Nationalsozialismus ist in Österreich verboten. Doch wie ist das beim Faschismus? Eigentlich wäre Österreich rechtlich sogar verpflichtet, alle faschistischen Organisationen aufzulösen – nur weiß das fast niemand.
„Warum ist der eigentlich noch immer nicht weggesperrt?“, fragt eine Leserin auf meiner Facebook-Seite. Ich hatte davor einen Bericht über die Gruppe Identitäre und deren Führungskader veröffentlicht. Die Gruppe Identitäre ist eindeutig faschistisch. Dennoch kann sie in Österreich offen auftreten. Warum ist das so? Und wie hält es Österreich gesetzlich mit dem Faschismus?
Das Verbotsgesetz gegen nationalsozialistische Wiederbetätigung
Fast unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in Österreich ein wichtiges neues Gesetz erlassen. Es regelte das Verbot der NSDAP und aller anderen Nazi-Organisationen. Dieses Gesetz trat am 6. Juni 1945 in Kraft, es sah vor, dass alle Personen sich registrieren lassen mussten, die Mitglieder oder Anwärter:innen der NSDAP oder ihre Wehrverbände gewesen waren. Und Nazis sollten bestraft werden.
Passiert ist in weiterer Folge allerdings vergleichsweise wenig, nur sehr vereinzelt wurden Nazis tatsächlich vor Gericht gestellt. Und spätestens mit dem Beginn des „Kalten Krieges“ zwischen dem „Westen“ und der Sowjetunion wollten die politisch Verantwortlichen ohnehin kaum mehr über die Verfolgung der Nazis sprechen. Die sollten stattdessen in die jeweils eigene Partei integriert werden. Doch sogar im ersten Gesetzestext von 1945 gab es bereits eine Ausnahmebestimmung, die in weiterer Folge reichlich genützt wurde.
Schon damals gab es ein Schlupfloch
Denn im Gesetz hieß es: Wer die Zugehörigkeit zur NSDAP, der SS oder der SA „niemals missbraucht“ hätte und noch vor der Befreiung „eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich“ gezeigt hätte, würde ungeschoren davonkommen. Eine Einladung für viele Nazis, um sich nachträglich über persönliche Beziehungen reinwaschen zu lassen.
Zwei Jahre später wurde das Gesetz dann umfassend überarbeitet. Und diese überarbeitete Fassung aus dem Jahr 1947 ist der Kern des sogenannten Verbotsgesetzes, es ist in Österreich bis heute in Kraft.
Was steht im NS-Verbotsgesetz?
Die wesentlichen Bestimmungen des Verbotsgesetzes: Es ist verboten, die NSDAP oder eine andere Nazi-Organisation zu fördern oder aufzubauen. Und es ist verboten, sich im nationalsozialistischen Sinne wiederzubetätigen. Darauf stehen teils hohe Strafen. Das Gesetz wurde danach mehrmals überarbeitet, so wurde später etwa die Todesstrafe für Nazis aus dem Gesetz entfernt.
Zuletzt beschloss das Parlament im November 2023 eine Überarbeitung des Verbotsgesetzes. Da wurden die Strafdrohungen teils verschärft und die österreichische Strafrechtsgewalt wurde auch auf Delikte ausgedehnt, die im Ausland gesetzt wurden. Der Beschluss erfolgte übrigens gegen die Stimmen der FPÖ.
Austrofaschismus? Nie gehört!
Doch das NS-Verbotsgesetz hatte immer einen sehr engen Bezugsrahmen: Es zielte, wie der Name schon sagt, ausschließlich auf das Verbot des Nationalsozialismus. Damit aber blieb jede andere Variante des Faschismus in Österreich erlaubt. Und das war natürlich kein Zufall.
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Denn zwischen 1934 und 1938 hatten die Christlichsozialen, also die heutige ÖVP, in Österreich selbst eine faschistische Diktatur errichtet. 1938 verloren sie dann gegen die stärkere Nazi-Konkurrenz. Zahlreiche führende Nachkriegs-Politiker:innen der ÖVP waren vor 1938 Teil dieses faschistischen Regimes gewesen.
Faschistischer Führer vor 1938, ÖVP-Bundeskanzler nach 1945
Unter ihnen war etwa Leopold Figl, der erste Bundeskanzler der Zweiten Republik. Er war in der ersten Republik der niederösterreichische Führer der „Ostmärkischen Sturmscharen“, einer paramilitärischen Organisation des katholischen Faschismus.
Im Bürgerkriegsjahr 1934 wurde Figl dann Direktor des „Reichsbauernbundes“. Und während des Februaraufstands der Arbeiter:innenbewegung im Februar 1934 kämpfte der spätere ÖVP-Kanzler als „Sturmscharführer“ für den Faschismus.
Die faschistischen Paramilitärs der ÖVP
Auch Julius Raab, also Figls direkter Nachfolger als ÖVP-Bundeskanzler, war ein aktiver Faschist gewesen. In der ersten Republik war Raab der niederösterreichische Führer der paramilitärischen faschistischen Heimwehr, später schloss er sich ebenfalls den Ostmärkischen Sturmscharen an. Raab war auch ein ausgewiesener Antisemit: Den Führer der Sozialisten, Otto Bauer, beschimpfte er etwa 1930 in einer Parlamentssitzung als „Saujud“.
Die Nazis gingen nach ihrem Sieg im März 1938 mit der faschistischen Konkurrenz sehr unterschiedlich um. Raab etwa passierte gar nichts, Figl dagegen litt im KZ. Und der austrofaschistische Führer Kurt Schuschnigg wurde im KZ Sachsenhausen als sogenannter Prominenter untergebracht. Das bedeutete: Er lebte in einem separaten Haus und hatte eine Zwangsarbeiterin als Haushälterin, also eine Sklavin. Seine Frau durfte in der Stadt einkaufen, sein Sohn ging täglich in die öffentliche Schule.
Deshalb kann der Faschismus in Österreich legal auftreten
Die ÖVP hat sich bis heute kaum von diesem Erbe gelöst: Erst 2017 (!) wurde das Bild des faschistischen Putsch-Kanzlers Engelbert Dollfuß aus dem Parlamentsklub der ÖVP entfernt. Der aktuelle Innenminister Gerhard Karner war als Bürgermeister in Niederösterreich noch selbst für ein Dollfuß-Museum verantwortlich. Kritiker:innen sahen es eher als Kultstätte.
Auch das Wiener Denkmal des Antisemiten und Gründers der Christlichsozialen, Karl Lueger, wird von der ÖVP bis heute verteidigt. Adolf Hitler nannte Lueger in „Mein Kampf“ den „gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten“. Es sollte also kaum verwundern, dass der Faschismus in Österreich unter diesen Bedingungen erstmal nicht verboten wurde. Doch es gibt dabei ein großes „Aber“!
Es gäbe ein Gesetz gegen den Faschismus – das kennt nur fast niemand
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Denn neben dem NS-Verbotsgesetz gäbe es eigentlich noch eine weitere Bestimmung, sie ist heute allerdings weitgehend in Vergessenheit geraten: Die entsprechenden Artikel im österreichischen Staatsvertrag von 1955. Dort heißt es im Artikel 9 eindeutig: „Österreich verpflichtet sich, alle Organisationen faschistischen Charakters aufzulösen, die auf seinem Gebiete bestehen, und zwar sowohl politische, militärische und paramilitärische, als auch alle anderen Organisationen, welche eine irgend einer der Vereinten Nationen feindliche Tätigkeit entfalten oder welche die Bevölkerung ihre demokratischen Rechte zu berauben bestrebt sind.“
Der Staatsvertrag steht in Österreich bis heute im Verfassungsrang. Österreich wäre also sogar verpflichtet, faschistische Organisationen aufzulösen. Es passiert nur in der Praxis nicht – vermutlich auch deshalb, weil kaum jemand diese Bestimmung kennt. Es wäre sehr interessant, wenn es hier einen Musterprozess geben würde. Allerdings ist rechtlich unklar, wer und wie ein solches Verfahren überhaupt einleiten könnte.
Welche faschistischen Symbole sind tatsächlich verboten?
Erst in jüngster Zeit gab es dann einige gesetzliche Änderungen, die auch tatsächlich angewendet werden. So werden etwa bestimmte Symbole nun im sogenannten Symbolegesetz erfasst. Das betrifft insbesondere alle Symbole der faschistischen Ustascha, die während des Zweiten Weltkriegs in Kroatien ein Terrorregime errichtet hatte.
Das 2018 beschlossene Verbot der Ustascha-Symbole war für Österreich dabei besonders bedeutend, weil kroatische Faschist:innen seit vielen Jahren jährlich im Kärntner Bleiburg/Pliberk aufmarschieren.
2021 schließlich wurden auch die Symbole der Gruppe Identitären und ihrer Tarn-Gruppe „Die Österreicher“ durch das Symbolegesetz verboten. Ob dieses Verbot allerdings langfristig halten wird, ist fraglich.
Die Symbole der Identitären sind zwar verboten – aber nicht die Identitären
Denn die Identitären selbst wurden nicht verboten. Nicht aufgelöst wurden auch die zahlreichen Vereine, die der Gruppe eindeutig zugeordnet werden können. Und die Partei „Die Österreicher“ hat sogar weiterhin ganz legal Parteienstatus. Dennoch wurden ihre Symbole verboten. Das ist rechtlich nur schwer erklärbar.
Ein weiteres Gesetz, das faschistische Propaganda zumindest einschränken könnte, ist das Hass-im-Netz-Bekämpfung-Gesetz aus dem Jahr 2020. Allerdings geht es in diesem Gesetz, wie der Name schon sagt, ausschließlich um das Internet. Alle anderen Formen der Propaganda sind davon nicht erfasst.
Nicht erfasst vom Symbolegesetz sind dagegen zahlreiche andere faschistische Symbole. Das betrifft natürlich vor allem die Symbole des Austrofaschismus. Der ÖVP-nahe Mittelschüler-Kartell-Verband verwendet übrigens die offizielle Flagge des Austrofaschismus sogar noch bis heute noch als die offizielle Standarte des Verbandes. Meine Recherche dazu könnt ihr hier lesen.
Was alles erlaubt ist
Auch die Symbole der serbischen Tschetniks sowie des italienischen, spanischen und portugiesischen Faschismus sind im Symbolegesetz nicht erwähnt. Und gerade mit den katholisch geprägten faschistischen Regimes in Spanien und Portugal hatte die ÖVP auch nach 1945 noch enge Verbindungen.
Denn was heute oft vergessen wird: Der Faschismus war in Portugal bis 1974 an der Macht, erst dann wurde er in der Nelkenrevolution gestürzt. Und in Spanien wird als endgültiger Übergang vom Faschismus zur bürgerlichen Demokratie erst das Jahr 1981 angenommen. Da scheiterten die Faschist:innen mit einem Militärputsch, wo sie nochmals versuchten, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Davor hatten sie Spanien über Jahrzehnte blutig beherrscht.
So faschistisch wie möglich abstimmen
Was die ÖVP sich über diese faschistischen Regime dachte, beschreibt Fabio Wolkenstein in seinem Buch über „Die dunkle Seite der Christdemokratie“. Er zitiert dabei etwa den früheren österreichischen Diplomaten Wolfgang Schallenberg, Vater des aktuellen österreichischen Außenministers Alexander Schallenberg.
Wolfgang Schallenberg zufolge gab es unter den führenden Parteieliten der ÖVP kaum „ideologische Hemmungen“, den spanischen Faschismus zu unterstützen. Und der frühere ÖVP-Politiker und Außenminister Lujo Tončić-Sorinj versuchte sicherzustellen, dass Österreich in den UNO-Gremien immer „so portugalfreundlich wie möglich“ abstimmen würde.
Warum der Faschismus in Österreich für Rechte so attraktiv ist
Die Schlupflöcher im Umgang des Staates mit dem Faschismus erklären übrigens auch, warum die Gruppe Identitäre gerade in Österreich attraktiv für extrem rechte Kreise geworden ist. Führungskader Martin Sellner und viele andere aus der ersten Generation der Gruppe kommen selbst aus der offenen Neonazi-Szene. Sellner etwa marschierte einst noch brav hinter Neonazi-Führer Gottfried Küssel her.
Doch offene Neonazis haben in Österreich durch das NS-Verbotsgesetz ein offensichtliches Betätigungsproblem. Immer wieder wandern Kader ins Gefängnis. Die Identitären zogen daraus eine letztlich naheliegende Schlussfolgerung: Wenn sie nicht mehr nationalsozialistisch auftreten würden, dann gäbe es auch kein legales Problem.
Faschist:innen dagegen, das konnten sie problemlos bleiben. Denn das Verbotsgebot für faschistische Organisationen im Staatsvertrag ist derzeit real totes Recht.
Es ist ein faschistischer Trick – mit einer Ausnahme
Und so beziehen sich die Identitären bis heute sehr gerne und offen etwa auf den italienischen, den französischen, den spanischen oder den japanischen Faschismus. Oder auch auf weniger offensichtliche deutsche Nazis und Faschisten wie Ernst Jünger. Einzige Ausnahme: Der Austrofaschismus wird von den Identitären niemals positiv erwähnt.
Letztlich nicht verwunderlich. Für die deutschnational geprägten Burschenschafter, die den Kern der Identitären ausmachen, ist der Austrofaschismus weiterhin die katholisch-faschistische Konkurrenz. Es hat sich nichts geändert.
Dieser Artikel wurde um die einschlägigen Bestimmungen aus dem Staatsvertrag ergänzt.
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