Von ÖVP und FPÖ über die CSU bis zu den Faschist:innen: Bei der Propaganda gegen das Gendern sind sich alle Rechten einig. Warum ist das so?
Ohne irgendeinen erkennbaren Anlass startet die ÖVP im Jänner 2024 eine Debatte über das Gendern. Rund um seine Wahlkampfrede „Österreich-Plan“ attackiert Bundeskanzler Karl Nehammer auch die geschlechtergerechte Sprache. Das Ziel der ÖVP laut ihrem Österreich-Plan: Die „Abschaffung“ der Verwendung von Binnen-I, dem Sternchen oder dem Doppelpunkt als Möglichkeiten zum Gendern. Nur wenige Wochen schiebt die ÖVP dann nochmals nach.
Die rechten Verbotsparteien wollen den Menschen jetzt auch noch befehlen, wie sie schreiben dürfen. pic.twitter.com/eovgQCyn8a
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) March 20, 2024
Im Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz solle künftig nicht mehr gegendert werden. Verkündet wird das ironischerweise von ÖVP-Frauenministerin Susanne Raab. In Niederösterreich gibt die ÖVP-FPÖ-Koalition bereits seit vergangenem Jahr im ganzen Land ähnliche Regeln vor.
Und für Bayern verkündet CSU-Ministerpräsident Markus Söder im März 2024: „Bayern verbietet das Gendern an Schulen, Hochschulen und Behörden.“ Auf den verschiedensten Plattformen von Neofaschist:innen und Neonazis wird ohnehin niemals gegendert.
Die Rechten führen einen ideologischen Feldzug
Dass es den Rechten dabei um viel mehr geht als die geschlechtergerechte Sprache, zeigen die mitgelieferten Erklärungen. So heißt es etwa im ÖVP-FPÖ-Koalitionsvertrag in Niederösterreich: Es brauche „klare Regeln, was die Verwendung der deutschen Sprache betrifft“. Warum eine einheitliche Gender-Vorgabe nicht genauso eine „klare Regel“ sein könne, bleibt das Geheimnis von ÖVP und FPÖ. Verpackt ist das Thema übrigens im Kapitel „Integration“. Sehr integrativ klingt das nicht.
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Doch was ÖVP und FPÖ in Niederösterreich tatsächlich stört: Angeblich würde das Gendern zu einem „ideologisierten und unsachgemäßen Gebrauch“ der deutschen Sprache führen. Und genau diese Linie findet sich immer wieder. So ist auch im Österreich-Plan der ÖVP von einem angeblichen „Hype um Gender-Themen und -Ideologien“ die Rede. Den Rechten geht es also um viel mehr. Den Kampf gegen das Gendern in der Sprache verwenden sie als Einfallswinkel.
Was die Rechten wirklich stört: Die Geschlechterdebatte
Die geschlechtergerechte Sprache ist für die Rechten vor allem ein Symbol. Worum es ihnen tatsächlich geht: Gleiche Rechte für gleichgeschlechtlich liebende Menschen sind ihnen ebenso zuwider wie die die Sichtbarkeit von trans*Personen. Da ist sich die gesamte Rechte einig, von den Konservativen bis zur neofaschistische Gruppe Identitäre.
Die geschlechtergerechte Sprache wird damit zum Symbol für den rechten Kulturkampf. Und gleichzeitig lassen sich bei diesem Thema billige Punkte sammeln. Mit solchen Kulturkämpfen kann perfekt von niedrigen Löhnen, hohen Lebensmittelpreisen oder kaum mehr bezahlbaren Mieten abgelenkt werden.
Wie politisch darf die Sprache sein?
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Es gibt immer noch viele Menschen, die geschlechtergerechte Sprache ablehnen. Einige haben ideologische Gründe und folgen damit der Propaganda der Rechten. Andere finden die verschiedenen Formen einfach zu kompliziert. Und wieder andere verstehen nicht, warum sich die Sprache überhaupt ändern solle. Das war doch schon immer so. Warum solle die Sprache jetzt auf einmal politisiert werden?
Tatsächlich aber hat sich Sprache schon immer verändert. So hieß es etwa früher in den Zehn Geboten der katholischen Kirche, dass das „Weib“ des „Nächsten“ nicht begehrt werden solle. Inzwischen ist in der Einheitsübersetzung der Bibel an dieser Stelle von der „Frau“ die Rede, nicht mehr vom „Weib“. Sogar die berüchtigt frauenfeindliche katholische Kirche hat ihre Sprache an gesellschaftliche Veränderungen angepasst.
Dazu kommt: Die Verwendung ausschließlich männlicher Formen ist offensichtlich genauso eine bewusste Entscheidung. Politisch ist die Sprache also in jedem Fall. Die Frage ist nur, wie die politische Entscheidung ausfällt.
Wie sexistisch ist die deutsche Sprache?
Die deutsche Sprache ist enorm männlich geprägt, das lernen schon die Kinder: Es gibt Schüler, Lehrer, Direktoren. Lange hieß es, Frauen seien eben mitgemeint. Das allein ist bereits offensichtlich sexistisch. Doch dazu kommt: So funktioniert das menschliche Gehirn nicht. Tatsächlich werden Frauen so nicht einmal „mitgemeint“. Sondern ausgeschlossen.
Es reicht ein einfacher Test in einer größeren Runde: Fragen Sie die eine Hälfte nach den Lieblingsschauspielern. Und die andere Hälfte nach den Lieblingsschauspielerinnen und Lieblingsschauspielern. Es wird Ausnahmen bei einzelnen Tests geben, doch in der Tendenz wird sich schnell zeigen: Das Mitdenken funktioniert einfach nicht.
Lebensentwürfe denkbar machen
Und das hat reale Konsequenzen: Als Sozialarbeiter habe ich über Jahre Berufsorientierung mit Jugendlichen gemacht. Und dabei macht es einen enormen Unterschied, wie die Berufe präsentiert werden. Wenn die Jugendlichen hören, dass sie Tischlerinnen und Tischler werden können, Installateurinnen und Installateure oder Kfz-Mechanikerinnen und Kfz-Mechaniker, dann hat das vor allem für die Mädchen ganz praktische Konsequenzen: Es eröffnet Möglichkeiten im Kopf. Doch auch die Buben profitieren: Auch sie sind dann nicht mehr auf typisch männliche Berufe festgelegt. Denn es gibt natürlich auch Friseurinnnen und Friseure und Kosmetikerin und Kosmetiker.
Löst das Gendern alle gesellschaftlichen Probleme?
Als erste Lösung zur Sichtbarkeit entstand das sogenannte Binnen-I. Also: SchülerInnen, LehrerInnen, usw. Später kamen das Sternchen und der Doppelpunkt dazu, also Schüler*innen oder Lehrer:innen. Manche schreiben auch Direktor_innen mit einem Unterstrich. Mit all diesen Formen soll symbolisiert werden, dass sich nicht alle Menschen in den zwei Geschlechtern wiederfinden.
Welche Form sich letztlich durchsetzen wird, ist heute noch unklar, es wird vermutlich der Doppelpunkt werden. Auch auf standpunkt.press wird der Doppelpunkt verwendet. Doch lösen solche Formänderungen gesellschaftliche Probleme? Tatsächlich bekommt keine Frau den gleichen Lohn, weil in der Verwaltung geschlechtergerecht formuliert wird. Und keine trans*Person wird beim Bewerbungsgespräch weniger diskriminiert, weil in der Firma ein Doppelpunkt verwendet wird.
Doch das Argument, dass eine Maßnahme alleine nichts bewegt, könnte auch für viele andere Bereiche gebracht werden. Und vor allem: Wenn Menschen sichtbar gemacht werden, löst das natürlich auch ein gesellschaftliches Problem.
Gelassenheit statt Verbote
Dazu kommt: Ist es nicht bereits für sich enorm wertvoll, wenn Menschen sich sichtbar und gesehen fühlen können? Es gibt schlicht keinen Grund für einen empörten Kulturkampf rund um die geschlechtergerechte Sprache. Stattdessen: Ein wenig mehr Gelassenheit, ein wenig mehr Achtsamkeit. Gerade hier, wo es so einfach ist. Ein Doppelpunkt tut niemandem weh.
Die einzigen, die das offenbar anders sehen, sind die verschiedenen rechten Fraktionen. Das hat übrigens auch eine gewisse Ironie: Rechte wettern ja gerne über angeblich linke Verbotsparteien. Doch was wir hier tatsächlich sehen, sind rechte Verbotsparteien. Sie wollen den Menschen sogar vorschreiben, wie sie schreiben dürfen.
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