Vier Tote und zahlreiche Verletzte. Briefbomben und der Anschlag von Oberwart. Das ist die Bilanz der faschistischen Anschläge im Österreich der 1990er Jahre. Ob Täter Franz Fuchs allein gehandelt hat? Daran gibt es bis heute relevante Zweifel.
Peter Sarközi, Josef Simon, Karl und Erwin Horvath werden am 4. Februar 1995 von einer Bombe zerfetzt. Sie sterben, weil sie ein rassistisches Schild entfernen wollten. Die Aufschrift: „Roma zurück nach Indien“. Die rassistische Parole diente als Köder, um Menschen zu töten – das Schild mit der Bombe war extra beim Roma-Ghetto am Rand des burgenländischen Ortes Oberwart platziert worden.
Die vier Männer aus der Minderheit der Burgenland-Roma sind nicht zufällig unterwegs. In einem Bericht des ORF heißt es: „Sie patrouillieren wie so oft um ihre Wohnsiedlung, die Roma-Siedlung in Oberwart, für den Schutz und die Sicherheit ihrer Familien.“ Offenbar war die Siedlung also bereits des Öfteren zum Ziel rechter Angriffe geworden. Und die Bewohner:innen müssen den Selbstschutz organisieren. Der ORF-Bericht erschien hier zum 25-jährigen Gedenktag des Anschlags, online ist er nicht mehr verfügbar.
Diese vier Morde sind der brutale Höhepunkt einer faschistischen Anschlagsserie, die Österreich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre prägt. Bei mehreren Anschlagswellen werden zahlreiche Menschen oft schwer verletzt. So explodiert nur zwei Tage nach den Morden von Oberwart bereits die nächste Bombe, diesmal im burgenländischen Stinatz/Stinjaki. Ein Mitarbeiter der Müllabfuhr erleidet schwere Verletzungen. Stinatz/Stinjaki wurde offensichtlich sehr bewusst als Ort des Anschlags gewählt: Der Ort ist ein bekanntes Zentrum der kroatischen Minderheit in Österreich.
Die Polizei attackiert zuerst die Opfer
In einem Bekennerschreiben, das damals in einem Buswartehäuschen im Nachbarort Ollersdorf/Fratrovo Selo/Barátfalva gefunden wird, heißt es: „Clans der Schifkowits, Grandits, Stoisits, Resetarits und Janisch zurück nach Dalmatien …“ Gemeint sind damit offenbar Persönlichkeiten, die sich für Minderheiten einsetzen oder selbst Angehörige von Minderheiten sind: Der damalige Direktor des zweisprachigen Gymnasiums in Oberwart, Martin Zsifkovits. Die Grün-Politikerinnen Marijana Grandits und Terezija Stoisits. Der steirische Pfarrer Pfarrer Janisch. Und die Gebrüder Resetarits: Kabarettist Lukas, ORF-Journalist Peter sowie der inzwischen verstorbene Sänger Willi, vor allem bekannt als Ostbahn-Kurti. Das Bekennerschreiben schließt mit: „Friedrich II., der Streitbare, Herzog von Österreich Steiermark und Vier Burgenland“.
In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass sich „Schifkowits“ auf den bekannten, gleichnamigen Sänger von STS bezogen hätte. Vielen Dank an Kabarettist Lukas Resetarits für den Hinweis, Ex-Schuldirektor Martin Zsifkovits ist sein Cousin.
Erst nach diesem Anschlag ist offenbar auch für die Behörden geklärt, dass die Bombe von Oberwart ein rechter Anschlag war. Zuvor hatte die Polizei noch alle Wohnobjekte im Roma-Ghetto durchsucht, wie die Polizeiprotokolle zeigen. Während die Leichen der vier Ermordeten vermutlich noch nicht einmal kalt sind, durchsucht die Polizei die Häuser ihrer Familien, ihrer Freund:innen und ihrer Nachbar:innen.
Zahlreiche schwer verletzte Menschen
Die Anschläge von Oberwart/Felsőőr/Borta/Erba und Stinatz/Stinjaki sind Teil einer ganzen Serie von Anschlägen mit Briefbomben und Bomben – insgesamt rund drei Jahre dauert dieser faschistische Terror in Österreich. Die erste Serie von Anschlägen mit Briefbomben startet im Dezember 1993, zehn Briefbomben erreichen zwischen 3 und 6. Dezember ihre Adressat:innen. Vier davon explodieren und verletzten mehrere Menschen: Den Wiener Bürgermeister Helmut Zilk (SPÖ), die ORF-Mitarbeiterin Silvana Meixner, den Pfarrer August Janisch sowie die Angestellte eines Masseverwalters – diese Bombe sollte einen migrantischen Verein treffen.
Eine weitere Serie mit vier Briefbomben folgt im Oktober 1994, keine der Bomben explodiert. 1995 folgen gleich drei Serien, wieder gibt es etliche teils schwer verletzte Menschen. Unter ihnen die Flüchtlingshelferin Maria Loley, den SPD-Politiker Thomas Rother, die Mitinhaberin einer Partner:innenvermittlung sowie einen aus Syrien stammenden Arzt. Eine letzte Briefbombe wird Ende 1996 verschickt, sie ist an Lotte Ingrisch adressiert, die Stiefmutter des damaligen Innenministers Caspar Einem (SPÖ). Diese Bombe kann abgefangen werden.
Parallel beginnen Bombenanschläge: Zum Ziel wird neben Oberwart und Stinatz auch die zweisprachige Volksschule in Klagenfurt. Bereits am 24. August 1994, ein halbes Jahr vor Oberwart, wird dort eine Rohrbombe gelegt, aber rechtzeitig entdeckt. „Wenn die hochgegangen wäre, hätte es viele Tote gegeben“, sagt der damalige Chefinspektor Robert Sturm gegenüber APA und Standard.
Ethnische Minderheiten und Antifaschist:innen im Visier
Die Bombe explodiert in der Röntgenstraße am Klagenfurter Flughafen, wo sie der sprengstoffkundige Gendarm Theo Kelz durchleuchten wollte. Kelz verliert beide Arme, ein weiterer Beamter wird schwer verletzt, ein dritter leicht. Das Ziel all dieser Anschläge ist eindeutig: Getroffen werden sollen Menschen, die in der Öffentlichkeit mit antirassistischen Aussagen auffallen, Migrationshintergrund haben, mit Migrant:innen arbeiten oder ethnischen Minderheiten angehören. Und trotz all dieser vorhergehenden Anschläge will die Polizei das Attentat in Oberwart zuerst nicht als rechten Terror wahrnehmen.
Zu den Attentaten bekennt sich eine „Salzburger Eidgenossenschaft – Bajuwarische Befreiungsarmee“ (BBA). In ausführlichen Bekennerschreiben werden die Attentate politisch begründet. Die Bekennerschreiben zeigten dabei ein oft verdrehtes, doch durchaus profundes historisches Wissen, das offensichtlich deutschnational geprägt ist. Die Briefe strotzen gleichzeitig vor Rassismus und Antisemitismus. Dazu ist die Feindschaft gegen die slowenische und kroatische Minderheit besonders augenscheinlich – sie manifestiert sich auch in mehreren Anschlagszielen. Manches in den Briefen deutet dabei auf burschenschaftliche Kreise hin.
Wer sind die Täter:innen?
So ist in einem Bekennerschreiben vom Dezember 1993, das mutmaßlich von der BBA stammt, von „Knallfröschen zu unserem Krambambulicocktail“ die Rede. Der Begriff „Krambambuli“ wird unter deutschnationalen Verbindungsstudenten gern als Begriff für eine Feuerzangenbowle verwendet, also für ein bestimmtes alkoholisches Getränk. Doch außerhalb dieser Szene ist der Begriff kaum bekannt.
Daneben tauchen in den Bekennerschreiben immer wieder Anspielungen auf vertrauliche Informationen aus dem polizeilichen Ermittlungsapparat auf. So berichten etwa die Oberösterreichischen Nachrichten, dass in einem Schreiben Hinweise auf ein geheimes Gutachten des Salzburger Historikers Heinz Dopsch enthalten wären. Dopsch hätte es im März 1995 für die Briefbombensonderkommission erstellte.
Der Professor ist sich sicher: „Der Verfasser der Bekennerschreiben hat mein Gutachten zu Gesicht bekommen.“ In späteren Schreiben habe dieser sogar auf jene Passagen des Gutachtens reagiert, wo er zu Recht korrigiert wurde. Etwa durch die spätere Übernahme korrekter Fachausdrücke. Die Folgerung des Experten: „Es gab wohl direkte Verbindungen zwischen Innenministerium und den Hintermännern der Briefbomben.“
Kontakte zu Personen im Sicherheitsapparat?
Auch der damalige Innenminister Caspar Einem erklärt im Oktober 1995: „Es gibt Hinweise, dass die Täter Kenntnis von bestimmten Papieren haben, die es bei uns im Haus gibt.“ Dazu gibt es bereits auf Basis der Bekennerschreiben Hinweise auf mehrere Täter:innen. So sagt etwa der Sprachwissenschaftler Günter Lipold nach Analyse der BBA-Bekennerbriefe, dass zumindest drei Personen die BBA-Briefe verfasst hätten.
In der ersten Ermittlungsphase gehen die Behörden diesen Hinweisen auch nach. Im März 1995 beschlagnahmt die Staatspolizei sogar die gesamte Abonnent:innenkartei der Aula, also der burschenschaftlichen geprägten Zeitschrift der FPÖ-nahen Akademikerverbände. Es gibt auf Basis der Bekenner:innenschreiben Hinweise, dass der oder die Autor:innen der Bekennerschreiben die Aula lesen würden.
Bald werden auch Personen aus der neonazistischen Gruppe „Volkstreue Außerparlamentarische Opposition“ (VAPO) rund um Gottfried Küssel verhaftet. Die VAPO ist ebenfalls eng mit verbindungsstudentischen Kreisen verwoben. Auch Führer Küssel selbst – der zu diesem Zeitpunkt bereits wegen Wiederbetätigung im Gefängnis sitzt – war Mitglied einer Verbindung, der Wiener Akademischen Turnerschaft Danubo-Markomannia.
Verhaftungen im Burschenschafter-Nazi-Milieu
Unter den Verhafteten ist auch der Steirer Franz R. Der VAPO-Mann ist einer der zentralen burschenschaftlichen Kader des Landes. Als damaliges Mitglied der Wiener Burschenschaft Teutonia war er sogar Sprecher des Wiener Korporationsrings (WKR) gewesen, also des Dachverbands der deutschnationalen Studentenverbindungen in Wien. Die Teutonia gilt als eine der einflussreichsten Burschenschaften im deutschsprachigen Raum. Nach der Verhaftung werden Franz R. und sein Kamerad Peter B. vor Gericht gestellt.
Beim Prozess im Oktober 1995 werden R. und B. dann vom Vorwurf der Beteiligung an den Anschlägen freigesprochen. R. wird gleichzeitig zu drei Jahren Haft wegen NS-Wiederbetätigung verurteilt, B. sogar zu fünf Jahren. Bis heute können R. und B. als wichtige Kader der Neonazi-Szene gelten. Beide stehen auch danach wiederholt wegen einschlägiger Delikte vor Gericht und werden verurteilt.
Im Dezember 2020 werden Peter B. und mehrere andere extreme Rechte im Zusammenhang mit einem riesigen Waffenfund festgenommen. Die Nazis hatten insgesamt 76 voll- oder halbautomatische Waffen gehortet, dazu Pistolen, Revolver, Handgranaten, Sprengstoff und bis zu 100.000 Schuss Munition. Die Waffen sollen für den Aufbau von Nazi-Milizen in Deutschland bestimmt gewesen sein. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Der oder die Bekennerschreiber:innen versuchen während des Prozesses immer wieder, R. und B. zu entlasten. Erwähnt werden in Briefen auch weitere VAPO-Kader, die vor Gericht stehen, etwa Gottfried Küssel und Hans Jörg S. junior. Als R. und B. dann zu insgesamt acht Jahren verurteilt werden (R. zu drei Jahren, B. zu fünf), kündigt die BBA in einem Schreiben an das Nachrichtenmagazin profil weitere Anschläge an.
Die Verurteilungen würden die BBA zu „weiteren 8 Briefbomben und 0,8 Staatsbegräbnissen“ verpflichten. Der oder die Verfasser:innen fühlen sich den Verurteilten offenbar verpflichtet. Die Bekennerschreiben sind übrigens im Original im Buch „Franz Fuchs – Doch kein Einzeltäter? des damaligen ORF-Redakteur Hans Christian Scheid abgedruckt, das 2001 erschienen ist.
Franz Fuchs wird verhaftet
Nach diesem missglückten Prozess gelingt den Behörden erst am 1. Oktober 1997 eine weitere Verhaftung – allerdings aus purem Zufall: Bei einer Verkehrskontrolle wird der Steirer Franz Fuchs aufgehalten. Der Mann aus der südsteirischen Ortschaft Gralla zündet dabei eine Rohrbombe, weil er glaubt, er wäre enttarnt worden.
Nach seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft begeht Fuchs am 26. Februar 2000 in seiner Zelle Selbstmord. Beim Prozess hatte er Parolen wie „Es lebe die deutsche Volksgruppe“ gebrüllt. Offiziell ist Fuchs ein Einzeltäter, der Fall ist damit abgeschlossen. Medial wird Fuchs pathologisiert, die FPÖ versucht absurderweise gar, ihn als Linken darzustellen.
„Mundtot gemacht“
Doch bis heute gibt es berechtigte Zweifel, ob Fuchs tatsächlich ein Einzeltäter war. So gibt es zahlreiche Gutachten und Aussagen von Zeug:innen, die gegen diese These sprechen. Die Bombe in Oberwart etwa soll laut Zeugen von drei Personen deponiert worden sein. Auch der Historiker Herwig Wolfram, emeritierter Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung und ehemaliger Gutachter im Fall BBA, ärgert sich: “Irgendwann hat man uns ja alle für verrückt erklärt, weil wir nicht an die Einzeltäterthese glauben wollten. Wir wurden mundtot gemacht.”
Der Ex-Briefbomben-Sonderermittler Rudolf Huber nennt in einer 2009 öffentlich gewordenen Anzeige dann sogar Namen. Der bereits 1973 wegen Mordes verurteilten Schriftsteller Otto Rudolf Braun sowie der Techniker Walter H. seien laut ihm weitere Täter gewesen.
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Braun war auch in der später verbotenen Neonazi-Partei NDP aktiv gewesen und soll beste burschenschaftliche Verbindungen gehabt haben. Beide Männer sind allerdings inzwischen verstorben. Die erste Bombenserie, so Ex-Ermittler Huber, habe genau 20 Jahre nach der Verurteilung Brauns begonnen.
Indizien für weitere Verdächtige
Der einschlägige Rechte Braun, so der zentrale Vorwurf Hubers, den er auf 41 Seiten mit einer peniblen Indizienkette ausführt, „bringt sämtliche ideologischen, literarischen und universitären Voraussetzungen und Kenntnisse als Verfasser der Bekennerschreiben mit sich. Braun besaß persönliche oder schriftliche Kontakte oder Bezüge zu verschiedenen Empfängern der Briefbomben oder der fingierten Absender.
Auch die Anwesenheit im Umfeld verschiedener Tatorte ist erwiesen. Es besteht insgesamt eine derartige Fülle an markanten Übereinstimmungen und Parallelen zwischen den Hintergründen verschiedener Anschläge, sowie Inhalten von Bekennerschreiben und Otto Rudolf Braun und dessen Publikationen, wie sie nur auf das ideologische Bombenhirn und den Verfasser zutreffen können“.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat Huber und den „Schriftsteller und Studenten Braun“ im Oktober 2008 einvernommen. Weitere Ermittlungen wurden nicht angeordnet, nicht einmal die Opfer wurden informiert oder zu Braun befragt, wie vom Falter veröffentlichte Teile der Fall-Akte zeigen. Für Braun sowie Walter H. gilt trotz Ablebens weiterhin die Unschuldsvermutung.
Huber behauptete in den Verhören, so der Falter , der Verdächtige Braun hätte sich in einem Dilemma befunden: „Ich habe den Eindruck, dass er sich outen möchte. Jedoch dass er dies erst dann wirklich tun will, wenn er nicht mehr hafttauglich ist. Bis dahin so glaube ich, bin ich (Huber) der einzige Strohhalm, von dem er sich erhofft, dass eine von ihm bekundete Täterschaft bekannt wird.“
Die Antwort von Braun laut Falter: Die Vorwürfe Hubers seien ein „Kaas“. Huber sei ein „Narr“, der ihm 3000 Euro geboten habe, wenn er ein Geständnis ablege. Doch es stimme, dass er sich immer wieder mit ihm treffe, um über den Fall zu reden.
Das Täterprofil traf „eher auf mich“ zu, sagt Braun
Nach einem dreistündigen Falter-Interview hätte Braun sogar gesagt: „Ich würde mich gerne mit dem Kriminalpsychologen Thomas Müller unterhalten. Denn sein Täterprofil war falsch. Es traf nicht auf Fuchs zu, sondern eher auf mich.“ Braun hätte dem Sonderermittler Huber bei den Treffen auch Fachbücher zur Briefbombencausa überreicht und verblüffende Hinweise zu den fingierten Absendern der Briefbomben gegeben.
Zwei Decknamen der BBA geben ebenfalls zu denken: „Herzog Oadilo von Bayern“ und „Norbert Urban“. Oadilo, das ist altdeutsch für Otto, so Huber. Otto Braun habe nach seiner Entlassung in Bayern gelebt. Und „Urban“ ist ein Anagramm des Namens Braun. In einem Bekennerschreiben der BBA heißt es: „Bezüglich der Auswahl des fingierten Familiennamens URBAN fühlt sich der Kampftrupp überführt.“ Auch bei weiteren Absendernamen und Opfern gäbe es Indizien, die zu Braun führen.
So pflegte Braun, wie er selbst sagt, Kontakte zum späteren Bombenopfer Lotte Ingrisch. Er wollte Texte der Schriftstellerin publizieren, doch sie wollte dafür Geld. Kurz nach dem Treffen wird eine Briefbombe an Ingrisch aufgegeben. Lotte Ingrisch wird zu Otto Rudolf Braun nie befragt, wie sie dem Falter (Paywall) erzählt.
„Darf ich dir vorstellen, Ingenieur Franz Fuchs aus Gralla, Südsteiermark“
Auch der Wiener Schauspieler Alexander Waechter erzählt von einer brisanten Begegnung. In einem Wiener Wirtshaus hätte er einen berüchtigten Neonazi aus seinem Heimatdorf im niederösterreichischen Weinviertel erkannt. „Der Neonazi“, erinnert sich Waechter gegenüber dem Falter, „begrüßte mich und macht mich mit seinem Tischnachbarn bekannt: ,Darf ich dir vorstellen, Ingenieur Franz Fuchs aus Gralla, Südsteiermark.'“ Ein gepflegter, höflicher Herr sei dieser Herr Fuchs gewesen.
„Ich hab‘ mich noch geärgert, dass ich als geborener Steirer die Ortschaft Gralla nicht kenne“, sagt Alexander Waechter zur Zeitschrift Format. Wenige Tage später trifft Waechter dasselbe Paar noch einmal, diesmal auf dem Dorfplatz von O., einer kleinen Gemeinde im Weinviertel. Diese Begegnung würde darauf hindeuten, dass Fuchs eben kein Einzeltäter war, sondern in Neonazi-Kreisen verkehrte.
Nur ein „Doppelgänger“?
Der Schauspieler erzählt dem Falter ein weiteres brisantes Erlebnis: Er wäre gerade mit seinen Dalmatiner in der kleinen Weinviertler Gemeinde spaziert, als er Verdächtiges wahrgenommen hätte. Er hätte den erwähnten Neonazi dabei beobachtet, wie der stapelweise Bücher ins Haus schleppte. „Wir bauen eine rechtsradikale Bibliothek auf!“, soll der Mann zu Waechter gesagt haben.
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Waechter sieht sich die Bücher genauer an, wie er erzählt – und siehe da: Auf einem der Buchdeckel ist das Wort „Bajuwarisch“ zu lesen. Waechter provoziert den Neonazi nach eigener Aussage: „Die Bajuwaren sind doch eigentlich Slawen!“ Der Neonazi, so erinnert sich Waechter, findet die Bemerkung gar nicht lustig und verschwindet im Haus. Nicht ohne einen provokanten Abschiedsgruß hervorzustoßen: „Wir wehren uns!“. Genau diese Parole ist der zentrale Slogan in den Bekennerschreiben der BBA.
Der damalige Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Michael Sika, hingegen behauptet, es könne sich hier um einen „Doppelgänger“ von Franz Fuchs gehandelt haben. Warum allerdings der angebliche „Doppelgänger“ gerade als „Ingenieur Franz Fuchs aus Gralla, Südsteiermark“ vorgestellt wird und woher dem „Doppelgänger“ dieser Name überhaupt bekannt sein soll – das wird wohl Sikas Geheimnis bleiben. Doch sogar Sika selbst sagt nach dem Prozess gegen Fuchs, er glaube zwar immer noch, „dass die BBA nur im Gehirn des Fuchs existiert“. Doch Sika sagt auch: „Ich halte es natürlich für möglich, dass er zumindest Teil-Mitwisser hat.“
Drohungen zu früh abgeschickt?
Dann gibt es eine weitere dubiose Begebenheit: Die damalige Grün-Abgeordnete Madeleine Petrovic bestätigt mir gegenüber die Darstellung eines Blogs, wonach sie bereits im Mai oder Juni 1993 Drohbriefe mit dem Briefkopf der BBA und dem Schlusssatz: „Wir wehren uns!“ erhalten hätte. An diese Drohbriefe könne sie sich sehr gut erinnern, weil sie ein ausgezeichnetes Gedächtnis habe. Warum das wichtig ist? Hier ist der zeitliche Ablauf entscheidend.
Denn die erste Serie von Briefbomben wurde Monate später verschickt: Erst im Dezember desselben Jahres erreichten diese ihre Adressat:innen und verletzten drei Menschen schwer. Noch vor dieser ersten Serie sei dann der Aktenordner, der die Drohbriefe enthielt, durch einen angeblichen Mitarbeiter des Innenministeriums aus dem Parlament entwendet worden, so Petrovic. Das Interesse an den Unterlagen sei möglicherweise deshalb hoch gewesen, weil sie unmittelbare Informationen zur Person des Attentäters enthielten.
Die Identität dieses vermeintlichen Mitarbeiters sei trotz Ermittlungen nie geklärt worden. Petrovic schreibt mir: „Der Ordner ist nie wieder aufgetaucht und meine damalige Sekretärin hat leider den Namen des angeblichen Polizisten (in ziviler Kleidung) nicht aufgeschrieben.“
Viele offene Fragen
Viele Fragen sind weiter offen. Etwa die Frage, woher Einzeltäter Franz Fuchs aus der Südsteiermark Informationen über behördeninterne Vorgänge im Innenministerium haben sollte. Die BBA provoziert laut Falter die Behörden etwa, indem ein bestimmter Gutachter zur Analyse ihrer Bomben empfohlen wird, „weil dieser schließlich wisse, wie man kostengünstig zu Ergebnissen komme“. Tatsächlich soll einige Zeit, bevor die BBA dies schrieb, im Innenministerium der Gutachter als kostengünstiger gegenüber vergleichbaren Kollegen eingestuft worden sein. Dieses Detail war aber nirgends publiziert worden.
Es gibt noch einige weitere ähnliche Begebenheiten. Woher wusste Franz Fuchs davon? Wie soll der vermeintliche Einzelgänger aus Gralla an solche Erkenntnisse gekommen sein? Und natürlich auch: Wer waren seine mutmaßlichen Kontakte im Behördenapparat?
Dann die Bekennerschreiben: Einerseits sind da die Analysen, dass mehrere Personen die Briefe geschrieben hätten. Andererseits fallen die sprachliche Gewandtheit sowie das historische Spezialwissen auf, das auf intensive Beschäftigung mit entsprechender Literatur hindeutet. Bei Fuchs wird keine solche Literatur gefunden. Die Bekennerschreiben zeigen auch eine laufende und sehr akribische Medienbeobachtung von Tages- und Wochenzeitungen. Doch bei Fuchs gibt es kein Medienarchiv.
Wo sind Mediendokumentation, Labor und Schreibgeräte?
Journalist Scheid zitiert in seinem Buch über Fuchs auch aus der Strafanzeige. Laut der hätte Fuchs keine fallrelevanten Medien abonniert. Wo sind also all die Zeitungen, die Fuchs gebraucht hätte? Er könnte sie vernichtet haben – doch wie hat er sie bekommen? Fuchs müsste sie auf Papier erhalten haben, damals gab es noch kein Internet im heutigen Sinn. Doch auch in den Trafiken der Umgebung wäre nie aufgefallen, dass Fuchs fallrelevante Medien gekauft hätte. Scheid wird in seinem Buch zwar oft etwas sehr spekulativ, doch er stellt relevante Fragen.
So gibt es auch keine Spur zur Schreibmaschine oder den Schreibmaschinen, auf denen die Bekennerschreiben verfasst wurden. Dazu stehen die Aussagen von Schauspieler Waechter („Darf ich vorstellen, Franz Fuchs“) ebenso weiter im Raum wie die Aussagen von Zeug:innen, die in Oberwart drei Täter angaben.
Kabarettist Lukas Resetarits hat bis heute ebenfalls viele offene Fragen, wie er mir erzählt. Auch an seine Mutter war eine Briefbombe adressiert. „Die Bombe war an die Privatadresse meiner Mutter adressiert. Und als Absender war mein Cousin Martin Zsifkovits angegeben, ein Schuldirektor. Der aber war bestenfalls regional bekannt.“ Resetarits fragt: „Woher kannten der oder die Attentäter all diese Details?
Gefunden wurden bei Fuchs allerdings Sprengstoffe sowie eine als Blumentopf getarnte Sprengfalle. Dazu zeigt eine Wasseranalyse laut Behörden, dass der Gipssockel für die Bombe von Oberwart mit Wasser aus dem Hausbrunnen von Fuchs angefertigt wurde. Dass Fuchs am Bombenterror beteiligt war, steht außer Zweifel. Die Frage ist, ob er allein gehandelt hat.
Warum wurde nicht weiter ermittelt?
Viele der offenen Fragen wurden während des Fuchs-Prozesses auch medial gestellt. Vor Gericht wurden sie allerdings leider nicht nur nicht beantwortet – sondern oft nicht einmal zugelassen. Scheid kritisiert den fallführenden Richter dafür scharf. Dieser hätte zahlreiche Anträge von Gutachtern nicht zugelassen.
Vielleicht hätten sich all diese Fragen also aufklären lassen, wenn weiter ermittelt worden wäre oder wenn sie im Prozess eine größere Rolle gespielt hätten. Vielleicht wäre dann auch klar geworden, dass Fuchs tatsächlich allein gehandelt hat. Ein durchaus relevantes Argument der Behörden: Es hätte immerhin 153 Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit der Suche nach dem Täter oder den Täter:innen gegeben.
Das Problem ist: Wir wissen es nicht. Doch es gibt offensichtlich bis heute relevante Fragen, die die Einzeltäter:innen-These zumindest in Frage stellen.
Mit „allergrößter Wahrscheinlichkeit“ ein Einzeltäter, sagen die Behörden
Der damalige Chefinspektor Robert Sturm sagt im November 2023 weiterhin: „Auch dreißig Jahre nach Beginn des Bombenterrors von Franz Fuchs gibt es keine Erkenntnisse, wonach es damals Mittäter gab.“ Werner Sabitzer formuliert es im Magazin des Innenministeriums etwas vorsichtiger.
Er schreibt, dass Fuchs „mit allergrößter Wahrscheinlichkeit“ allein gehandelt hätte. Was jedenfalls für die Einzeltäter-These spricht: Große Verschwörungen mit vielen Beteiligten brechen üblicherweise irgendwann zusammen, weil jemand auspackt. Oder es sind eben nur Verschwörungserzählungen.
Doch was andererseits durchaus möglich ist: Dass gar nicht groß vertuscht und verschworen wurde. Sondern dass nach der Ergreifung von Fuchs einfach nicht mehr intensiv (genug) weiter ermittelt wurde, weil der vermeintliche Einzeltäter gefunden war. Ein Einzeltäter war wohl auch politisch angenehmer als eine Nazi-Terrorzelle mit Kontakten ins Innenministerium.
Die FPÖ und ihr „bester Mann“
Ob es also tatsächlich weitere (lebende oder tote) Mittäter:innen gibt, wissen wir heute einfach nicht. Ebenso unklar ist damit, ob und welches Wissen es in burschenschaftlichen und neonazistischen Kreisen zu diesem Fall gab oder gibt. Doch wir sind es den ermordeten und verletzten Menschen schuldig, immer wieder an die offenen Fragen zu erinnern.
Die Attentate der BBA fallen in die Zeit des Aufstiegs der FPÖ unter Jörg Haider. Die Partei überschwemmte mit rassistischen Parolen das Land, die sich im Kern kaum von vielen Thesen der BBA unterschieden.
Die Kronenzeitung veröffentlichte Artikel, die ebenfalls teils nur wenig Unterschiede zu Thesen der BBA aufwiesen. Und schließlich ging auch die Sozialdemokratie auf scharfen Rechtskurs – nicht ohne Grund konnte Haider den damaligen SPÖ-Innenminister Franz Löschnak als seinen „besten Mann in der Regierung“ bezeichnen.
Die BBA hatte sich auch explizit auf die Türkenkriege bezogen – die ersten BBA-Anschläge wurden von einer „Kampfeinheit Ernst Rüdiger von Starhemberg“ ausgeführt. Sie benannte sich also nach dem Wiener Stadtkommandanten während der osmanischen Belagerung von 1683.
Politisch war Fuchs jedenfalls nicht allein
Bis heute sind solche Bezüge auf die Türkenkriege in der extremen Rechten weit verbreitet – unter anderem bei der neofaschistischen Gruppe Identitäre. Sogar der neonazistische Massenmörder von Christchurch in Neuseeland hatte die Worte „Vienna 1683“ auf seine Waffe geschrieben.
Franz Fuchs stammt aus dem steirischen Grenzland-Milieu, einer traditionellen Hochburg deutschnationaler Kräfte. Die slowenische Minderheit in der Steiermark wird dagegen bis heute unterdrückt, sie ist kaum anerkannt und soll nicht sichtbar werden. In diesem Milieu hat sich Fuchs politisiert.
Auch, wenn Fuchs also tatsächlich ein Einzeltäter gewesen sein sollte: Politisch war – und ist – er sicherlich nicht alleine.
- Dieser Artikel ist erstmal am 4. Februar 2020 erschienen und wurde mehrmals umfangreich ergänzt und erweitert, zuletzt im März 2024.
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