Wiener PolizistInnen sollen einer Frau iranischer Herkunft eine Strafe von 3000 Euro angedroht haben. Angeblich wegen Verletzung der Corona-Beschränkungen  – obwohl sie sich legal verhalten hat. Andere Menschen berichten von ähnlichen Erlebnissen.

„Hin und wieder muss ich in diesen Tagen einfach aus der Wohnung, um nicht völlig wahnsinnig zu werden“, erzählt die Wiener Musikerin Tahereh Nourani. „Sehr gern gehe ich die Strecke von meiner Wohnung zu den Steinhofgründen, das dauert circa eineinhalb Stunden. Dort setze ich mich kurz hin, dann geht es wieder zurück.“ Am 20. März war die 37-jährige besonders früh unterwegs, um das Erholungsgebiet in Wien-Penzing zu erreichen.

Ein besonderer Tag

„Etwa um 7 Uhr 30 bin ich los, gegen 9 Uhr bin ich dann angekommen“, erzählt Nourani. Für eine kurze Pause hätte sie sich dann auf eine Wiese gesetzt, danach wollte sie wieder zurückgehen: „Ich wollte noch schnell den Tag in meinem Notizbuch markieren. Ich stamme aus dem Iran, für mich ist der 20. März ein besonderer Tag.“

In vielen Ländern Zentralasiens wird an diesem Tag der Beginn des neuen Jahres gefeiert, im Iran ist es das Norouz-Fest, in Kurdistan Newroz. „Gerade in dieser schlimmen Zeit wollte ich auch etwas Schönes finden“, sagt Nourani.

Die ganze Zeit über sei sie allein unterwegs gewesen, das ist Nourani sehr wichtig: „Ich wohne allein. Und seit Montag, dem 16. März, habe ich überhaupt keinen Menschen mehr persönlich getroffen.“ Auch auf der Wiese hätte sie auf ausreichenden Abstand geachtet: „Die nächste Person auf der Wiese war sicherlich 20 Meter, als ich mich hingesetzt habe.“ Nourani hat ein Photo der Szene gemacht. Es zeigt ihre Tasche und Jacke auf einer ansonsten weitgehend leeren Wiese.

Bild: Tahereh Nourani

Rechtlich wäre das Verhalten von Nourani damit absolut in Ordnung, wie auch der Seite des Gesundheit-und Sozialministeriums zu entnehmen ist. Unter der Überschrift „Was ist weiterhin möglich“ heißt es: „Bewegung im Freien alleine (z.B.: Laufen gehen, spazieren gehen) und mit Menschen, die im eigenen Wohnungsverband leben oder wenn ein Abstand von mindestens 1 Meter zu anderen Menschen sichergestellt.“ Und sogar die Wiener Polizei selbst sagt am 21. März, dass ein „kurzes Verweilen“ in Parks möglich wäre.

Dennoch hätte Nourani auf einmal sehr unangenehme Art und Weise Bekanntschaft mit der Wiener Polizei gemacht, wie sie erzählt. „Zuerst ist das Polizeiauto langsam an der Wiese vorbeigefahren, wo ich gesessen bin.“ Kurz danach hätte der Wagen umgedreht, drei PolizistInnen seien ausgestiegen und zu ihr gekommen.

Die Polizei auf den Steinhofgründen. Bild: Tahereh Nourani

Ein Polizist hätte sie angesprochen und behauptet, dass ihr Aufenthalt auf der Wiese wegen der „Ausgangssperre“ angeblich „illegal und strafbar“ wäre. Der Polizist hätte weiter behauptet, dass es illegal sei, auf der Wiese zu sitzen und ein Buch zu lesen – Nourani hatte ihr Notizbuch in der Hand. Schließlich hätte der Polizist auch ihren Ausweis verlangt. Nochmals muss betont werden: Das Verhalten von Nourani, so wie sie es schildert, war rechtlich absolut in Ordnung.

Nourani erzählt, dass sie sogar explizit nachgefragt hätte: Es wäre doch erlaubt, allein in der Wiese zu sitzen. „Nein, nur einkaufen, arbeiten oder zum Arzt gehen. Was davon machen Sie jetzt?“, hätte der Polizist harsch geantwortet. „Das sei seit fünf Tagen „auf allen Portalen bekannt gegeben“, zitiert sie den Polizisten.

Eine Anzeige wird angedroht

Nourani ist immer noch empört: „Während der gesamten Amtshandlung bin ich die einzige Person auf einer weitflächigen Wiese. Die Einzigen, die mir nahe kommen, sind die drei PolizistInnen.“

Schließlich nimmt der Polizist ihre Daten auf und kündigt eine Anzeige an. Bis zu 3000 Euro würde sie das kosten, hätte er gesagt. Nourani ist in diesem Moment am Boden zerstört, wie sie erzählt: „Wie viele andere Menschen habe ich gerade alle meine Verdienstquellen verloren. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich so etwas bezahlen sollte. Ich habe dann sogar noch an das Mitgefühl des Polizisten appelliert und gesagt, dass ich das nicht bezahlen kann. Vergeblich.“

Tahereh Nourani. Bild: Georg Cizek-Graf

Nourani sagt, dass sie das Verhalten des Polizisten völlig indiskutabel gefunden habe. Ob hier Rassismus mitgespielt hat? „Ich weiß es nicht. Aber ich habe beim Spazierengehen derzeit stark den Eindruck, dass verstärkt Menschen kontrolliert werden, die ‚ausländisch‘ aussehen“, sagt sie.

Was sagt die Polizei?

Was sagt die Wiener Polizei zu diesen Vorwürfen? Polizeisprecher Harald Sörös sagt, dass die Situation, wie sie beschrieben sei, „nach einer sehr einseitigen Darstellung einer Amtshandlung“ klingen würde. Die Wiener Polizei könne daher nichts bestätigen. Jedenfalls würden „weder die Tatsache, dass man nicht alleine in der Wiese sitzen darf, noch der genannte Strafrahmen stimmen“, so Sörös. Doch Erlebnisse anderer Menschen lassen die Darstellung von Nourani durchaus glaubwürdig erscheinen.

So schreibt etwa auf Twitter die Userin @birgitbeijing: „Steinhofgründe, Frau liegt ganz allein in einer riesigen Wiese, Polizei kommt vorbei, 600€ Strafe. Gehts noch?“ Der Tweet stammt vom gleichen Tag, als auch Nourani auf den Steinhofgründen unterwegs war. Die Uhrzeit stimmt ebenfalls ungefähr überein.

Mir schildert Birgit dann, dass sie eine entsprechende Amtshandlung aus rund 70 Metern gesehen hätte – aufgrund ihrer Beschreibung dürfte es sich nicht um Nourani handeln, sondern um eine weitere Amtshandlung. Sie sei „total schockiert“ über das aggressive Auftreten der Polizei gewesen, berichtet Birgit.

Polizist soll Wienerin beschimpft haben

Die 57-jährige Wienerin Eva erzählt mir von einer ähnlichen Erfahrung: „Ich war am vergangenen Donnerstag am Donaukanal laufen, nachdem ich die ganze Woche alleine zu Hause verbracht habe.“ Als sie sich kurz auf eine leere Wiese gesetzt hätte, hätte sie ein Polizist angeherrscht.

Das Hinsetzen sei verboten, egal ob in einer Wiese oder auf einer Bank. Schließlich hätte er sie auch noch beschimpft, berichtet Eva: „Ich sei rücksichtslos, verantwortungslos, höre offenbar nicht auf  Vorgaben der Regierung, Vorschriften seien mir egal, ich sei egoistisch und selbstverliebt“.

Was sollen wohnungslose Menschen tun?

Ein Wiener Wohnungslosenhelfer macht sich ebenfalls Sorgen. „Ein Klient hat berichtet dass er am Dienstag zwei Mal von der Polizei kontrolliert wurde, weil er sich in einem Park aufgehalten hat.“ Doch was soll der Mann sonst tun, fragt der Betreuer.

„Da die meisten Tagesstädten bis vor Kurzem wegen Corona geschlossen haben, konnten sich viele Wohnungslose kaum in geschlossenen Räumen aufhalten“, sagt der Wohnungslosenhelfer. Dem wohnungslosen Mann sei dann eine Anzeige mit einer Geldstrafe in Höhe von 3600 Euro ausgestellt worden.

„Wir müssen sehr aufpassen“

Alle Betroffenen, mit denen ich gesprochen habe, berichten von einem enorm aggressiven Auftreten der Polizei. Eva sagt, dass sie das Verhalten des Polizisten ebenso empörend wie beängstigend gefunden hätte: „Ich habe keine Angst vor dem kursierenden Virus, aber vor der mächtiger werdenden Polizei beginne ich mich zu fürchten!“

Auch Tahereh Nourani sagt, ihr hätte der Vorfall auf den Steinhofgründen enorme Angst gemacht. Sie warnt: „Wir müssen sehr aufpassen, dass die jetzigen Machtbefugnisse der Polizei nach der Corona-Krise nicht bestehen bleiben. Das wäre sonst eine absolute Katastrophe.“

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