Die rechten „Viola Fanatics“ haben sich aufgelöst. Was sind die Hintergründe, wie ist das mit den Nazis – und was wird jetzt in der violetten Fan-Szene passieren?

Schließlich ist der Druck wohl doch zu groß geworden. Am Dienstag früh haben die „Viola Fanatics 2001“ (VF) offiziell bekannt gegeben, dass sie sich auflösen werden. Es ist ein Erdbeben in der violetten Fanszene. Dabei handelt es sich um die bisherige Hauptgruppe in der Ostkurve der Wiener Austria, die auch den Vorsänger stellt.

Diese Auflösung bedeutet einen enormen Umbruch für die violette Fanszene. Und es könnte der Startpunkt für eine Kurve werden, die nicht mehr für ihre rechten Verbindungen verschrien ist. Eine Analyse.

Was ist passiert? Am Samstag hatten es Personen aus der Fanszene von Rapid geschafft, Teile einer Choreografie zu „ziehen“, die die „Junge Legion“ (JL) gemalt hatte. Die JL ist die Jugendsektion der Fanatics – und nicht unbedingt durchgehend so jung, wie es der Name vorgibt.

Bild: Michael Bonvalot

Das „Ziehen“, also Klauen, von Szene-Utensilien gegnerischer Gruppen ist in der Ultra-Kultur üblich. Das ist übrigens keineswegs ein einzigartiges Phänomen: So folgt etwa das Stehlen von Maibäumen in der ländlichen Folklore genau dem gleichen Muster. Gezogenes Material wird dann – meist beim nächsten Spiel der beiden Teams – kopfüber in der eigenen Kurve präsentiert und anschließend zumeist verbrannt.

Der Kodex besagt dabei, dass die eigenen Materialien auf jeden Fall verteidigt werden müssen. Besonders schlimm wird es aber, wenn eine Gruppe ihre „Fetzn“ verliert – also die Zaunbanner für Heim- und Auswärtsspiele mit dem Namen der Gruppe. Wenn das passiert, müsste sich eine Gruppe in Ultra-Tradition eigentlich zwingend auflösen.

Der Ultra-Kodex

Manche Gruppen lösen sich dennoch nicht auf (und werden dafür in der Szene verspottet), andere nehmen den Kodex ernst. Das alles mag für viele Menschen reichlich seltsam wirken – aber das sind eben die Regeln, denen sich die Anhänger:innen der Ultra-Kultur verpflichtet fühlen. Eine erste Auflösung gab es auch bei der Austria fast unmittelbar nach dem Verlust der Choreo.

Sehr schnell gingen die ersten Gerüchte durch die Szene, dass die Junge Legion sich aufgelöst hatte oder seitens der Muttergruppe Fanatics aufgelöst wurde. Diese Gerüchte haben sich inzwischen bestätigt.

Und nun folgen die Fanatics selbst, die sich mit einem Statement aufgelöst haben, das über soziale Medien verbreitet wurde. Auffällig dabei ist: Der Verlust einer Choreo bringt in Ultra-Kreisen zwar reichlich Hohn, Schmach und Schande – aber an sich wäre es noch kein Grund für eine Auflösung, solange es sich nicht um die zentralen Fetzn handelt. Da steckt also mehr dahinter.

Der Konflikt geht tiefer

Vordergründig geht es aktuell wohl auch stark darum, wie JL und VF die Choreo verloren haben. Gemalt wurde öffentlich direkt vor dem Austria-Stadion in Wien-Favoriten, nur sehr wenige Leute waren anwesend. Faktisch eine Einladung an gegnerische Fangruppen zum Ziehen von Material, die in der Szene für viel Unverständnis sorgt. Dazu scheint auch der Fan-Container offen gewesen zu sein – es ist aktuell unklar, ob dadurch weiteres Szene-Material gezogen worden ist. Eventuell sogar Material von anderen Gruppen aus der Austria-Fanszene, was den Druck auf VF und JL enorm erhöhen würde.

Gegenwehr seitens der Handvoll JL-Mitglieder gegen die zahlenmäßig mehrfach überlegenen Grünen dürfte es ebenfalls kaum bis gar nicht gegeben haben, wie es aus der aktiven Fanszene heißt. Menschlich mehr als verständlich und zweifellos eine kluge Entscheidung – doch eben gleichzeitig ein fataler Bruch der selbst gegebenen Ultra-Regeln.

Hitler-Gruß auf einem Freundschafts-Aufkleber mit der Szene von Slovan Bratislava, Bild: Michael Bonvalot

Die Fanatics müssen sich dabei szeneintern nun auch daran messen lassen, wie sie sich in der Vergangenheit gern präsentiert haben („Ultrabrutale Wiener Jugend“). Da sieht der Verlust einer Choreo ohne Gegenwehr nicht gut aus. Dazu standen die VF bei vielen Fans schon länger in der Kritik: Einerseits wegen ihrer Nazi-Kontakte, aber auch, weil Support und Vorsänger für viele Veilchen immer weniger dynamisch und zeitgemäß wirkten. Dementsprechend gab es wohl auch eine gewisse Besorgnis bei den VF, nach dem Choreo-Verlust vorauszusehende szeneinterne Konflikte zu verlieren

Dazu dürften zentrale Mitglieder der Gruppe auch schlicht schon länger ein wenig die Lust verloren haben. Diese Frustration zeigt sich auch im Auflösung-Statement der VF. So heißt es dort etwa: „Selbstreflektierend im Zuge der Auflösung der Jugendsektion müssen wir uns selbst eingestehen, dass vor allem in den letzten Jahren unsere Geschichte nicht alles so verlief wie es uns die Vorväter der Gruppe […] mit auf den Weg gaben.“ (Rechtschreibung und Grammatik im Original.) Die Gruppe hätte es verabsäumt, in geänderten Zeiten „mit dem Wandel der Zeit zu gehen“. In den letzten Jahren sei es nur mehr durch das besondere Engagement einzelner Mitglieder möglich gewesen, den eigenen Namen „ganz oben“ zu halten. Nun sei die Gruppe an einem „aussichtslosen Punkt ohne weitere Lösungen angelangt“. Da liegen die Ursachen für die Auflösung also eindeutig wesentlich tiefer als nur im Verlust einer Choreografie.

Diese Lücke wird sich schließen

Die Reaktion innerhalb der violetten Szene folgte jedenfalls prompt. Schon beim Heimspiel am nächsten Tag gegen den LASK war der Fetzn der Fanatics im Stadion nicht mehr präsent. Damit prangte eine gut sichtbare und große Lücke in der Mitte der Kurve. Auch viele Fanatics waren nicht ins Stadion gekommen. In der zweiten Halbzeit haben dann sogar die verbliebenen Vorsänger der Fanatics das Vorsängerpult verlassen. Freiwillig soll das eher nicht erfolgt sein.

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Offenbar hat vor allem die Fangruppe „KAI 2000“ starken Druck auf die VF ausgeübt. Die KAI, ursprünglich „Kampfastllln Inzersdorf 2000“, waren lange ein eher kleiner Fanclub. Doch vor allem in den vergangenen Jahren sind sie enorm gewachsen und galten bisher formell als zweitwichtigste Gruppe in der Kurve. Tatsächlich aber haben sie gemeinsam mit ihrer Unterstützungsstruktur „Block 116“ den Fanatics supporttechnisch schon lange den Rang abgelaufen – und galten vielen schon bisher informell als die Nummer eins.

„Der König ruft euch Bauern an“

Unterstützt wurde die KAI bei ihrer nachdrücklichen Aufforderung an die Fanatics wohl vom Schachklub, einem informellen Zusammenschluss, der viele der „Wiesngeschichten“ für die Fanszene austrägt. Solche Begegnungen der „dritten Halbzeit“ werden auch „Feld, Wald, Wiese“ genannt oder in Deutschland „Ackermatches“. Übersetzt bedeutet das: Sich an – oft vorher verabredeten Orten – mit Fans anderer Vereine in die Pfeife zu hauen, die ebenfalls Lust darauf haben.

Oder eben, eher nicht verabredet, anderen Gruppen ihre „Fetzn“ ziehen. Erneut: Es mag für Außenstehende befremdlich wirken, doch alle machen es freiwillig, die sich daran beteiligen. Letztlich ist es auch nichts anderes als ein Boxkampf im Ring.

Bild: Michael Bonvalot

Auch hier werden die Gegner:innen übrigens gern verhöhnt. So gab es zuletzt gegenseitige Verarschungen zwischen Schachklub und der Szene des SV Ried. „Schachklub? – In Ried setzt euch der Bauer matt“, hieß es seitens der Rieder Szene auf einem Banner bei einem Auswärtsspiel in Wien-Favoriten. Im März kam dann beim Spiel in Oberösterreich die Antwort des Schachklubs: „Der König ruft euch Bauern an – ihr geht nicht ans Handy ran?“ Offensichtlich ging es da um geplante oder tatsächliche Auseinandersetzungen. Solche codierten Botschaften, die nur die jeweils andere Szene versteht, gibt es übrigens bei Spielen immer wieder. Auch das eine Eigenart der Fußballszene.

Die Kampfastllln aus Inzersdorf werden stärker

Doch zurück zu den KAI, die nun wohl mit ihren Verbündeten die Führung der Kurve erben werden. Gegründet wurde die Gruppe im Jahr 2000 im Wiener Stadtteil Inzersdorf, einem Teil des 23. Bezirks, Liesing. Daher auch der Name KAI, ursprünglich stand er für Kampfastllln Inzersdorf. Als „Astl“ wird im Wiener Dialekt ein besonders kräftiger Arm bezeichnet. Und passend dazu ist die Gruppe in den letzten Jahren auch stetig größer geworden. Mit ihrem beherzten Support, ihrem Auftritt im Stadion und auch dem Geschick beim „Malen“ (=Sprayen) hat sie innerhalb der Szene viel Respekt gewonnen.

Bild: Michael Bonvalot

Mit den VF konnten die KAI schon länger nicht mehr – und umgekehrt. Fußballszenen sind oft sehr kompliziert und nicht jeder Konflikt ist immer rational erklärbar. Doch es wäre naiv, zu glauben, dass dieser Konflikt nicht auch eine politische Komponente hatte. Doch zu diesem Konflikt und auch zu den KAI später mehr.

Fanatics und Unsterblich

Die Fanatics waren bisher im Stadion die Speerspitze und das Sprachrohr für extrem rechte Zusammenhänge. Das Gros der Journalist:innen arbeitete sich in den letzten Jahren meist an der neonazistischen Fan-Gruppe „Unsterblich“ (Ust) ab, wenn es um rechte Umtriebe in der Fanszene der Austria ging. Doch das war immer viel zu eng gedacht und ging am Kern des Problems vorbei.

Unsterblich ist eine Gruppe von Neonazis, der Weg zu Drogenhandel im großen Stil und auch zur Organisierten Kriminalität ist oft nicht weit. Nach Angriffen auf das linke Kulturzentrum EKH und weiteren einschlägigen Vorfällen wurde die Truppe 2013 von der Austria offiziell aus dem Stadion verbannt. Durchgesetzt von den Fanatics protestierte die Fanszene damals gegen den Ausschluss der Neonazis. Wahnsinnig freiwillig war das allerdings nicht in allen Fällen: Wer sich dem Protest und der Solidarität mit den Nazis nicht anschließen wollte, musste mit Gewalt rechnen.

Das ist etwa den „Soccerholics Austria Wien“ (SHAW) passiert, der damals wohl zweitgrößten Gruppe in der Kurve. Die SHAW wurden angegriffen und zogen sich danach aus der Kurve zurück. Heute bilden sie den lautstarken Kern jener Fans, die im Stadion in der Ecke Nord-Ost stehen (die baulich von der Ostkurve getrennt ist). Wie sich die Gruppe jetzt verhalten wird, ist unklar. Es ist nicht anzunehmen, dass sie nach dem Rückzug der VF kurzfristig ihren inzwischen angestammten Platz verlässt. Doch langfristig könnten natürlich auch hier die Karten neu gemischt werden.

Wie rechts waren und sind die Fanatics?

Die Unsterblich-Nazis sind zwar bis heute immer wieder bei Auswärtsspielen in Österreich und vor allem bei Spielen im Ausland präsent. Doch viel wichtiger für die extreme Rechte innerhalb der violetten Kurve waren die Fanatics samt ihren internationalen „Brüdern“, vor allem den neonazistischen Fanszenen aus Bratislava und Brno. Bereits vor einigen Jahren hatten die VF dazu auch den offen rechten Fanclub „Inferno Wien“ geschluckt, der sich eher am absteigenden Ast befand.

Antifa vor dem Stadion der Wiener Austria. Bild: Michael Bonvalot

Der tritt seither als „Sektion Inferno“ (SIW) der Fanatics auf und steht (ausschließlich) beim Blick auf die Kurve links von den VF. Logischerweise müsste jetzt auch die Sektion Inferno automatisch mitaufgelöst sein, dazu wurde bisher aber noch nichts bekannt gegeben. Es bleibt abzuwarten, ob hier ein Auffangbecken entstehen könnte. Eher auszuschließen ist jedenfalls, dass die mehreren dutzend Fanatics jetzt ausnahmslos nicht mehr ins Stadion kommen. [Update 18.05.23: Auch der Fetzn der Sektion Inferno ist inzwischen von der Ostkurve verschwunden.]

Neue Wäsche, alte Themen

Unsterblich und die mit ihnen verbundene bekannte Neonazi-Kader waren und sind ein wesentlicher Bestandteil des breiteren extrem rechten Milieus innerhalb der Austria-Szene. Oft posieren sie dabei direkt neben oder mitten im Fanatics-Haufen. Die Szene muss insgesamt als eher fluides Mischmilieu gedacht werden, doch die Kaderkerne aus der organisierten braunen Szene rund um Gottfried Küssel sind eindeutig erkennbar. Die treten etwa unter den Namen „Alpen Donau“, „Unwiderstehlich“ oder „Tanzbrigade“ auf. Erst jüngst standen in Wien zwei Personen aus diesem Milieu wegen NS-Wiederbetätigung vor Gericht.

Es sollte also nicht überraschen, dass während der Hochphase der extrem rechten Corona-Aufmärschen auch Gruppen aus diesem Milieu auf der Straße waren. Teils übrigens von Küssel persönlich angeführt. Aus diesem Milieu heraus wurde auch ich während der Berichterstattung immer wieder attackiert und angegriffen. Der Nachwuchs für die Nazi-Szene rekrutiert sich dabei oft aus dem Horr-Stadion der Austria – und in kleinerem Ausmaß auch aus anderen Fan-Strukturen, etwa von Rapid oder Blau Weiß Linz.

Letztlich dafür verantwortlich sind, was die Austria betrifft, vor allem die Fanatics. Sie waren die Hauptgruppe in der Austria-Kurve – samt Kontrolle über Teile der Kurve, das Vorsängerpult, die Lautsprecheranlage und teils auch die Einladungspolitik für einschlägige internationale Gäste.

Dazu passte auch ein Phänomen, das sich nach dem offiziellen Verbot von Unsterblich zeigte. Manche führende „Ustler“ bekamen zwar tatsächlich Hausverbot im Stadion der Violetten. Andere einschlägige Figuren aber wechselten einfach nur die Kleider, also die „Szenewäsche“, und gingen teils zu den VF. Einer von ihnen war bis zur jetzigen Auflösung der Fanatics sogar deren zweiter Vorsänger.

Die Freunde im Ausland: Nazis aus Bratislava, Brno und Madrid

Die einschlägigen Vorlieben der Fanatics zeigten sich vor allem bei Spielen im Ausland und bei internationalen Begegnungen. Bei solchen Begegnungen hing die Reichskriegsfahne von Unsterblich in den vergangenen Jahren dann brüderlich neben der Zaunfahne der Fanatics (ich habe darüber oftmals berichtet). Vor allem war das der Fall, wenn die beiden Gruppen wieder einmal nach Bratislava fuhren, wo sie eine enge Freundschaft mit den neonazistischen „Ultras Slovan Pressburg“ unterhalten.

Diese Freunde der Fanatics verstecken ihre braune Gesinnung nicht: 2015 etwa präsentierten die Slovan-Ultras ein Banner, das einen Zug nach Auschwitz zeigte. Daneben standen die Worte: „Refugees Welcome“.

Spätestens im August 2018 konnte es dann auch in Wien keine Fragen mehr geben. Da brüllte ein Slovan-dominierter Mob in einer Wiener U-Bahn „Rassist – Faschist – Hooligan“, ich habe das Video danach veröffentlicht. Mitten im Pulk als Verhandler mit der Polizei: Der Capo der Fanatics und gleichzeitig erste Vorsänger der Kurve.

 

Eine sehr enge Beziehung hatten die Fanatics in den vergangenen Jahren auch zu den Hooligans des FC Zbrojovka Brno aufgebaut. Auch bei dieser Gruppe aus der tschechischen Stadt nahe der österreichischen Grenze gibt es keine offenen Fragen zur politischen Gesinnung.

Auf ihrem Gruppen-Banner zeigen sie einen Totenkopf, der dem SS-Totenkopf bis auf die fehlenden gekreuzten Knochen gleicht. Das große Banner wurde auch schon im Stadion der Wiener Austria präsentiert. Ein ähnliches Symbol verwendet übrigens auch Unsterblich auf den Jacken („Kutten“) der Truppe.

Auch zu den faschistischen Fans von „Ultras Sur“ von Real Madrid gab es Beziehungen, so war das Banner der „US“ immer wieder bei Spielen der Austria zu sehen. Wohl nicht zuletzt als Code: Die weiße Zaunfahne mit einem violetten Kreuz und der Aufschrift „No Surrender“ sowie der Jahreszahl 1980 wirkt nach außen unauffällig. Die Botschaft für die internationale rechte Szene dagegen ist eindeutig. Einst gab es sogar eine „US Sektion Wien“.

Doch Mihály „Salo“ K., jener österreichische Neonazi, der diese Verbindungen vor allem aufrechthielt (und gern deutschnationale Burschenschafter mit nach Madrid nahm), ist vor wenigen Jahren gestorben. Damit dürften auch die Verbindungen weitgehend zum Erliegen gekommen sein. K. war übrigens auch sonst international einschlägig vernetzt: So hatte er etwa Verbindungen zum norwegischen Nazi Anders B., der 2011 in Oslo und Utøya insgesamt 77 Menschen ermordet hat, die meisten von ihnen junge Sozialist:innen. K. war im Mailverteiler des Massenmörders gewesen.

SS-Totenkopf beim Derby

Oft wird auf Codes wie die US-Fahne aber ohnehin verzichtet und es wird gänzlich eindeutig. So wurde etwa zuletzt beim Auswärts-Derby in Hütteldorf im März 2022 eine Zaunfahne mit einem SS-Totenkopf präsentiert (hier habe ich das für euch aufgeschrieben). Direkt neben dem Fetzn der Fanatics. Ich selbst wurde übrigens ebenfalls schon zum Ziel der VF: Im September 2019 widmete mir die Gruppe bei einem Auswärtsspiel sogar ein eigenes dreiteiliges Banner mit der Aufschrift: „Bonvalot muss wissen, auf falsche Berichterstattung wird geschissen!“

Dass Journalist:innen in Österreich aus den Szenen namentlich attackiert werden, kommt kaum jemals vor. Und faktische Fehler konnte mir die Gruppe niemals nachweisen. Es ging wohl eher darum, dass meine laufenden Recherchen als enorm störend empfunden wurden.

Bild: Amaspics.at

All diese Nazi-Verbindungen stehen in einem kompletten Gegensatz zur Geschichte und jüdisch geprägten Tradition der Wiener Austria. Doch Logik und Nazis, das hat sich noch nie so gut vertragen.

Was hat die Wiener Austria gemacht? Spoiler: Nichts.

Die Wiener Austria sah all dem über Jahre schlichtweg tatenlos zu. Die engen Verbindungen von VF und Nazis lagen für alle sichtbar auf dem Tisch, dennoch stützte der Verein die Gruppe weiter. Der Fanbetreuer der Austria macht über WhatsApp sogar regelmäßig Werbung für die Gruppe. Auch das Statement zur Auflösung hat er unmittelbar und kommentarlos verschickt.

Standardantwort der Austria nach meinen Artikeln und Berichten über aktuelle Nazi-Probleme: Unsterblich sei doch ohnehin bereits 2013 verboten worden. Die Gruppe diente dem Verein als Maske, um die aktuellen Probleme nicht adressieren zu müssen. Das fehlende Problembewusstsein zeigt sich auf der Facebook-Seite der Austria sogar noch nach der Auflösung der VF: „Vielen Dank für 22 Jahre unermüdlichen Support und viele, viele beeindruckende Choreos, Viola Fanatics Austria Wien 2001!“, postet der Verein samt Fotos. Kritische Worte? Fehlanzeige.

Zum gleichen Zeitpunkt ist auf der Homepage der Austria – prominent platziert – ein Bericht über Sport im NS-Regime zu finden. Die zynische Ironie fällt offenbar niemandem im Verein auf.

Der Streit zwischen VF und KAI

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Doch wo stehen die KAI politisch? Noch im Jänner 2019 waren auch sie mit dabei, als die Fanatics eines ihrer Fanturniere organisierten. Der erste Platz ging damals an Unsterblich, beim abschließenden Gruppenfoto wurde die Reichskriegsfahne präsentiert. Die hängende Reichskriegsfahne war übrigens auch bei späteren Fanturnieren der VF zu sehen, zuletzt ganz aktuell im Februar 2023.

Geheim war das alles nicht: Nach ihren Turnieren veröffentlichten die VF sehr gerne Bilder. Auch das Foto vom Turnier 2019 samt der Tabelle der teilnehmenden Fanclubs wurde danach auf „Ostnews“, einer Fanatics-Seite auf Facebook, ganz offiziell und stolz präsentiert.

Auf dem Foto auf der rechten Seite direkt über der Reichskriegsfahne gut zu erkennen: Ein Mann, auf dessen violettem T-Shirt ein Hooligan-Symbol und ein Keltenkreuz prangen (es gibt auch Aufkleber mit dem gleichen Sujet). Das Keltenkreuz wird in der Neonazi-Szene als Ersatz für das verbotene Hakenkreuz genutzt.

Doch das Unbehagen innerhalb der KAI dürfte stetig zugenommen haben – und es war möglicherweise auch nicht immer einfach, sich „Einladungen“ zu solchen Turnieren zu entziehen. Bei diesem Unbehagen ging es sicher nicht nur und möglicherweise nicht einmal vorrangig um Politik. Doch es ist offensichtlich, dass die Politik hier auch eine Rolle spielte.

Spätestens ab 2020/21 trennte sich die Gruppe sichtbar von den VF und ihren Unterstützer:innen und baute weitgehend ihr eigenes Ding auf. Im Stadion wurde es für alle Fans auffällig: Die Power ging meist von der rechten Seite der Osttribüne aus, wo die KAI stehen – und nicht mehr vom Mittelblock und der linken Seite, den die Fanatics samt ihren Untergruppen („Sektionen“) beanspruchten.

Politisch sind die KAI nicht eindeutig verortbar. Einerseits ist ein ehemaliger Nachwuchs-Kader der neofaschistischen Gruppe Identitäre im Milieu der Gruppe. Der Mann, einer der „Boxer“ (=Kämpfer) des Milieus, ist gemeinsam mit anderen rechten Austrianern rund um die extrem rechts dominierten Corona-Aufmärsche erneut politisch aufgefallen.

Dazu zeigen sich auch bei den KAI die – in vielen Fußball-Szenen leider üblichen – Ausfälle von Homophobie und Sexismus. So wurde erst beim letzten gewonnenen Heim-Derby gegen den Erzrivalen Rapid Mitte März der altbekannte Doppelhalter mit der Aufschrift „Conchita ist Rapidler“ präsentiert. Es war vermutlich eher weniger als Anerkennung dafür gedacht, dass der weltberühmte Travestiekünstler und Songcontest-Teilnehmer Tom Neuwirth alias Conchita Wurst Fan der Hütteldorfer ist.

Ein Denkmal für Michael Schwarz

Andererseits aber muss den KAI zu Gute gehalten werden, dass sie sich als Gruppe vom offenen Rechtsextremismus und Neonazismus der Fanatics und ihrer Freund:innen eindeutig fernhalten. Und auch die Homophobie dürfte schwächer werden. Dazu gibt es auch auffallende Signale. So haben die KAI etwa direkt vor dem Stadion mit einem großen Bild das Andenken an Emanuel Michael Schwarz verewigt.

Bild: Michael Bonvalot

In der ersten Amtsphase des Austria-Präsidenten in den 1930er Jahren wurde die Austria zweimal Mitropacupsieger. Das entspräche dem Gewinn der heutigen Champions League. Als Jude verfolgt, musste Schwarz vor den Nazis flüchten und konnte erst 1946 seine Präsidententätigkeit bei der Austria wieder aufnehmen. Auch weitere Funktionäre der Austria und deren Angehörige wurden von den Nazis ermordet. Es ist also durchaus eine Ansage, gerade Schwarz mit einem großen Bild ein Denkmal zu setzen.

Ob die KAI all das im Hinterkopf hatten, lässt sich natürlich von außen nicht beurteilen. Doch wer sich mit der Geschichte von Schwarz beschäftigt und ihm ein Denkmal setzt, wird sich vermutlich auch mit der Vertreibung und dem jüdischen Hintergrund des ehemaligen FAK-Präsidenten auseinandergesetzt haben.

Das alles ist nicht wenig – nicht zuletzt in Hinblick auf den Druck und die Gewaltkulisse, die die Fanatics und ihre Freunde über Jahre aufgebaut haben.

Was wird jetzt passieren?

Die Auflösung der Fanatics bedeutet eine komplette Neuausrichtung der Kurve der Wiener Austria. Das beginnt schon bei der Geographie auf der Ostkurve. Wenn die KAI im unteren Rang in die Mitte rücken, ist der Platz auf der rechten Seite leer. Doch auf der rechten Seite sind inzwischen viele dazugekommen, die mit den KAI supporten wollen (darunter auch einige im zweiten Rang).

Werden sie jetzt alle in die Mitte rücken und die entstehende Lücke füllen? Und was passiert mit dem „Block 116“-Fetzn im zweiten Rang? Wird der auch in die Mitte wandern? Das würde andere Gruppen und deren Fetzn an den Rand drängen.

Der Atzgersdorf-Capo mit KKK-Logo am rechten Bein.

Es wäre in einigen Fällen eher kein Verlust. Denn darunter befinden sich etwa die traditionell weit rechten Gruppen Bulldogs und Atzgersdorf. Der alte Capo von Atzgersdorf, Wolfgang W., (Szene-Name „Wudle“) trägt sogar offen ein Tattoo mit dem Logo des faschistischen Ku Klux Klan am Bein. Dennoch wird er aufgrund der Zahl seiner Auswärtsfahrten immer wieder von der Austria ganz offiziell hofiert und präsentiert.

Gleichzeitig geht es natürlich auch um die künftige Ausrichtung der Kurve. Wenn die VF sich tatsächlich aus dem Stadion zurückziehen (und auch das muss sich erst weisen), wird das wohl auch die Präsenz von Bratislava und Brno entscheidend schwächen. Und die galten, nicht zuletzt im Fall von körperlichen Auseinandersetzungen, immer als wichtiges Asset der VF.

Ein frischer Wind

Wenn diese Gruppen weniger oder gar nicht mehr präsent sind, könnte der Stadionbesuch für viele andere Menschen wieder deutlich attraktiver wirken. Unverständlich ist etwa, warum die Austria nicht regelmäßig bei der Fachhochschule Campus Wien präsent ist. Dort studieren mehrere tausend junge Menschen, die FH ist nur wenige hundert Meter vom Stadion entfernt.

Bild: Michael Bonvalot

Bereits jetzt gibt es eine ganze Reihe von informellen Fangruppen, die zwar keinen Fetzn zeigen, aber dennoch regelmäßig im Stadion präsent sind. Einige davon können als links oder mindestens antifaschistisch gelten. Oder jedenfalls zumindest als deutlich origineller und subtiler als die bisherige Hauptgruppe.

Zuletzt fiel etwa „Scheiberspiel Austria Wien“, eine dieser informellen Gruppen, mit einem Aufkleber mit der Aufschrift „Rapid ist Haram“ auf. Samt Döner-Wirt mit FAK-Logo auf der Brust. Haram, das bedeutet im Islam: Unberührbar, verflucht oder verboten.

Die Zukunft ist, wie so oft, ungeschrieben. Doch sicher ist: Auf die Fanszene der Wiener Austria kommen spannende Zeiten zu. Es könnten wesentlich bessere werden.

Ergänzt am 05.04. um die Reaktionen des FK Austria Wien in sozialen Medien und einzelne Details und Links, am 06.04. um weitere Informationen über die Verbindungen zur Neonazi-Szene.

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