Die Polizei dürfe die Presse aussperren, sagt das Verwaltungsgericht Wien. Und eine Absperrung gegen Journalist:innen wäre kein Zwang. Denn ich hätte ja nicht versucht, die Absperrung zu durchbrechen.

Es ist ein Urteil, das noch weitreichende und sehr negative Folgen für die Pressefreiheit in Österreich haben könnte. Denn laut einem Urteil am Verwaltungsgericht Wien war es zulässig, dass die Wiener Polizei mir den Zugang zu einer erlaubten Kundgebung der Klima-Bewegung ohne Begründung untersagt hat. Das Urteil erfolgte als Reaktion auf meine gerichtliche Maßnahmenbeschwerde gegen das Vorgehen der Polizei.

Dazu dürfe die Polizei das Areal rund um Kundgebungen und Blockaden so weiträumig absperren, dass real keine vernünftige Berichterstattung mehr möglich ist. Einzelrichter Wolfgang Helm hat sich damit vollinhaltlich der Argumentation der Wiener Polizei angeschlossen.

Und das Urteil geht noch weiter: Sogar Polizeisperren samt Tretgittern seien weder ein Befehl noch ein Zwang. Ich hätte ja ohnehin nicht versucht, die Absperrung zu durchbrechen. Obwohl ich sogar auf Video dokumentiert hatte, dass mir der Zugang zur Kundgebung untersagt worden ist.

Offiziell haben die Urteile des Verwaltungsgerichts bei Maßnahmenbeschwerden keinen Präzedenz-Charakter – es muss also nicht in jedem zukünftigen Fall genauso entschieden werden. Doch es ist jedenfalls zu erwarten, dass die österreichische Polizei dieses Urteil künftig bei ihren Einsatzplanungen heranzieht.

Was ist da passiert?

Blenden wir zurück zum 5. April 2022: An diesem Tag hatte die Polizei in Wien-Donaustadt eines der Klimacamps geräumt, die zum Widerstand gegen die geplante Stadtautobahn errichtet worden waren. Ich wollte vor Ort berichten, doch als ich ankam, war das Gebiet von der Polizei bereits weiträumig abgesperrt.

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Überall Tretgitter, trotz Presseausweis wurde ich abgewiesen. Das Problem: Die Polizei hatte das Gebiet so umfassend abgesperrt, dass es überhaupt nicht mehr möglich war, die Räumung, die zahlreichen Verhaftungen und das Verhalten der Polizei in irgendeiner Form zu dokumentieren. Das Titelbild dieses Artikels zeigt die journalistische Perspektive: Polizeibusse.

Einige journalistische Kolleg:innen und ich standen also vor Tretgittern, von denen wir ausschließlich Polizeibusse beobachten konnten, die die Sicht verstellten. Die Aussperrung der Presse nahm allerdings gleichzeitig etwas absurde Züge an. Denn innerhalb der Absperrung konnten sich gleichzeitig Klima-Aktivist:innen frei bewegen.

Eine politische Kundgebung, von der nicht berichtet werden darf

Denn während die Journalist:innen ausgesperrt waren, fand im abgesperrten Bereich eine polizeilich nicht untersagte Kundgebung der Klima-Bewegung statt. Sogar Interviews wurden über die Absperrung hinweg geführt. Ein Zugang zu dieser Kundgebung und damit die Berichterstattung wurden von der Polizei allerdings durch ihre Absperrungen unmöglich gemacht.

Bild; Michael Bonvalot

Ebenfalls frei bewegen konnten sich innerhalb der Absperrung Personen mit professionellen Kameras, mutmaßlich Pressefotograf:innen. Begründung der Polizei auf meine Nachfrage: Die wären eben früher gekommen, jetzt wäre es zu spät.

Polizei verbietet die freie Berichterstattung

Aus journalistischer Sicht eine offensichtlich inakzeptable Situation. Doch auch meine Intervention bei einer Medien-Sprecherin der Polizei und deren Telefonat mit der Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien brachte kein Ergebnis. Es gäbe die klare Anweisung, keine Journalist:innen mehr durchzulassen. Das Telefonat sowie die Anweisung der Medien-Sprecherin habe ich auf Video dokumentiert.

Als Reaktion begann ich außerhalb der Absperrung eine kleine Wanderung – direkt an angrenzenden Häusern und quer durch Dornenbüsche. Die Reaktion: Sofort kamen rund zehn Polizist:innen auf mich zu, offensichtlich sorgte es für Aufregung, dass ich mich so näher zum Klimacamp bewegen hätte können.  Erst da wurde mir mitgeteilt, dass es auf einem Feld einen Punkt mit etwas besserer Sicht gäbe. Doch auch von dort war noch kaum etwas zu erkennen.

Erst auf zahlreichen Umwegen, quer durch Wald, Felder, Matsch, Gebüsch und Dornen, konnte ich schließlich tatsächlich näher an die Räumung herankommen. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Räumung bereits weitgehend vorbei.

Verwaltungsgericht urteilt für die Polizei

Diese Aussperrung der Presse hielt und halte ich für klar rechtswidrig. Damit gab es nur einen logischen Schritt: Eine Maßnahmenbeschwerde gegen das Verhalten der Polizei vor dem Verwaltungsgericht Wien, juristisch begleitet von meinem Rechtsanwalt Clemens Lahner. Inhaltliche und finanzielle Unterstützung kam vom Rechtsdienst Journalismus des Presseclub Concordia. Auch die Journalist:innenvereinigung wollte diesen Angriff auf die Pressefreiheit nicht akzeptieren.

Der mündlichen Verhandlung am 29. September sahen wir dabei sehr zuversichtlich entgegen. Vor Gericht folgte dann allerdings eine äußerst überraschende Wende: Richter Wolfgang Helm stellte sich mit seinem Urteil vollinhaltlich auf die Seite der Polizei.

Kurz nach Weihnachten wurde nun das schriftliche Urteil zugestellt. Und dieses Urteil könnte für die weitere journalistische Berichterstattung von Demonstrationen in Österreich insgesamt enorm negative und brisante Folgen haben.

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Gefahr für die Pressefreiheit

Das Verbot, von der Kundgebung innerhalb der Sperrbereichs zu berichten, legitimierte Richter Helm. Seine Begründung: Nachdem in unserer Beschwerde nicht explizit davon die Rede war, dass ich von genau dieser Kundgebung berichten wollte, sei das nicht Verfahrensgegenstand. Eine zumindest originelle Begründung.

Doch von wesentlich allgemeinerer Bedeutung sind zwei andere Feststellungen des Gerichts. Zum einen hatten die als Zeug:innen geladenen Polizist:innen –darunter Oberstleutnant Ernst Albrecht, Kommandant der Wiener Sondereinheit WEGA – von einer Art „Aktionsraum“ gesprochen. Der wäre bei Kundgebungen oder Räumungen zur Durchführung polizeilicher Maßnahmen notwendig.

Die Polizei könnte die Presse künftig umfassend aussperren

Als Beispiel für diesen „Aktionsraum“ wurde vor Gericht etwa der Raum für parkende Einsatzfahrzeuge genannt. Ein solcher „Aktionsraum“ ist allerdings im Versammlungsgesetz nirgends definiert. Dennoch hat sich das Gericht auch hier auf die Seite der Polizei gestellt. Aus diesem Aktionsraum dürfe die Polizei laut Polizei alle Personen wegweisen – nicht nur die Teilnehmer:innner einer Kundgebung, auch Journalist:innen.

Die Polizei dürfte also künftig selbst einen „Aktionsraum“ definieren, den sie angeblich braucht. Das dürfe zwar nicht „willkürlich“ passieren, so das Urteil. Aber dennoch ermöglicht das der Polizei künftig weitreichende Möglichkeiten. Wenn sie die Presse aussperren will, wird eben nach Bedarf noch ein zusätzlicher „Aktionsraum“ definiert – der, wie im Fall der Klimacamp-Räumung – so umfangreich ist, dass keinerlei Beobachtung der polizeilichen Amtshandlungen mehr möglich ist.

Der Presseclub Concordia kritisiert das Urteil

Walter Strobl vom Rechtsdienst Journalismus des Presseclub Concordia hält dieses Urteil für sehr problematisch: „Eine derart großräumige Absperrung verhindert de facto jede journalistische Berichterstattung über das Geschehen.“ Dieses Vorgehen würde sich nahtlos in eine Reihe von behördlichen Maßnahmen einfügen, „mit denen journalistisches Arbeiten immer wieder behindert wird“.

Auch mein Rechtsanwalt Clemens Lahner kritisiert das Urteil scharf: „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterstreicht in seiner Rechtsprechung die Bedeutung der freien Presse als public watchdog.“ Daher ginge es nicht an, „dass die Polizei eine unsachlich weite Bannmeile um Großeinsätze errichtet und dadurch die Berichterstattung gänzlich unterbindet“.

Die Presse hätte die wichtige Aufgabe, die Ausübung von Hoheitsgewalt zu dokumentieren, so der Rechtsanwalt: „Wenn die Polizei Journalist:innen willkürlich von Einsatzorten verbannen kann, dann wird freie Berichterstattung unmöglich“.

Die Wiener Polizei weiß angeblich nicht, ob reagiert worden wäre, wenn ich Absperrungen durchbrochen hätte

Ein zweiter Aspekt des Urteils wirkt dann fast zynisch – könnte aber ebenfalls dazu beitragen, dass künftig Personen noch weiter eingeschränkt werden, die von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind. Denn vor Gericht hatte die Polizei argumentiert, dass mir gegenüber gar keine „Zwangsgewalt ausgeübt“ worden sei. Die Aussage der Polizei, dass ich den abgesperrten Bereich nicht betreten dürfe sei ausschließlich „eine Information“ gewesen.

Und dann die Erklärung der Polizei, wörtlich zitiert aus dem Urteil: „Dass der Beschwerdeführer (also ich) mit Zwang am Übertreten der Absperrung gehindert worden oder gewaltsam abgeführt worden wäre, sei somit reine Spekulation.“ Die Wiener Polizei hatte also ernsthaft argumentiert, dass wir nicht wissen, ob ich daran gehindert worden wäre, wenn ich einfach mal über eine Absperrung mit Tretgittern geklettert wäre.

Dieser Behauptung der Polizei hat sich zu unserer großen Überraschung auch Richter Helm angeschlossen. In der Urteilsbegründung stellt er zwar zuerst selbst fest, dass mir von verschiedenen Polizist:innen gesagt worden sei, „dass ein Zutritt oder Durchgang durch die Absperrung mit Tretgittern (…) nicht erlaubt sei.“

Dürfen Journalist:innen künftig Tretgitter durchbrechen?

Doch dann erklärt Richter Helm: „Weder hat der Beschwerdeführer laut seinen eigenen Angaben versucht, die Absperrungen zu durchbrechen oder zu überqueren, noch wurde ihm für diesen Fall physischer Zwang angedroht.“ Und weiter: „Das Vorhandensein von Tretgittern und von diese bewachenden Polizisten“ sei keine unmittelbare „Befehls- und Zwangsgewalt“. Da würde auch der Hinweis nicht reichen, „dass der Durchgang verboten sei“.

Wie weltfremd dieses Urteil ist, wird wohl jede Person verstehen, die schon einmal mit der Polizei zu tun hatte. Es kann in der Praxis eher nicht empfohlen werden, einfach vor der Polizei über eine Absperrung zu klettern, nur um zu testen, was dann passiert.

Offenbar hätte ich also die anwesenden Polizistinnen zuerst fragen müssen, ob sie Zwangsgewalt gegen mich anwenden würden, wenn ich das Tretgitter durchbrechen würde. Wer das nicht tut, würde dann vor Gericht trotz einer eindeutig problematischen polizeilichen Maßnahme nicht Recht bekommen.

Wie geht es jetzt weiter?

Maßnahmenbeschwerden sind eigentlich extrem schlechte Optionen, um gegen polizeiliche Maßnahmen vorzugehen. Sie sind aber derzeit leider die einzige Möglichkeit, um das überhaupt tun zu können.

Es gibt dabei vor allem zwei Problemfelder. Zum einen sind diese Beschwerden finanziell heikel: Im Fall des Erfolgs werden ausschließlich die eigenen Anwaltskosten ersetzt. Im Fall einer Niederlage müssen nicht nur die eigenen Anwaltskosten getragen werden, zusätzlich muss auch noch ein Aufwandersatz an die Behörde bezahlt werden. Bei der aktuellen Maßnahmenbeschwerde sind das 887,20 Euro.

Und zum anderen, und das ist hier bedeutsam, entscheiden vor dem Verwaltungsgericht Einzelrichter:innen. Es gibt aber keine Möglichkeit für eine ordentliche Berufung. Möglich ist einzig unter bestimmten Bedingungen eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder eine außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof.

Gemeinsam mit meinem Anwalt werde ich das Urteil nun genau prüfen und im Fall von Erfolgsaussichten selbstverständlich weitere rechtliche Schritte einleiten. Zur Verteidigung der Pressefreiheit.

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