Der Show-down in der Wiener SPÖ ist kurzfristig verschoben, kommen wird er mit Sicherheit. Doch wer könnte künftig die Partei in der Bundeshauptstadt führen – und was bedeutet das alles für die Politik der Sozialdemokratie?
Die Wiener Sozialdemokratie ist bereits seit Jahren von Flügelkämpfen geprägt. Auf der einen Seite stehen jene Kräfte, die eine strategische Annäherung an die FPÖ suchen, auf der anderen Seite jene, die eine Achse mit den Grünen (und eventuell den NEOS) eingehen wollen.
Jahrelang wurde der Konflikt vor allem parteiintern ausgetragen. In der österreichischen Sozialdemokratie und gerade in der Wiener Landespartei ist die „Einheit der Partei“ ein zentrales Dogma. Doch spätestens seit Herbst letzten Jahres werden die innerparteilichen Debatten der Landesorganisation auch (halb)öffentlich geführt.
Dabei geht es um den Umgang mit geflüchteten Menschen, damit zusammenhängend um die Mindestsicherung, um Verkehrsfragen (vor allem die künftige Bedeutung privater PKW) und um die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums und immer wieder und über allem um den Umgang mit der FPÖ. Dazu kommen auch schlicht machtpolitische Fragen, also die Neuverteilung von Positionen nach dem zu erwartenden Abgang von Bürgermeister Häupl.
Die Diskussionen nach der Wahl 2015
Im Oktober 2015 führte die Sozialdemokratie während der Periode der Flüchtlings-Migration einen tendenziell weltoffenen Wahlkampf für die Wiener Gemeinderatswahl. Mit relativ eindeutigen Positionen konnte sie trotz Verlusten eine gemeinsame Mehrheit mit den Grünen halten.
Nach der Wahl entbrannten parteiintern aber scharfe Diskussionen um die nächste Koalition. Der rechte Parteiflügel rund um Wohnbaustadtrat Michael Ludwig bevorzugte eine Zusammenarbeit mit der ÖVP. Eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen, die viele FunktionärInnen tatsächlich weit mehr goutiert hätten, hätte die Partei wohl zerrissen. Das Kalkül war offensichtlich, das mit einer Zusammenarbeit mit der ÖVP letztlich auch der „linke“ Parteiflügel leben könnte, eine solche Koalition aber jedenfalls einen Rechtsruck bedeutet hätte.
In der Mitte thront Häupl
Dennoch setzte sich schließlich der Rot-Grün-Flügel durch und Rot-Grün II wurde paktiert. Die Rot-Grün-Gruppe in der Partei wird dabei vor allem von den Stadträtinnen Sonja Wehsely und Sandra Frauenberger repräsentiert, die in der Landesregierung die Ressorts Gesundheit und Soziales bzw Integration, Frauen und Personal verantworten.
Unterstützung kommt von Renate Brauner, Stadträtin für Finanzen und Wirtschaft aus der Bezirksorganisation Wien-Margareten. Diese Gruppe wird nach einer kurzfristigen Kampagne oft auch „Team Haltung“ genannt. Bürgermeister Michael Häupl selbst steht scheinbar über den Dingen, tatsächlich steht er fraktionell der Gruppe rund um Wehsely, Frauenberger und Brauner nahe. Politisch allerdings laviert Häupl und vertritt aktuell keine eindeutige Position.
Strategischer Rechtsruck der SPÖ
Im Jänner 2016 vollzog die Sozialdemokratie bundesweit eine scharfe Wende nach rechts. Ich habe diese strategische Neuausrichtung für VICE beschrieben. Auch Bürgermeister Häupl sprach nun in einem Interview mit der Krone von der Notwendigkeit der Reduzierung von Flüchtlingen und erklärte, er hätte den Krieg in Syrien nicht begonnen und auch niemanden eingeladen. Seitdem positioniert sich die Sozialdemokratie (wieder) als Partei der Festung Europa.
Trotz des Versuchs, sich in der Flüchtlings-Diskussion neu zu aufzustellen, sanken die Beliebtheitswerte von Bundeskanzler Werner Faymann immer weiter.
Faymann allein zu Haus
Auch innerparteilich wurde der Kanzler immer untragbarer, nicht zuletzt wurde ihm mangelnde Durchsetzungskraft gegenüber der ÖVP vorgeworfen.
Am 1. Mai 2016 gab es in Wien gar – in der Sozialdemokratie ein unerhörter Akt – eine konzertierte Protestaktion gegen den eigenen Bundeskanzler. Dem Vernehmen nach war zu diesem Zeitpunkt die Wiener Landespartei nicht einmal mehr bereit, Pro-Faymann-Plakate zu drucken. Faymanns eigene Bezirksorganisation Liesing soll eingesprungen sein.
Ach, unbeschwerte Jugendzeit!
Viele heutige Verbindungen lassen sich immer wieder auf gemeinsame Erfahrungen in den Jugendorganisationen der Gewerkschaft, in der SJ, der Jungen Generation oder bei den StudentInnen des VSStÖ zurückführen. Dabei ist es allerdings keineswegs so, dass diese FunktionärInnen immer den „linken“ Flügel stellen. Auch eine Reihe von wichtigen VertreterInnen der Partei-Rechten haben ihr Handwerk in den Jugendorganisationen gelernt.
So twittert aktuell etwa der ehemalige Landesparteisekretär Christian Deutsch eifrig gegen die Wehsely-Gruppe. Deutsch kennt Faymann bereits aus gemeinsamen Tagen in der Sozialistischen Jugend Wien, wo Deutsch Landessekretär war, Faymann zur gleichen Zeit Vorsitzender. Später waren beide auch gemeinsam in der Bezirksorganisation Liesing aktiv.
Eine sehr ähnliche Biographie hat Doris Bures. Die ehemalige Ministerin und Bundesgeschäftsführerin der SPÖ ist ebenfalls Teil der „Liesinger Connection“, auch sie war Funktionärin der SJ. Sie soll im Hintergrund die eigentliche Kandidatin des Ludwig-Flügels für das Amt der Bürgermeisterin sein.
Und auch ein Neuzugang in der rechten Fraktion kommt aus der Jugendarbeit: Im März 2016 wechselte der Vorsitz der SPÖ Wien-Döbling. Die neue Vorsitzende Barbara Novak war Bundesvorsitzende der Gewerkschaftsjugend der Privatangestellten und Wiener Landessekretärin der Jungen Generation. Nun hat sie die Bezirksorganisation in die Rot-Blau-Fraktion geführt.
Es ist nicht alles so, wie es scheint
Politisch sind viele Fragen keineswegs so klar, wie sie oft scheinen. Dass Häupl den Rechtsruck der Sozialdemokratie an führender Stelle mitgetragen hat, wurde ja bereits oben beschrieben. Doch auch andere VertreterInnen der Partei sind keineswegs immer eindeutig zuordenbar. Andreas Schieder etwa wurde in der Vergangenheit des Öfteren als möglicher Nachfolger von Häupl als Wiener Bürgermeister gehandelt. Er ist Klubobmann der SPÖ im Parlament und innerparteilich in Wien-Penzing verankert.
Privat ist Schieder der Lebensgefährte von Sonja Wehsely und wird ihrer Fraktion zugerechnet. Auch die beiden kennen sich aus der Sozialistischen Jugend: Wehsely war in den 1990ern Vorsitzende der Wiener Landesorganisation, Schieder ihr Stellvertreter.
Gemeinsam mit dem damaligen SJ-Landessekretär Kai Jan Krainer, heute Budgetsprecher der SPÖ im Parlament, schlossen sie damals die trotzkistische Linksopposition aus, die knapp vor der Mehrheit stand, und brachten die SJ Wien auf stramme Parteilinie.
Die Antwort der Linken: „Schieder, Wehsely und Krainer, Sozialist ist von euch keiner“. Der gleiche Andreas Schieder, der nun vorgeblich das „Team Haltung“ unterstützt, hat auch erst kürzlich ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka zu verstärkten Abschiebungen aufgefordert.
Flüchtlinge: nicht der einzige Streitpunkt
Schließlich täuscht auch der alleinige Fokus auf die Flüchtlings-Frage und die FPÖ. Aktuell wird in der SPÖ etwa darüber diskutiert, den Krankenanstaltenverbund (KAV) komplett auszugliedern. Betroffen davon wären rund 30.000 MitarbeiterInnen der Wiener Spitäler, für die eine solche Ausgliederung wahrscheinlich deutlich Verschlechterungen bringen würde.
Verantwortlich für den KAV ist Sonja Wehsely, die dafür von der Gewerkschaft scharf kritisiert wird – wo wiederum der Ludwig-Flügel stark ist. Doch auch die Fraktion sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) ist keineswegs ein einheitlicher Block. So gibt es in der FSG durchaus auch linke Kräfte, die Wehsely aus sozialpolitischen Gründen kritisieren, ohne deshalb für eine Zusammenarbeit mit der FPÖ einzutreten.
Wackeln die Mehrheiten?
In den Gremien hat die Fraktion Häupl/Wehsely/Frauenberger offenbar eine Mehrheit, nicht zuletzt, weil dort auch Vorfeldorganisationen stimmberechtigt sind. Ob die Mehrheit dieser Gruppe auch in den Bezirksorganisationen allein gegeben wäre, ist allerdings umstritten.
Der Ludwig-Flügel kolportiert vor allem über die Medien, dass er in den Bezirksorganisationen die Mehrheit hätte und auch die Landtagsfraktion 50:50 gespalten sei. VertreterInnen der aktuellen Mehrheitsgruppe hingegen sagen in persönlichen Gesprächen, dass sie in allen Gremien und auch auf dem Landesparteitag über die Mehrheit verfügen. Sicher ist, dass der rechte Flügel mit Favoriten, Simmering, Hietzing, Döbling, Floridsdorf, Donaustadt und Liesing eine Reihe von sehr mitgliederstarken Bezirken mehrheitlich auf seiner Seite hat.
Diese starke Position der Partei-Rechten ist nicht zuletzt deshalb beachtenswert, weil eine breitere Öffentlichkeit über viele Jahre die Wiener SPÖ als Bollwerk gegen Rechts gesehen hatte. Gleichzeitig ist aber auch das mediale Bild, dass alle Bezirke monolithische Blöcke in die eine oder andere Richtung wären, verkürzt. Genauso wie es quer über die Bezirke SympathisantInnen des Rot-Grün-Flügels gibt, gibt es durch die Bank FreundInnen einer Annäherung an die FPÖ.
Die Stadt verändert sich
Schließlich steht im Hintergrund der Debatte auch ein demographischer Wandel. Die Bezirke, die mehrheitlich zum Ludwig-Flügel gehören, haben tendenziell einen geringeren Anteil von MigrantInnen und/oder von Lohnabhängigen (und Studierenden) mit höheren formalen Bildungsabschlüssen als der Durchschnitt der Stadt. Damit geraten diese Bezirke sehr stark unter Druck der FPÖ, die in Bezirken mit einer solchen sozialen Zusammensetzung (viele muttersprachlich deutsche Lohnabhängige, die unter ökonomischen Druck stehen) deutlich punkten kann.
Die andere Fraktion umfasst etwa Bezirke wie Leopoldstadt, Margareten oder Ottakring. Dort wird die Sozialdemokratie vermutlich in einem höheren Ausmaß von MigrantInnen gewählt (einfach, weil sie einen höheren Anteil der Bevölkerung ausmachen) und steht auch in einem stärkeren Konkurrenzdruck zu den Grünen und linken Kräften. Eine Besonderheit in dieser Fraktion, die gleichzeitig exemplarisch für die geschilderte Entwicklung steht, ist der 20. Bezirk.
Brigittenau: Beispiel für den Wandel
Bis in die 2000er Jahre war die Brigittenau ein klassischer ArbeiterInnenbezirk, bei Wahlen glichen die Ergebnisse denen in Favoriten, Simmering, Floridsdorf und Donaustadt also dem 10., 11., 21. und 22. Bezirk. Im Gegensatz zu den anderen genannten Bezirken ist die Brigittenau aber ein innerstädtischer Bezirk, neue Schichten ziehen zu, die Bevölkerung verändert sich. Symbolisch dafür stehen etwa die letzten Gemeinderatswahlen im Oktober 2015.
Während die Grünen im 21. Bezirk 6,3% und im 22. Bezirk 7,2% der Stimmen bekamen, erhielt die Partei im 20. Bezirk deutlich mehr, nämlich 11,4%. Die FPÖ kam in der Brigittenau nur auf 31,3%, während es im 21. Bezirk 40,6% und im 22. Bezirk 38,6% waren. Auch linke Kräfte schnitten im 20. Bezirk deutlich besser ab.
Bei den gleichzeitig mit der Gemeinderatswahl durchgeführten Bezirksvertretungswahlen erhielt die linke Liste ANDAS in Floridsdorf 0,85%, in der Donaustadt kamen die beiden linken Kandidaturen von ANDAS und PdA gemeinsam auf 1,1%. In der Brigittenau hingegen wählten deutlich mehr Menschen links von SPÖ und Grünen: die beiden linken Kandidaturen von ANDAS und der SLP kamen im 20. Bezirk gemeinsam auf 1,84%. Das klingt auf 100 Prozent umgelegt nicht viel, doch für SPÖ und Grüne sind das auf Basis ihrer Ergebnisse durchaus relevante Stimmenpotentiale.
Suche nach dem Kompromiss
Wahrscheinlich wird sich die SPÖ für die Nachfolge von Häupl nun auf eine/n KandidatIn einigen, mit dem/der beide Fraktionen leben können. Dass eine der beiden Fraktionen ihre/n KandidatIn auf Biegen und Brechen durchsetzt bzw durchsetzen kann, ist eher unwahrscheinlich. Gesucht wird also eine Person, die sich in den Fraktions-Auseinandersetzungen der letzten Monate bedeckt gehalten hat und somit für beide Gruppen erträglich ist.
Es gibt für diese Vorgangsweise auch ein historisches Beispiel: Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer. Er wurde im Jahr 2000 als Kompromiss-Kandidat zum Parteivorsitzenden gewählt, im Vorfeld hatten ihn wenige auf der Rechnung. Hintergrund war, dass sowohl der Partei-Rechte Karl Schlögl wie der Partei-Linke Caspar Einem für den jeweils anderen Flügel nicht akzeptabel gewesen wären.
Gusenbauer vertrat neoliberale Positionen, fälschlich wurde ihm aber aufgrund seiner Vergangenheit in der Sozialistischen Jugend ein linker Stallgeruch zuerkannt. Die damalige Wahl ist im Übrigen auch ein gutes Beispiel dafür, dass der offen rassistische Flügel der Sozialdemokratie keineswegs vor einigen Monaten vom Himmel gefallen ist. Bereits Anfang der 1990er Jahre bezeichnete Jörg Haider den damaligen sozialdemokratischen Innenminister Franz Löschnak als seinen „besten Mann in der Regierung“.
Namensspiele
Aktuell hat die Gruppe um Häupl/Wehsely/Frauenberger/Brauner die Oberhand und damit de facto das Vorschlagsrecht. Wie stark diese Mehrheit ist, würde aber erst ein Landesparteitag mit einer Kampfabstimmung zeigen, was wohl beide Fraktionen nicht unbedingt wollen.
Mögliche KompromisskandidatInnen könnten etwa Umweltstadträtin Ulli Sima oder der Wiener SP-Klubobmann im Gemeinderat (und Ex-Bildungsstadtrat) Christian Oxonitsch sein. Beide haben sich bisher in den fraktionellen Auseinandersetzungen öffentlich bedeckt gehalten (wobei Oxonitsch als Klubobmann intern die Bürgermeister-Linie durchboxen muss). Ex-ORF-General Gerhard Zeiler, der in den letzten Tagen medial von Bürgermeister Häupl stark gepusht wurde, hat in einem Interview mit der Presse abgesagt.
Einige haben auch Stadtschulratspräsident Jürgen Czernohorszky auf der Rechnung. Fraglich ist allerdings, ob er genug Verankerung in der Partei hat. Als Überraschungskandidat könnte schließlich Andreas Schieder einspringen. Dazu müsste seine Partnerin Sonja Wehsely in den Bund oder in den Krankenanstaltenverbund wechseln. Dennoch ist es aufgrund der persönlichen Beziehung von Schieder und Wehsely wohl eine der weniger wahrscheinlichen Varianten.
Schließlich ist auch keineswegs ausgemacht, welcher Flügel sich in der Partei durchsetzt. Falls die Partei-Rechte gewinnt, könnte theoretisch auch Doris Bures zum Zug kommen. Sie gilt allerdings in weiten Teilen der Landesorganisation als äußert unbeliebt und als Faymann-Intimus. Dass sie Chancen hat, ist also relativ unwahrscheinlich. Auch der rechte Flügel müsste eher nach einer/m KompromisskandidatIn suchen.
Das Problem ist nicht nur das Personal
Egal, welche Fraktion sich schließlich durchsetzt, die strategische Problemlage der Sozialdemokratie wird dadurch nicht gelöst werden. Die SPÖ verliert einerseits an die FPÖ, andererseits vor allem in den Städten auch an die Grünen. Am Horizont steht auch noch eine mögliche linke Kandidatur bei den nächsten Wahlen rund um die Initiative Aufbruch.
Die Sozialdemokratie im Burgenland hat sich strategisch bereits entschieden und ist von der FPÖ kaum noch zu unterscheiden. Insbesondere der burgenländische Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil gibt den Rechtsausleger, seine Landespartei propagiert etwa intern, „burgenländisch“ zu wählen, also das Kreuz bei der Bundespräsidenschaftswahl bei FPÖ-Kandidat Norbert Hofer zu machen.
Ob dieses Mittel (jenseits seiner politischen Fragwürdigkeit) wahltaktisch dazu taugt, den Abfluss von der SPÖ zur FPÖ zu stoppen, ist allerdings mit einer bestimmten Skepsis zu betrachten. Üblicherweise wird on the long term der Schmied gewählt und nicht der Schmiedl.
Strategische Frage bleibt offen
Politisch ist es aber ohnehin irrelevant, wie die Partei heißt, die das gesellschaftliche Klima durch die Hetze gegen Flüchtlinge und Arme nach rechts verschiebt. Entscheidend ist, dass sich das Klima dann nach rechts verschoben haben wird und somit die Kräfte der Entsolidarisierung stärker geworden sind. Eine strategische Rechtswende nützt also langfristig immer den rechten Parteien.
Doch auch wenn sich der Rot-Grün-Flügel in der Partei durchsetzt, ist die Frage, wieviel das wert ist. Es herrschen die sogenannten Sachzwänge des Kapitalismus, die Wien derzeit insbesondere durch die zusätzlichen notwendigen Ausgaben für die Mindestsicherung spürbar werden. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass es weitere Einsparungen in Wien geben wird und auch der Zugang zur Mindestsicherung für Flüchtlinge und für Familien (durch eine Deckelung) eingeschränkt bzw. gekürzt wird.
Rot-Grün als Glücksversprechen?
Im Bund wären die Verteilungsspielräume deutlich größer. Doch hier gibt es einige Fallstricke: Rot-Grün ist weit entfernt von jeder Mehrheit, es wäre in der Partei nicht durchsetzbar und die NEOS als möglicher Dritter im Bunde stehen für neoliberale Politik und setzen offenbar ohnehin eher auf einen Bürgerblock mit Irmgard Griss und dem Kurz-Flügel der ÖVP.
SPÖ und Grüne selbst sind auch weit davon entfernt, linke Parteien zu sein. Es ist also keineswegs ausgemacht, dass eine Koalition dieser beiden Parteien fortschrittliche Politik bedeuten würde. Auch die Erfahrung mit Rot-Grün in anderen Ländern zeigen, dass diese Koalition keineswegs ein Glücksversprechen bedeutet.
Sozialabbau und Krieg brachten Merkel an die Macht
So war es etwa in Deutschland die Koalition aus SPD und Grünen, die mit der Agenda 2010 massive Verschlechterungen für die erwerbstätige Bevölkerung durchsetzte und es war der grüne Außenminister Joschka Fischer, in dessen Amtszeit die deutsche Luftwaffe Serbien bombardierte und sich am Krieg in Afghanistan beteiligte.
Die Enttäuschung über die rot-grüne Regierung in Deutschland brachte schließlich die CDU und Angela Merkel an die Macht. Gleichzeitig hatte die Sozialdemokratie in diesem Zeitraum Stimmenverluste, von denen sie sich seitdem nicht mehr erholen sollte.
Die Fragestellung ist also nicht so sehr, welche Koalitionen eingegangen werden, sondern welche Politik gemacht wird. Diese Erfahrung muss derzeit auch die „linke“ SYRIZA in Griechenland machen.
Die SYRIZA-Regierung hat sich ebenfalls den „Sachzwängen“ unterworfen und setzt nun an der Regierung den Sozialabbau und die Privatisierungen um, gegen die sie als Oppositionspartei aufgetreten war
Jenseits der Sachzwänge
In Österreich ist das zentrale Problem der Sozialdemokratie, dass sie historisch behauptet, die Vertreterin der arbeitenden Bevölkerung zu sein, diesen Anspruch allerdings nicht umsetzen will und kann. Die Mieten und die Preise steigen, während die Reallöhne und der Anteil der Löhne am Volksvermögen sinken. Bei Sozialleistungen wird gespart, gleichzeitig wird die Banken-Abgabe gestrichen.
Diese Politik begründet die Sozialdemokratie mit den Sachzwängen des Kapitalismus und den Notwendigkeiten des Regierens. Doch Sachzwänge, Notwendigkeiten und Kapitalismus sind kein Programm, das potentielle sozialdemokratische Wählerinnen begeistert zu den Urnen treibt.
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