Geht es wirklich nur um russisches Gas? Welche Schuld trägt die neoliberale Gestaltung der Energiemärkte? Und wie müsste ein leistbares Energie-System in der Klimakrise aussehen? Eine Analyse von Michael Bonvalot.

[Erstveröffentlichung: Moment.at] Wer soll sich das noch leisten können? Die Strom- und Gaspreise gehen immer schneller durch die Decke. Ohne politische Eingriffe droht eine soziale Katastrophe. Und es sieht nicht so aus, als wäre ein schnelles Ende der Preisexplosion in Sicht. Doch wie konnte es so weit kommen?

Liberalisierung: Die Pseudo-Erlösung

„Vor zwanzig Jahren hat Österreich als eines der ersten Länder Europas seinen Strommarkt liberalisiert.“ Noch im vergangenen Jahr bringt „Österreichs Energie“, der Branchenverband der Energiebetreiber, dazu eine Jubelmeldung. Davor sei vieles anders gewesen: „Kunden waren Abnehmer und es gab behördlich festgelegte Tarife.“

Doch dann „folgte ein Meilenstein auf den anderen“. Und schließlich die Pseudo-Erlösung: „Seit inzwischen zwanzig Jahren herrscht aber freier Wettbewerb.“ Fazit des Branchenverbands: „Sowohl aus Anbietersicht als auch aus jener der Konsumenten wurde die Liberalisierung zu einem Erfolg.“

Die Menschen in Österreich lernen gerade, was das heißen kann, wenn sie den nächsten Brief mit einer Energiepreiserhöhung im Postfach finden. Dass die neoliberalen Fantasien zusammen gekracht sind, muss inzwischen auch Österreichs Energie erkennen: „Wir waren immer dagegen, in den Preis einzugreifen“, sagt Barbara Schmidt, Generalsekretärin des Branchenverbands im ORF. Doch jetzt solle und müsse sogar „auf europäischer Ebene“ in den Preis eingegriffen werden.

Geht uns wirklich das Gas aus?

Vor allem der Gaspreis schießt derzeit dramatisch nach oben. Tatsächlich aber – und das geht in der öffentlichen Debatte oft unter – ist das Angebot an Gas eigentlich gar nicht kleiner geworden. Russland würde den Preis zwar bereits seit Mitte 2021 künstlich manipulieren, sagt Josef Thoman, Energie-Experte der Arbeiterkammer: „Da wird vorsätzlich gespielt, etwa mit der Ankündigung von Revisionen, bei der Wartung einer Turbine oder bei den kurzfristig zu liefernden Mengen.“

Bei der tatsächlich gelieferten Menge von Gas dürfte das aber nicht ins Gewicht fallen: „Russland liefert die vertraglich vereinbarten Mengen“, sagt ein Strom-Experte, der namentlich nicht genannt werden will. Im Vergleich der letzten zehn Jahre sei der aktuelle Stand in Österreich sogar im oberen Viertel der Gas-Einspeicherung.

Für diesen Artikel habe ich übrigens mit einer Reihe von Expert:innen aus der Energiewirtschaft gesprochen. Außer AK-Mann Josef Thoman wollte niemand namentlich zitiert werden. Mehrere Energieversorger haben auf Anfragen gar nicht reagiert.

Warum steigen dann die Energiepreise?

Das Problem der steigenden Energiepreise ist vor allem eine spekulative Blase. Zwar gibt es aktuell tatsächlich eine Reihe von Problemen. Frankreich etwa fehlt derzeit wegen Schwierigkeiten mit Atomkraftwerken so viel Strom, wie Österreich im Jahr verbraucht. Und auch die Klimakrise zeigt ihre Auswirkungen: Wegen mangelnder Niederschläge fehlt Kühlwasser für viele Gas-, Kohle- und Atomkraftwerke.

Bild: Michael Bonvalot

Doch vor allem geht es hier um steigende private Profite. Händler:innen spekulieren darauf, dass das Angebot sich verknappen könnte und verlangen Mondpreise. Auch AK-Experte Thoman sagt: „Die Spekulation ist ein wesentlicher Preistreiber.“

Theorie und Praxis des Merit-Order-Systems

Durch das sogenannte Merit-Order-System zieht der Gaspreis den Strompreis mit nach oben. Merit Order bedeutet „Reihenfolge der Vorteilhaftigkeit“. Dieses System funktioniert im Wesentlichen so, dass das teuerste für den Netzbedarf benötigte Kraftwerk den Strompreis bestimmt.

In der Theorie sollte das Merit-Order-System die Produzenten dazu verleihen, billig zu produzieren: Wenn die eigene Energie billig ist, aber nach dem höchsten Preis verrechnet werden darf, verdienen die Produzenten mehr.

Marktversagen

Doch jetzt zeigt diese kapitalistische Logik ihre Grenzen. Das letzte Kraftwerk ist zumeist ein teures Gaskraftwerk. „Manipulation und Spekulation treiben die Gaspreise nach oben. Und das Strommarktdesign in der EU führt dazu, dass auch der Strompreis mit dem Gaspreis mit steigt“ , sagt Thoman. Dringend notwendig sei also eine Entkoppelung von Strom- und Gaspreis.

Und sogar EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von der konservativen deutschen CDU muss das Marktversagen inzwischen zugeben: „Die in die Höhe schießenden Strompreise zeigen gerade aus verschiedenen Gründen die Grenzen unseres jetzigen Strommarktdesigns auf.“ Doch wie konnte es so weit kommen?

„Sie würden Deine Mutter privatisieren“

Die Ursachen liegen in den 1980er Jahren. Damals wurde die Liberalisierung der Strommärkte in der gesamten EU intensiv vorangetrieben. Es entsprach dem neoliberalen Zeitgeist. Darüber sang die Pop-Band „Communards“ einst in ihrem Song „Breadline Britain“: „Sie würden Deine Mutter privatisieren, wenn man ihnen eine halbe Chance geben würde.“

In Österreich gab es vor der Liberalisierung den staatlichen Verbund, die Landesenergieversorger und einige Stadtwerke. „Preiskommissionen haben dann bestimmt, was ein angemessener Preis für Energie ist, bei dem auch noch Raum für Investitionen bleibt“, erklärt Energie-Experte Thoman. Das „energiepolitische Zieldreieck“ wäre dabei bestimmt durch drei Faktoren: Versorgungssicherheit, Leistbarkeit und Nachhaltigkeit.

Der Staat behält die Netze, die Privaten profitieren

Doch dann hat Österreich die EU-Liberalisierung umgesetzt. Der Verbund etwa wurde 1987 von SPÖ und ÖVP in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und teilprivatisiert. Ebenso erging es der OMV. Der Strom- und Gashandel wurden freigegeben.

Die Netze dagegen wurden abgetrennt und unterliegen nicht dem Markt, sie werden reguliert. Netze sind sogenannte „natürliche Monopole“ Es macht keinen Sinn, zwei Gasleitungen nebeneinander zu bauen. Deshalb bekommen Haushalte eine eigene Netz-Rechnung, etwa von der Stadtwerke-Tochter Wiener Netze, von Stromnetz Graz oder von Linz Netz. Doch die Abtrennung der Netze zeigt bereits die neoliberalen Problemlagen.

„Viele Kosten des Energiesystems werden in die Netzregulierung geschoben“, sagt Thoman. Für die Netzkosten würden die Verbraucher:innen aufkommen müssen: „Es sind vor allem die kleinen Kundinnen und Kunden, die die meisten Kosten tragen. Stromhändler, die die Netze für ihre europaweiten Geschäfte nutzen, zahlen so gut wie nichts.“

Warum fielen die Preise zuerst?

Tatsächlich gingen nach der völligen Liberalisierung des Strommarktes die Preise in Österreich erst mal nach unten. Profitiert hat davon vor allem die Industrie, doch auch für private Haushalte wurde die Energie billiger. Ob das allerdings tatsächlich vor allem auf die Liberalisierung zurückzuführen ist? Das ist laut Thoman keineswegs so eindeutig, wie es scheint.

„Die gesamte Energie-Infrastruktur wie die Kraftwerke oder das Strom- und Gasnetz wurden mit Steuermitteln aufgebaut.“ Und der Energie-Experte hinterfragt: „Dann kamen private Energiebetreiber und der Preis ist wohl gesunken. Aber war das die Liberalisierung oder war die Infrastruktur einfach abbezahlt?“

Als Folge der Liberalisierung kamen jedenfalls zahlreiche Handelsunternehmen auf den österreichischen Markt, die jetzt mit Strom und Gas handeln konnten. Eine Zeit lang haben sie kurzfristig billig eingekauft und waren damit billiger als jene (meist kommunalen oder teil-staatlichen) Unternehmen, die auf langfristige Versorgung gesetzt haben.

Thoman sagt: „Heute sind diese Handelsunternehmen aber so gut wie alle teurer als die kommunalen oder Landesenergieversorger. Oder es gibt sie nicht mehr.“

Preisdruck schafft Probleme

Für die Konsument:innen waren die erst mal billigeren Strompreise natürlich positiv. Profitiert haben aber vor allem Konzerne und Industrie. Und der Preisdruck nach unten durch die privaten Handelsunternehmen führte zu deutlichen Problemen. Das wird sogar im Artikel von „Österreichs Energie“ zum Thema.

Zitiert wird dort etwa Michael Strugl, Vorstandsvorsitzender der Verbund AG und ehemals stellvertretender Landeshauptmann in Oberösterreich. Und sogar der eingefleischte ÖVP-Mann gibt zu bedenken, dass die tiefen Strompreise der Jahrtausendwende „radikale Investitionsstopps“ ausgelöst hätten und damit noch heute nachhängen würden. Die damals entstandenen Ausbaulücken seien bis heute nicht aufgeholt.

Die Versorgungslücke wurde mit klimaschädlichem Gas aufgefüllt

Was hier noch fehlt: Dieses Problem hängt klarerweise auch mit der Liberalisierung zusammen. Und günstigere Energiepreise für die Bevölkerung hätten auch mit staatlichen Betreibern umgesetzt werden können: Durch gesetzliche Vorgaben, finanziert etwa mit zweckgewidmeten Unternehmenssteuern.

Die entstehende Versorgungslücke durch den privaten Preisdruck wurde dann teils mit Gaskraftwerken aufgefüllt. Gas war lange sehr billig (und damit übrigens auch mitverantwortlich für den Wirtschaftsaufschwung in Österreich). Die Kosten hat die Allgemeinheit durch die massive Umweltverschmutzung bezahlt.

Raus aus Gas, rein in die Erneuerbaren

Doch auf Gas zu setzen wäre nicht nur aufgrund der aktuellen Schwierigkeiten mit Russland ein Problem. Auch die Klimakrise verlangt den schnellstmöglichen Ausstieg aus Gas.

Um das Klima-Problem weiter zu verschärfen, wurde auch noch viel zu wenig in den Ausbau erneuerbarer und nachhaltiger Energien investiert, also vor allem in Wind, Sonne oder Erdwärme. Teilweise fehlt dafür auch Personal: Die teilprivatisierte Verbund AG etwa hat kräftig Kolleg:innen abgebaut – die Logik des Kapitalmarkts verlangt ihre menschlichen Opfer.

Könnten die staatlichen Energieversorger jetzt nicht einfach die Preise drücken?

Trotz Teilprivatisierung ist die Verbund AG bis heute großteils im Besitz der Republik sowie von regionalen Energieversorgern. Und der Verbund selbst produziert Wasserkraft – deren Preis sich ja überhaupt nicht geändert hat. Dennoch verlangt auch die Verbund AG aktuell die marktüblichen Preise. Das Problem ist hier die frühere Umwandlung in eine Aktiengesellschaft durch SPÖ und ÖVP.

Nach Aktienrecht muss der Verbund heute die besten Preise für seine Aktionär:innen herausholen. Die sind heute entscheidend, nicht mehr die Kund:innen. Damit hat die Republik ihre unmittelbare Lenkungsmöglichkeit aufgegeben.

Später wird dann zwar der Anteil der Republik an den Dividenden wohl verteilt und indirekt wieder zurückgegeben werden – etwa durch die aktuelle Energie-Unterstützung der Regierung. Damit aber bezahlen die Kund:innen des Verbund auch Extra-Profite privater Energiebetreiber.

Würde eine Wieder-Verstaatlichung allein das Problem lösen?

Die meisten kommunalen Energiebetriebe, allen voran die Wien Energie, produzieren selbst nur wenig Strom. Sie geben derzeit also tatsächlich einzig die aktuellen Preissteigerungen am Markt an die Kund:innen weiter. Würden diese kommunalen Energiebetriebe das nicht tun, würden sie ohne staatliche Unterstützung sehr schnell Pleite gehen.

Die Wien Energie etwa ist heute als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmBH) im Eigentum der Stadt Wien organisiert. Eine klassische Ausgliederung. Doch eine Rücknahme der Liberalisierung würde nichts am Strompreis ändern, zu dem die Wien Energie selbst einkaufen muss.

Sie dürften die Preise nicht einmal senken

Vordergründig deutlich anders sieht die Geschichte beim Verbund und bei verschiedenen Landes-Energieversorgern aus. Die produzieren billige Wasserkraft und könnten diese somit auch billig weitergeben. Doch hier kommt ein weiteres Problem des Neoliberalismus ins Spiel: Sogenannte marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihre Marktmacht nicht ausnutzen und deutlich unter dem Marktpreis anbieten.

Das trifft natürlich vor allem die großen (ehemals) staatlichen Versorger. Mit dieser Regelung sollte sichergestellt werden, dass Private in alle Märkte eindringen können. Um die herrschende Marktlogik der EU-Staaten zu brechen, bräuchte es also nochmals tiefergehende Maßnahmen als allein die Betriebe wieder zu verstaatlichen.

Die Energiepreise könnten längerfristig enorm hoch bleiben

Um die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten, müssen sich Energiebetreiber bereits jetzt mit Energie für 2023 und sogar 2024 eindecken. Welche Probleme dabei entstehen können, zeigt die aktuelle Krise bei Wien Energie. (Meine Analyse zu den Problemen bei Wien Energie findest Du hier.)

Bild: Michael Bonvalot

Derzeit wird noch vor allem jene Energie verwendet, die vor der Krise billig eingekauft wurde. Damit könnten die Preise im kommenden Jahr nochmals dramatisch steigen. „Und wer sagt, dass bei 800 Euro je Megawatt Schluss ist? Es könnten auch 8000 Euro sein“, sagt ein Energie-Experte. Dem Markt sei bei Preissteigerungen zugesehen worden. „Also sind die Preise gestiegen.“

Was jetzt nötig ist:

  • Kurzfristig notwendig ist ein Preisdeckel auf Energiepreise. Dazu braucht es auch eine Lösung, damit die aktuellen teuren Einkäufe der Energieversorger nicht in den kommenden Jahren voll auf die Konsument:innen durchschlagen. Notwendig ist eine Lösung nicht nur für die Konsument:innen. Wenn Betriebe deutlich höhere Energiekosten haben, werden sie diese als Preiserhöhungen an die Konsument:innen weitergeben.
  • Die Sozialleistungen und Unterstützungsleistungen müssen dringend erhöht werden. Das betrifft nicht nur die einkommensschwächsten Schichten der Gesellschaft. Auch für Menschen mit einem Durchschnittseinkommen sind die aktuellen Preiserhöhungen für Energie, Miete, Transport und Lebensmittel bedrohlich.
  • Krisenbedingte Übergewinne müssen komplett abgeschöpft werden. Das betrifft vor allem Unternehmen, die bei unveränderten Herstellungskosten ihre Produkte nun um ein Vielfaches teurer verkaufen können – also etwa private Windkraftbetreiber und auch der Verbund. Und auch die mehrheitlich privatisierte OMV, die Erdöl und Erdgas fördert, gehört zu den großen Gewinnern. Einzig Investitionen in erneuerbare Energien sollten von der Abschöpfung ausgenommen werden.
Die Energie muss raus aus dem Markt

Doch das alleine sind nur kurzfristige Antworten auf das Problem. „Wenn Du nachhaltig einschreiten möchtest, musst Du an der Börse eingreifen“, sagt mir ein Energie-Experte. „Das bestehende Energiewirtschaftssystem muss komplett beendet werden.“ Ein anderer Fachmann ergänzt: „Die einzige Chance ist es, den Strommarkt komplett staatlich zu regulieren, sowohl für Private wie für die Industrie.“

Für die Energie bedeutet das, nicht nur einen Höchstpreis festzusetzen, sondern auch den Handel zu unterbinden. Einzige Ausnahme: Der notwendige direkte Handel der Energieerzeuger untereinander, um Energiespitzen auszugleichen.

Energie gehört, ebenso wie der öffentliche Verkehr oder auch die Müllabfuhr zur grundlegenden Daseinsvorsorge. Auch Wohnraum und genug Lebensmittel gehören zu den notwendigen Vorbedingungen für ein Leben in Würde. Um das sicherzustellen, müssen die zentralen Elemente der Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand sein. Denn private Profitinteressen haben bei grundlegenden Lebensnotwendigkeiten wie der Energie nichts verloren.

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