Die „Bilderberger“ sind so etwas wie der Heilige Gral aller Verschwörungstheorien. Mitte Juni halten sie ihre 63. Konferenz in Tirol ab.
[Erstveröffentlichung: Vice] Im Netz kursieren zahllose Verschwörungs-Theorien zur Bilderberg-Gruppe. Im Wesentlichen kreisen sie zumeist um die These, dass die Bilderberg-Gruppe, die „Trilaterale Kommission“ und andere Organisationen wie Illuminaten oder Freimaurer so etwas wie eine geheime Weltregierung bilden würden. Der in rechten Kreisen populäre Kopp-Verlag nennt die Bilderberger „Das geheime Zentrum der Macht“ und spricht von einer „Heimsuchung Österreichs“. Unterlegt wird die Kritik an der Gruppe oft mit antisemitischen Untertönen. Der rechtsextreme Schlachtruf vom „ZOG“, dem Zionist Occupied Government, ist dabei oft nicht weit.
Manche (konkret die Aluhut-Fraktion) meinen gar, dass Bilderberg mit Erdbeben in Verbindung stehen würde oder schlicht „die Erde zerstören“ wolle. Nachdem dieses doch recht fundamentale Ereignis allerdings bereits für die letztjährige 62. Konferenz angekündigt wurde und der Planet noch nicht ex-, im- oder anders -plodiert ist, kann zumindest das als abgehakt gelten. Ob das Tiroler Dorf Telfs die 63. Bilderberg-Konferenz überleben wird, kann freilich noch nicht mit Sicherheit gesagt werden.
Doch warum dient die Bilderberg-Konferenz überhaupt seit Jahrzehnten als Projektionsfläche für Verschwörungstheorien? Und was steckt wirklich hinter den Treffen der Gruppe?
Alles begann in Oosterbeek, einer Kleinstadt in der niederländischen Provinz mit gerade einmal 11.000 EinwohnerInnen. Hier gab es einen Bahnhof, wo hin und wieder ein Zug vorbeikommt, ein Museum zur Geschichte der Schlacht um Arnhem im Zweiten Weltkrieg und eine große Klinik für Menschen mit geistigen Behinderungen, die für Jobs in der Region sorgte. Mitten im Wald bei Oosterbeek stand auch ein sehr exklusives Hotel—das „de Bilderberg“, das sich selbst als „Grande Dame“ der Region für Ruhe und Luxus bewarb.
Von 29. bis 31. Mai 1954 traf sich dort erstmals eine illustre Schar von Gästen, die den abgeschiedenen Charakter des Hotels sehr zu schätzen wussten. Geplant war ein Austausch zu politischen und wirtschaftlichen Ideen auf höchster Ebene. Daraus entwickelte sich eine jährliche Konferenz politischer und gesellschaftlicher Eliten, die bis heute jährliche Treffen veranstaltet. Als Namensgeber der Konferenz fungierte der Ort des ersten Treffens. Die „Bilderberger“ waren geboren.
Als Initiator der ersten Konferenz gilt Józef Hieronim Retinger, ein polnischer Politiker, der sich vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zwischen NATO und Sowjetunion für eine enge Zusammenarbeit von Westeuropa und den USA einsetzte. Einen Verbündeten fand er im 2004 verstorbenen niederländischen Prinzen Bernhard zur Lippe-Biesterfeld, dem Großvater des heutigen Königs Willem-Alexander. Lippe-Biesterfeld soll es auch gewesen sein, der Oosterbeek als Tagungsort vorschlug.
Bernhard zur Lippe-Biesterfeld war in den 1930 Jahren Mitglied der SA, der Reiter-SS und der NSDAP gewesen und dürfte auch nach dem Zweiten Weltkrieg seine politischen Ideen weiterverfolgt haben. So wurde er 1995 in Südafrika bezichtigt, über den World Wildlife Fund britische Söldner angeworben zu haben, die dort den Kampf für die Fortsetzung der rassistischen Apartheid unterstützen sollten. (Nicht das einzige Mal übrigens, wo der mit Monarchen gespickte WWF in ein schiefes Licht geriet.)
Nach der Niederlage der Nazis 1945 aber musste Lippe-Biesterfeld erst mal nach einem neuen politischen Betätigungsfeld suchen und fand es in den Bilderberg-Zusammenkünften. Er setzte dabei offenbar auf eine enge Zusammenarbeit Westeuropas mit den USA über die NATO, um so „den Kommunismus“ zurückzudrängen. Diese Position teilte er übrigens mit vielen anderen ehemaligen Nazis, so ist etwa der deutsche Bundesnachrichtendienst relativ direkt aus dem Wehrmachts-Geheimdienst „Fremde Heere Ost“ entstanden.
An der Bilderberg-Gründung beteiligt waren auch Ketchup-König Henry Heinz und vor allem der US-Magnat David Rockefeller. Rockefeller ist Patriarch der legendären Rockefeller-Familie, die eng mit der JPMorgan Chase Bank verbunden ist. JPMorgan gilt laut Forbes als größte Bank der Welt. David Rockefeller ist das einzige öffentlich genannte Mitglied des Bilderberg-„ Member Advisory Board„, dürfte also bis heute eine wichtige Rolle in der Gruppe einnehmen.
Rockefeller ist ebenfalls Gründer der „ Trilateralen Kommission„, einer weiteren Organisation, die in allen Verschwörungstheorien einen festen Platz einnimmt. Die Trilaterale Kommission gibt an, formell unabhängig von Bilderberg zu sein—die Frankfurter Rundschau hingegen meint, dass die Kommission aus einer Bilderberg-Konferenz hervorgegangen sei. Evident ist in jedem Fall die personelle Überschneidung in Gestalt von David Rockefeller.
Jenseits aller Verschwörungstheorien handelt es sich bei den Bilderberg-Treffen bis heute um höchst elitäre Zusammenkünfte politischer und wirtschaftlicher Eliten. Im sogenannten Steering Committee von Bilderberg sitzen etwa Paul Achleitner, Aufsichtsratsvorsitzender der Deutsche Bank, Thomas Enders, CEO der Airbus der Gruppe, Craig Mundie von Microsoft, Robert Zoellick von Goldman Sachs oder Jean-Claude Trichet, ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank. Trichet ist übrigens auch aktueller europäischer Vorsitzender der „Trilateralen Kommission“.
Einmal im Jahr kommen auf den Bilderberg-Konferenzen zwischen 120 und 150 „policy maker“ zusammen, um sich in entspannter Atmosphäre auszutauschen. Laut der offiziellen Bilderberg-Homepage gibt es dabei keine feste Tagesordnung, keine Abstimmungen und keine Statements. Ein geleaktes Dokument der Bilderberg-Konferenz 1980 in Aachen spricht allerdings eine andere Sprache. Im Vorfeld gab es Arbeitspapiere und vor Ort eine klar strukturierte Agenda. Sehr detailliert wurden dabei die damaligen politisch-strategischen Brennpunkte der Erde besprochen und mögliche Lösungen im Sinne der transatlantischen Allianz Westeuropa-USA debattiert.
Die Teilnahme an den Konferenzen ist nur mit persönlicher Einladung möglich, außenstehende Gäste oder JournalistInnen sind nicht erwünscht. Die Teilnehmenden sind aufgefordert, die Identität der anderen Teilnehmenden geheim zu halten. Rückwirkend bis 2010 wird eine offizielle Liste der teilnehmenden Personen online publiziert. Ob diese Liste vollständig ist, ist ungewiss.
Auffallend jedenfalls ist, dass PolitikerInnen als Gäste der Konferenz sehr gerne gesehen werden, das rund 30-köpfige Steering Committee aber ausschließlich aus Wirtschaftsgrößen (und einigen einflussreichen Theoretikern und Ex-Politikern) zusammengesetzt ist. Eine wesentliche Ausnahme dabei ist Mario Monti, ehemals italienischer Ministerpräsident und Vorgänger von Trichet als Europa-Vorsitzender der Trilateralen Kommission, der als „lebenslanger Senator“ auch heute noch ein politisches Amt in Italien bekleidet.
Auch die Gästeliste der Bilderberg-Konferenzen ist äußerst schwergewichtig. In der Vergangenheit waren Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, Spaniens Ex-König Juan Carlos, Ex-US-Präsident Clinton sowie zahlreiche weitere vor allem europäische Regierungschefs und Wirtschaftsbosse zu Gast bei den Treffen.
Die diesjährige 63. Konferenz der Bilderberger wird von 10. bis 14. Juni im Tiroler Alpenort Telfs stattfinden. Als Gastgeber wird dabei Rudolf Scholten fungieren, ehemals sozialdemokratischer Wissenschafts- und Unterrichtsminister, heute CEO der Österreichischen Kontrollbank AG und einziger Österreicher im Steering Committee. Scholten dürfte auch verantwortlich sein für die auffällige sozialdemokratische Schlagseite, was die österreichische Teilnahme an den Konferenzen der letzten Jahre betrifft.
Neben ihm finden sich auch die (Ex-)Kanzler Vranitzky, Gusenbauer und Faymann sowie Bundespräsident Fischer auf der Liste der Teilnehmer. Als einziger „schwarzer“ Politiker durfte in den letzten Jahren der damalige ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein 2007 gemeinsam mit Ex-Kanzler Gusenbauer an einem Bilderberg-Treffen teilnehmen. Bartenstein ist heute übrigens Pharma-Unternehmer und gilt als einer der reichsten Männer des Landes.
Damit der sozialpartnerschaftliche Friede gewahrt bleibt, werden allerdings auch konservative Wirtschaftsgrößen wie Walter Rothensteiner, Generaldirektor der Raiffeisen Zentralbank, oder Andreas Treichl, CEO der Erste Bank Group, zu den Bilderberg-Treffen eingeladen. Fast als Stammgast darf zudem Oscar Bronner gelten, Herausgeber der Tageszeitung Der Standard, der als einziger Österreicher zumindest seit 2010 regelmäßig an der Konferenz teilnimmt (seit diesem Jahr veröffentlicht Bilderberg auf einer offiziellen Seite die Liste der TeilnehmerInnen).
Ergänzend zu den Treffen von Bilderberg können die Treffen der Trilateralen Kommission gesehen werden. Die Kommission soll die drei Wirtschaftsräume EU/EWR, Nordamerika (USA, Kanada und Mexiko) sowie die Region Asien/Pazifik repräsentieren. Nachdem die Kommission im Gegensatz zu Bilderberg ihre Tagesordnung und die ReferentInnen offenlegt, können hier deutlich mehr Rückschlüsse auf die Inhalte der Treffen gezogen werden.
Ein Blick in die Tagesordnung der letzten Konferenzen der europäischen Gruppe etwa zeigt einige eindeutige Schwerpunkte, die immer wieder auftauchen: die Einbindung der Mittel- und Osteuropäischen Staaten (MOEL) sowie der Westbalkan-Staaten in die EU, die ökonomische Stabilisierung der EU, die Auseinandersetzung mit Russland sowie sicherheitspolitische Agenden. Anders gesagt werden dort genau jene Themen im kleinen Kreis und informeller Atmosphäre besprochen, die den Eliten in der EU unter den Fingern brennen.
„Wir grenzen uns klar ab von Verschwörungstheorien sowie rechten und antisemitischen Positionen. Dennoch muss thematisiert werden, was die Probleme mit der Bilderberg-Konferenz sind.“
Die Kommission veröffentlicht auch eine Liste ihrer Mitglieder und gibt dabei rund 400 Personen an. Die Teilnehmenden sind, wie bei den Bilderberg-Konferenzen, global relevante Meinungsbildner aus den Bereichen Wirtschaft und Politik—und genau wie bei Bilderberg sind Frauen massiv unterrepräsentiert. Aus Österreich finden sich auf der Liste der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler von der ÖVP, die ehemalige VP-Außenministerin Ursula Plassnik, Peter Mitterbauer, Chef der Industriellenvereinigung, Nationalbank-Gouverneur Ewald Novotny, sowie Andreas Treichl, CEO der Erste Bank Gruppe (der ja auch schon bei Bilderberg-Treffen anwesend war).
Nicht alle in Tirol sind glücklich über das Treffen der Bilderberger. Im Vorfeld der Konferenz haben sich KritikerInnen zum überparteilichen linken Bündnis „Bilderberg Protest Tirol“ zusammengefunden, das für den 13. Juni auch eine Demonstration in Telfs plant.
Roland Steixner von Bilderberg Protest Tirol sagt: „Wir grenzen uns klar ab von Verschwörungstheorien sowie rechten und antisemitischen Positionen. Dennoch muss thematisiert werden, was die Probleme mit der Bilderberg-Konferenz sind. Es handelt sich um ein Treffen von Eliten aus Politik, Wirtschaft und Militär. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden hier Dinge besprochen, die uns alle angehen.“ Steixner kritisiert auch, dass die Sicherheitskosten für das Treffen höchstwahrscheinlich nicht die Veranstalter tragen, sondern die öffentliche Hand.
Inhaltlich bezieht sich Steixner auf das geleakte Dokument der Aachener Bilderberg-Konferenz 1980 und meint: „Damals wie heute war es ein zentrales Thema der Konferenzen, die transatlantischen Beziehungen zu verbessern. Auch Themen wie TTIP oder der NATO-Russland-Konflikt werden dort mit Sicherheit diskutiert.“ Im Kern geht es laut Steixner bei Bilderberg und anderen ähnlichen Treffen um „strategische Debatten zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Hegemonie“.
Und tatsächlich ist die Welt zweifellos nicht so einfach, wie manche rechte Bilderberg-Verschwörungstheoretiker sie gerne hätten. Kapitalismus funktioniert nicht wie eine geheime Weltregierung, sondern es gibt unterschiedliche und teilweise einander widersprechende Interessen. Multinationale Konzerne können andere Vorstellungen haben als Betriebe, die im nationalen Rahmen produzieren. Exportorientierte Unternehmen wollen andere Gesetze als importorientierte Bereiche. Betriebe stehen im Konkurrenzkampf zueinander.
Auch Treffen wie das der Bilderberger werden diese grundlegenden Widersprüche nicht lösen können. Die Teilnehmenden der Konferenz im Juni in Tirol werden wohl auch weder Freimauer-Rituale abhalten, noch die KandidatInnen für die nächste geheime Weltregierung aufstellen. Voraussichtlich wird auch Telfs am Tag nach der Konferenz nicht von einer Erdbeben-Drohnen-Armee niedergebrannt worden sei. Das macht die Bilderberg-Konferenz als Treffen einer kleinen politisch-wirtschaftlichen Elite aber nicht weniger problematisch.