäre der anderen BewohnerInnen und auch der MitarbeiterInnen“ geschützt werden müsse.

Flugblatt soll „ausgelegt“ werden

Jeder dürfe „von sich selbst ein Foto machen und auch posten, aber nicht von anderen Menschen in der Halle“, so Kritzer. Auf meinen Hinweis, dass nur die Verbote auf dem Flugblatt stehen würden, nicht die angeblich erlaubten Dinge, erklärt Kritzer, das Flugblatt sei „so auszulegen“.

Eine Erklärung, wie die BewohnerInnen ein Flugblatt mit expliziten Verboten komplett anders „auslegen“ sollten, als dort geschrieben steht, bleibt der Samariterbund schuldig. Ebenso nicht beantwortet wird meine Frage nach einer rechtlichen Grundlage für diese Verbote. Dass die Verbote, wie sie im Flugblatt aufgeführt sind, rechtlich halten würden, darf jedenfalls stark bezweifelt werden.

Es bleibt der Eindruck, dass der Samariterbund verhindern will, dass mehr über die Quarantäne-Bedingungen in der Messe bekannt wird. Und zu sagen gäbe es offenbar einiges.

Proteste der BewohnerInnen

So zeigen Fotos in sozialen Netzwerken Menschen, die teils ohne Mundschutz dichtgedrängt in der Quarantänehalle zusammengefasst sind. Nachdem rund 300 geflüchtete Menschen aus dem Haus Erdberg übersiedelt wurden, wurde muslimischen Menschen gar ein Gericht mit Schweinefleisch angeboten, berichtet der ORF. Die Übersiedlung aus Erdberg gestaltete sich überhaupt dubios.

Die Stadt Wien hatte zuerst öffentlich nur davon gesprochen, dass einige Menschen mit COVID-19-Verdacht übersiedelt würden. Mitten in der Nacht wurde dann aber das gesamte Haus geräumt, ich war als einziger Journalist vor Ort. Hier könnt ihr meinen Bericht über die nächtliche Räumung des Hauses Erdberg lesen.

„Wer ist für diese blöde Lösung verantwortlich?“

Sim Singer ist nach eigenen Angaben aktuell in der Messe in Quarantäne. Er erklärt, dass er nicht verstehen würde, warum eine Übersiedelung aus Erdberg überhaupt notwendig gewesen sei. Es wäre dort problemlos kontrollierbar gewesen, dass die BewohnerInnen das Haus nicht verlassen. „Dort haben wir eigene Zimmer mit Dusche gehabt, dort konnte man wochenlang in Quarantäne im Zimmer bleiben, ohne mit anderen Bewohnern in Kontakt zu treten“, so Singer.

Massenschlafquartier in der Messe Wien. Bild: Sim Singer.

In der Messe dagegen wären hunderte Menschen in einem Saal zusammengepfercht, das gesundheitliche Risiko sei enorm. „Wer ist für diese blöde Lösung verantwortlich?“ fragt Singer. Auch MitarbeiterInnen des Hauses kritisieren anonym, wieso die Quarantäne nicht im Haus Erdberg durchgeführt worden wäre.

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Die Situation dort wäre mit etlichen Einbett- oder Zweibettzimmern wesentlich besser gewesen als die Kojen in der Messehalle. Vor allem in den ersten Tagen hätte es laut Singer auch enorme Versorgungsschwierigkeiten in der Messe gegeben. Es hätte keine ordentliche Ausgabe von Lebensmitteln gegeben, Essen wäre einfach irgendwo im Pavillon abgeladen worden.

„Wie ein Hund“

Menschen wären durch den riesigen Saal gestreift, „in der Hoffnung, ein bisschen Essen oder Zigaretten zu finden“. Er hätte sich „wie ein Hund“ gefühlt, so Singer. Unter den BewohnerInnen der Messe dürfte sich daher zunehmend Unruhe breitmachen. Die „Initiative gegen Rückkehrzentren“ berichtet, dass etwa am 5. Mai BewohnerInnen des Quartiers eine Kundgebung gegen die Bedingungen in der Messe organisiert hätten.

Fotos, die die Initiative veröffentlicht hat, zeigen Menschen, die im Sicherheitsabstand zueinander im umzäunten Außenbereich der Messe stehen und offenbar etwas rufen. Susanne Kritzer vom Samariterbund dagegen sagt, dass sie auf diesen Fotos eine Kundgebung nicht erkennen könne.

Laut der Initiative hätten BewohnerInnen berichtet, dass es zu wenige Lebensmittel gäbe und dass diese von schlechter Qualität seien. Medikamente für Menschen mit chronischen Krankheiten würden nicht zur Verfügung stehen und bei 400 Menschen in einer Halle sei es kaum möglich, sich auszuruhen oder zu schlafen. Singer betont, dass sich seine Kritik nicht gegen das Personal richten würde. „Das Personal ist sehr nett und geduldig“, sagt er. Doch er wünscht sich konkrete Antworten, was nun weiter passieren wird.

Probleme nicht nur in der Messe Wien

Eindeutig ist jedenfalls, dass Massenquartiere das Ansteckungsrisiko enorm erhöhen. Das hat auch bereits die Corona-Quarantäne in Traiskirchen gezeigt. Auch in anderen Lagern für geflüchtete Menschen soll es enorme Probleme geben, etwa in Graz-Andritz, Ossiach, Fieberbrunn oder Bad Kreuzen. Das berichtet die Initiative „Gesundheit für Alle“. Die BewohnerInnen müssten in vielen Fällen in Mehrbett-Zimmern schlafen, obwohl teilweise wesentlich mehr Platz vorhanden wäre, MitarbeiterInnen würden teils keine Schutzmasken tragen, es gäbe in mehreren Lagern zu wenig Desinfektionsmittel und an den meisten Orten zu wenige Duschen und Toiletten.

Innenministeriumssprecher Christoph Pölzl weist mir gegenüber diese Darstellung als „schlichtweg falsch“ zurück, sie würde nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Er sagt, dass es etwa genug Desinfektionsmittel gäbe und ist davon überzeugt, dass das Möglichste getan würde,“ um Infektionen vorzubeugen“ und das auch schon vor der Quarantäne so gehalten worden wäre.

Dass allerdings – völlig unabhängig von den konkreten Berichten – ein Massenquartier mit enger Belegung in der jetzigen Pandemie insgesamt kein geeigneter Ort für Menschen ist, wird in der Stellungnahme des Innenministeriums nicht thematisiert.

Demonstration für Sonntag angekündigt

Unterdessen bekommen die Menschen in der Messe auch Unterstützung von außen. Die Wiener Vernetzung gegen Abschiebungen sowie Crossborder solidarity kritisieren, dass bei der derzeitigen Form der Massen-Unterbringung in zwei Messehallen die Betroffenen „einem massiven Gesundheitsrisiko ausgesetzt“ seien, da dort möglicherweise infizierte Menschen mit vielen anderen im engen Kontakt seien.

Messe Wien. Bild: Sim Singer.

Die AktivistInnen rufen für den heutigen Sonntag um 15 Uhr zu einer Solidaritätskundgebung mit den BewohnerInnen vor der Messe Wien auf – mit Masken und unter Einhaltung des Sicherheitsabstands von mindestens einem Meter. Vor allem fordern die AktivistInnen, dass die Unterbringung in Massenlagern wie der Messe, Erdberg oder Traiskirchen gestoppt wird.

Alle Menschen hätten das „Recht auf eine adäquate Unterbringung, wo sie sich schützen und Abstand einhalten können sowie ausreichend Hygieneinfrastruktur und Privatsphäre gewährleistet“ sind, heißt es. Die AktivistInnen fordern eine „dezentrale, sichere und menschenwürdige Unterbringung“ der Betroffenen. Das sind sinnvolle und kluge Forderungen.

Update: In einer früheren Version wurde der mutmaßliche Quarantäne-Betroffene als „R.“ bezeichnet. In Absprache mit dem Betroffenen wurde das nun auf seinen Social-Media-Namen Sim Singer verändert.

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