FPÖ-Chef Kickl fordert im März 2020 einen Corona-Lockdown. Die FPÖ ist für Maskenpflicht und für geschlossene Lokale. Erst danach drehen sich die Blauen um 180 Grad.
Es sei eine „sehr, sehr ernsthafte Situation“, deshalb sei nun ein „Lockdown“ für Österreich dringend erforderlich. Dazu wäre dringend eine Maskenpflicht für das medizinische Personal erforderlich – weil die Maske „natürlich auch einen Schutz bietet“. Es mag für viele überraschend sein, doch genau das hat die FPÖ zu Beginn der Pandemie in Österreich gefordert.
Der erste Tote und die Reaktion der FPÖ
Wir schreiben den 13. März 2020, für die FPÖ ist es ein wichtiger Tag. Kurz davor ist die Pandemie offiziell in Österreich angekommen Erst am Vortag war im Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital der erste Mensch in Österreich an COVID-19 gestorben. Ein 69-jähriger, der Urlaub in Italien gemacht hatte. Drei Tage später wird in Österreich der erste Lockdown verkündet werden.
Und am 13. März 2020 wollen die Blauen bei einer Pressekonferenz nun ihre Corona-Strategie verkünden. Vor die Kameras treten Herbert Kickl, damals Klubchef, heute Vorsitzender der FPÖ. An seiner Seite die blaue Nationalratsabgeordnete Dagmar Belakowitsch, sie ist die Gesundheitssprecherin der Partei. Die Pressekonferenz ist bis heute auf der Facebook-Seite der FPÖ abrufbar. Für den Fall, dass die FPÖ es löschen sollte: Das Video ist gesichert.
Kickl ist zu diesem Zeitpunkt „sehr besorgt“ über COVID-19
Und was Kickl in seinem rund 25-minütigen Vortrag zu Beginn der Pressekonferenz sagt, wird heute vermutlich sehr viele Menschen sehr überraschen. Er sei „sehr besorgt“ und das gleich „in dreifacher Hinsicht“: Immerhin sei er Familienvater, Staatsbürger und Politiker. Nun sei es wichtig, „jeden einzelnen“ in dieser „sehr, sehr ernsthaften Situation entsprechend zu schützen und die Gesundheit sicherzustellen“.
Denn die Zahl der Menschen, die mit Corona infiziert sei, sei „exponentiell im Ansteigen begriffen“, so Kickl. Nun sei es „notwendig“, so der FPÖ-Mann, „alle Maßnahmen zu setzen, um die exponentielle Steigerung der Neuinfektionen zu durchbrechen.“ Der heutige FPÖ-Chef weiß also bereits damals ganz genau, wie gefährlich die exponentielle Ausbreitung des Virus ist.
Kickl kritisiert die Maßnahmen als „halbherzig“
Die Regierung hätte laut Kickl „in den letzten Tagen eine ganze Fülle von Maßnahmen eingeleitet“, die „allesamt in eine Richtung gehen, von der ich sagen möchte, dass diese Richtung stimmt“. Er denke dabei an die „Maßnahmen im Zusammenhang mit Altenpflegeheimen und mit Spitälern“. Kurz davor mussten dort die Besuche drastisch eingeschränkt werden. Für Kickl ist das wörtlich „gut so“.
Und Kickl will noch weiter gehen, die Maßnahmen der Regierung seien „halbherzig“. Immerhin hätte das Gesundheitssystem „seine wunden Punkte“, etwa den „Bereich der Intensivmedizin“. Diese wunden Punkte dürften nicht „überbelastet werden“, dann „ist es natürlich so, dass das gesamte System zu kollabieren droht“, so Kickl. Daher wäre es notwendig, „alle notwendigen Maßnahmen zu setzen, um genau diesen Kollaps mit allen dazugehörigen Folgen zu verhindern“. Genau das ist später ja auch passiert – als die FPÖ auf der anderen Seite stand.
Die FPÖ wusste, dass das Virus kommt
Im Anschluss an Kickl übernimmt dann die Nationalratsabgeordnete Dagmar Belakowitsch das Mikro. Sie hat Medizin studiert, ist Gesundheitssprecherin der Partei – sie sollte also verstehen, wovon sie spricht. Auch sie zeigt sich sehr besorgt. Es wäre bereits seit „vor Weihnachten“ 2019 klar, dass es „dieses Virus geben wird“. Und „spätestens seit Anfang Jänner“ wäre bekannt, „dass es in Europa angekommen ist“, so die FPÖ-Politikerin.
Österreich hätte da „zu lange zugeschaut“ und notwendige Maßnahmen versäumt. Auch hier also: Die FPÖ kritisiert die Regierung also damals, weil sie nicht genügend Maßnahmen gesetzt hatte. Ein besonderes Anliegen sind der FPÖ auch Grenzschließungen, die werden mehrmals erwähnt – wenig überraschend, passt das doch in die rassistische Agenda der FPÖ.
Die FPÖ ist für die Maskenpflicht
Und Belakowitsch stellt auch eine ganz konkrete Forderung: Es gäbe vor allem viel zu wenig Masken für das medizinische Personal, das wäre „ein echtes Versagen“. Zur Erinnerung: Genug Masken für die breite Bevölkerung wären damals noch gar nicht vorhanden gewesen, es ging zu diesem Zeitpunkt also darum, zumindest die medizinischen Berufe entsprechend zu schützen. Daher solle, so Belakowitsch, das medizinische Personal und auch die Beschäftigten in Apotheken mit Masken ausgestattet werden und „auch verpflichtet, diese Masken auch zu tragen“.
Warum? O-Ton Belakowitsch: „Weil es natürlich auch einen Schutz bietet. Nämlich vielleicht keinen hundertprozentigen, das wissen wir jetzt auch, dass nicht alles hundertprozentig zu schützen ist. Aber jedenfalls eine drastische Erhöhung einer Schutzmaßnahme für das medizinische Personal.“
Besuchsverbot und Meldepflicht
Und schließlich erwähnt die FPÖ-Politikerin auch die besondere Gefährdung älterer Menschen: „Wenn heute das Virus eingeschleppt in ein Pflegeheim, dann haben wir mit Sicherheit sehr viel schwere Erkrankungen in 14 Tagen.“ Und dann folgt die Forderung der Blauen: Notwendig wäre „ein österreichweites Besuchsverbot in Pflegeheimen, in Altenheimen“. Und ebenso „in allen Krankenhäusern“. Alles andere wäre sehr gefährlich, das wüsste „jeder Krankenhaushygieniker“. Nur die FPÖ hat es offenbar irgendwann „vergessen“.
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Es sei auch problematisch, dass die Heimtests noch so teuer wären, so Belakowitsch. Dazu gäbe es eine weitere Schwierigkeit: „Wenn ich mich teste, selber, und ich bin positiv und sage es keinem, hat es keine Konsequenz.“ Das sei „ein ganz großes Problem.“ Es seien „zwar Ärzte meldepflichtig“, aber nicht die Patient:innen. Hier müsse eine „Änderung“ herbeigeführt werden, um „die Ausbreitung zu verlangsamen“.
Kickl fordert die Schließung von Lokalen und Restaurants
Anschließend ist nochmals Kickl am Wort. Wie weit ein Lockdown gehen solle, beschreibt er so: Es wäre sinnvoll, sich an den Maßnahmen zu orientieren, die in Italien gesetzt worden seien. Er fordert also „eine deutliche Einschränkung aller gesellschaftlichen Aktivitäten“ sowie „Schließungen von einzelnen Geschäften“.
Und, so Kickl, „durchaus auch von Restaurants und Lokalen“. Er wisse, „dass das alles sehr einschneidende Maßnahmen sind“. Aber das wäre besser, als „weiter Zeit zu verlieren“.
Warnung vor dem tödlichen Virus
Schließlich beschreibt Belakowitsch noch die Gefahren des Virus – als Medizinerin kann sie das wohl auch ganz gut einschätzen: Es wäre vor allem notwendig, besondere gefährdete Personengruppen zu schützen. Diese Menschen dürften vor allem „nicht alle gleichzeitig krank werden, weil das würde die Kapazitäten Österreichs sprengen“.
Deshalb wäre es „so notwendig, die Virusausbreitung zu verlangsamen“. Denn: Es gäbe vor allem für besonders gefährdete Gruppen eine „sehr, sehr hohe Wahrscheinlichkeit“, an Covid-19 „schwer zu erkranken beziehungsweise daran zu sterben“.
Positive Reaktionen … und die ersten Verschwörungserzählungen
Die Pressekonferenz der FPÖ wird damals auch auf Facebook ist gestreamt, es gibt immerhin 851 Kommentare. Und die Parteibasis folgt ihrer Führung. Kritisiert wird etwa, warum Kinder weiter in die Schule gehen würden. Oder warum in einem Wiener Krankenhaus noch kein „Notfallplan in Kraft“ sei.
Doch es mischen sich auch die ersten Verschwörungerzählungen in die Kommentare. Eine Frau etwa schreibt: „Nicht anders als ein Grippe Virus, warum alle in Geiselhaft nehmen und in Panik versetzen? da steck viel mehr dahinter“.
Eine andere Frau vermutet offenbar ebenfalls geheime Kräfte im Hintergrund: „Hoffentlich erfahren wir jetzt die Wahrheit,was hinter diesem Wahnsinn wirklich steckt“, schreibt sie. Und genau auf diese Stimmungen wird später auch die FPÖ setzen.
Die FPÖ stimmt für den Lockdown
Zwei Tage später, am 15. März 2020, tritt Kickl dann im Parlament auf, auch diese Rede ist weiterhin verfügbar. Erneut fordert er einen Lockdown. Umfangreiche Maßnahmen wären notwendig, sie wären Ausdruck eines „großen nationalen Schulterschlusses“. Bei der FPÖ geht es eben nicht ohne einschlägige Parolen.
Im Anschluss beschließt der Nationalrat dann den ersten Lockdown sowie ein umfangreiches Maßnahmenpaket. Mit den Stimmen der FPÖ. Der Lockdown tritt am folgenden Tag in Kraft.
Nun fordert die FPÖ sogar die Ausweitung der Maskenpflicht
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Am 3. April 2020 tritt Kickl im Nationalrat erneut ans Rednerpult, dieses Video ist ebenfalls weiter verfügbar. Und nun fordert der heutige FPÖ-Chef sogar eine Ausweitung der Maskenpflicht. Von der Regierung fordert Kickl: „Machen Sie es ordentlich. Nicht nur in bestimmten Supermärkten, sondern überall im öffentlichen Raum. Warum wieder diese Salamitaktik?“ Und er hat noch einen Appell: „Und sagen Sie den Leuten, wie sie die Masken ordnungsgemäß und korrekt verwenden, sonst ist diese Maßnahme kontraproduktiv.“
Doch gleichzeitig kündigt sich in dieser Rede erstmals die 180-Grad-Kehrtwende der FPÖ an. Denn Kickl kritisiert auch: Die Regierung würde „mit Horrorszenarien“ agieren, es gäbe „Horrorzahlen“ und es würden „Schreckensbilder“ produziert. Außerdem gäbe es einen „Kurs der Gehirnwäsche“ in den Medien. Und schließlich falle den Menschen in den Wohnungen „die Decke auf den Kopf“. Zur Erinnerung: Die FPÖ hatte den Lockdown selbst gefordert.
Die FPÖ dreht sich um 180 Grad
Doch kurz danach ist alles anders. Am 7. Mai 2020 kündigt die FPÖ auf einmal eine selbsternannte „Allianz gegen den Corona-Wahnsinn“ an. Hauptredner auf der Pressekonferenz: FPÖ-Klubobmann Kickl. Was sich in der Zwischenzeit offensichtlich nicht geändert hatte: Die Corona-Pandemie. Was sich dagegen offenbar sehr real geändert hatte: Die interne Einschätzung der FPÖ, wie sie am besten von der Pandemie profitieren könnte.
Nur zwei Wochen später, am 20. Mai 2020, ruft die FPÖ dann am Wiener Heldenplatz zu einem Aufmarsch auf. Das Motto: „Freiheit für Österreich“ auf. Es ist einer der ersten Corona-Aufmärsche in Österreich. Zwei Männer im Publikum tragen ein Banner mit der Aufschrift: „Aus mit dem Spuk Masken weg“. Nochmals zur Erinnerung: Nur einen Monat zuvor hatte Kickl noch selbst die Ausweitung der Maskenpflicht gefordert.
Die FPÖ mobilisiert gegen ihre eigene Politik
Auch im Publikum trägt so gut wie niemand eine Maske. Eine der wenigen Ausnahmen: Ein einschlägig bekannter Mann, der versucht, mich mit aufgespanntem Schirm an der Dokumentation des Aufmarschs zu hindern. Die Beteiligung an der Veranstaltung ist mit wenigen hundert Personen äußerst mäßig.
Doch die Vorzeichen für die kommende Periode sind gesetzt: Die extrem rechte FPÖ fährt nun aus offensichtlich opportunistischen Gründen eine Kampagne gegen die Corona-Maßnahmen, gegen Masken, später gegen Impfungen. Und mobilisiert teils zehntausende Personen auf der Straße. Unter anderem gegen Maßnahmen, die sie selbst zu Beginn noch gefordert hatte.
Untersuchungen werden später zeigen, dass die Impfquote dort besonders niedrig ist, wo die FPÖ besonders stark ist. Die Folgen der FPÖ-Propaganda sind also potentiell lebensbedrohend.
Die FPÖ wusste es besser
Dabei zeigen die ersten Aussagen von Kickl und Belakowitsch, dass die FPÖ von Beginn an ganz genau wusste und verstand, wie gefährlich das Virus ist. Immerhin erklärten die Blauen bei der Pressekonferenz im März 2020 noch selbst die Problematik der exponentiellen Ausbreitung, falls es keine Maßnahmen gäbe. Und Kickl wie Belakowitsch waren für eine Maskenpflicht.
Angriffe mit Pfefferspray, Schläge, Tritte, Drohungen, Bierduschen, Wurfgeschosse. So sieht jetzt in Wien journalistisches Arbeiten bei rechten Corona-Märschen aus. Danke an mein Schutzteam! Mehrmalige Reaktion von Polizisten: Sie fordern mich auf, meine Arbeit zu beenden. #w2011 pic.twitter.com/EvQQPTIUCJ
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) November 22, 2021
Belakowitsch hatte 2008 im Parlament übrigens sogar schon einmal selbst eine Impfpflicht gefordert: Kinder sollten Wiener Kindergärten nur noch dann aufsuchen können, wenn sie eine Hepatitis A- und B-Impfung nachweisen könnten.
Sie sind selbst alle geimpft
Wie ernst die FPÖ ihre eigene Propaganda genommen hatte, muss offenbleiben. So sollen laut Krone bereits im September 2021 zahlreiche FPÖ-Spitzenpolitiker:innen geimpft gewesen sein. Unter ihnen: FPÖ-EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky sowie alle anderen FPÖ-EU-Abgeordneten, der Großteil der Parlamentsabgeordneten, der Großteil der FPÖ-Landespitzen und auch die gesamte Wiener FPÖ-Landtagsfraktion.
Und natürlich hätte die FPÖ sich auch in der Propaganda anders entscheiden können. Kickl am 15. März 2020: „Wir sind nicht in der glücklichen Situation, dass wir eine gute Alternative hätten und eine schlechte Alternative. Sondern wir stehen vor einer schlechten Alternative und vor einer weniger schlechten Alternative.“
Kickl: Die Bevölkerung würde „solche Maßnahmen verstehen“
Und Kickl sagt damals auch: „Ich denke, dass die österreichische Bevölkerung solche Maßnahmen verstehen würde.“ Er ginge davon aus, „dass solche Maßnahmen von der Bevölkerung entsprechend mitgetragen werden würden.“ Denn, er denke, „dass jeder bereit ist, in einer so schwierigen Situation Verantwortung“ zu übernehmen. Die FPÖ war dazu offensichtlich nicht bereit. Das Ergebnis ist bekannt.
Die FPÖ will heute vermutlich nicht mehr so gern daran erinnert werden, was sie selbst zu Beginn der Pandemie gefordert hatte. Doch es sollte nicht vergessen werden. Denn es ist ein eindringliches Beispiel dafür, wie sich Kickl und die FPÖ auf Kosten der Bevölkerung im Wind drehen.
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