Es ist nicht mehr die Frage, ob es bald schwere Verletzungen gibt. Es ist nur noch die Frage, wann das der Fall sein wird: Wie gefährlich die Lage beim Aufmarsch am Samstag in Wien wirklich war. Und was jetzt alles noch passieren könnte.

„Es brauche jetzt alle Formen des Widerstands gegen den türkis-grünen Corona-faschismus.“ Mit diesen Worten mobilisierte FPÖ-Chef Herbert Kickl zum Aufmarsch am 20. November in Wien. „Faschismus“ wird dabei buchstäblich klein geschrieben. Tatsächlich: „Alle Formen“, sagt Kickl. „Der Aufstand hat begonnen“, heißt es nach dem Aufmarsch euphorisch auf der Plattform Auf1.

Auf1 hat auf Telegram über 143.000 Follower – und damit großen Einfluss in der Szene. Das Gesicht von Auf1, Stefan Magnet, war in jüngeren Jahren Führungskader der Rechtsaußen-Truppe „Bund freier Jugend“. Am 20.11. hätte er eine „revolutionäre Stimmung“ gesehen, schwärmt der Rechtsausleger in einem Video.

Und tatsächlich war die Stimmung am 20.11. in Wien enorm aufgeheizt. Die Meldungen in vielen Medien – etwa im ORF-Bericht auf Wien Heute –, dass der Aufmarsch „größtenteils friedlich“ gewesen sein, geben das Bild vor Ort nicht in vollem Ausmaß wieder. Es könnte damit zusammenhängen, dass viele Medien im Hinblick auf die mögliche eigene Gefährdung nur in geringer Personalzahl vor Ort waren.

Größtenteils friedlich?

Bereits am frühen Nachmittag begannen erste Auseinandersetzungen direkt vor dem Heldentor auf der Ringstraße. Vermummte Personen attackierten die Polizei und auch mich. Wenig später wurde ich dann von einer Personengruppe sogar mit Pfefferspray attackiert. Nur meinem Schutzteam ist es zu verdanken, dass dieser Eingriff ohne eigene Verletzungen abgewehrt werden konnte.

Auch andere Personen mit Kamera wurden attackiert. Darunter auch ein Team der rechten Medienplattform Exxpress, dabei sei der Kameramann verletzt worden, schreibt die Plattform. Sogar ein bekannter deutscher Querdenker wurde von einem Mob gejagt. Andere Personen, die mit Kamera unterwegs waren, berichten mir von ähnlichen Erlebnissen.

Es scheint, dass an diesem Tag alle Personen, die eine Kamera in der Hand hatten, schlichtweg Freiwild für den rechten Mob waren. Auf dem Marsch wurden sogar Flugblätter ausgeteilt, wo Fotos von mir und anderen Kolleg*innen abgebildet waren. Diese Flugblätter wurden rund um den Block der neofaschistischen Gruppe Identitäre verteilt.

Mehrmals kam es am Rand des Aufmarsches offenbar zu Attacken auf Menschen, die nicht ins Feindbild der extremen Rechten passen.

Kurz danach traf es dann wieder die Polizei. Polizist*innen seien auf der Ringstraße beim Burgtor erneut „mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen“ worden und setzten Pfefferspray ein, twitterte die Polizei um 17 Uhr 26. Wie schnell und heftig die Lage dort eskalierte, zeigen diese Aufnahmen.

Die Polizei konnte sich hier nur mit massivem Einsatz von Pfefferspray verteidigen und damit wohl auch den Eingang zum Burgtor – und damit zum Bundeskanzleramt, der Präsidentschaftskanzlei und dem Ausweich-Parlament in der Hofburg – absichern. Im Zuge von Auseinandersetzungen soll ein Mann sogar versucht haben, einem Polizisten die Dienstwaffe zu entreißen, wie die Polizei vermeldete.

Was wäre, wenn das Linke gewesen wären?

Bezeichnend war danach die Reaktion der Polizei. Um eine Eskalation zu verhindern, habe sich die Polizei auch zurückgezogen, erläuterte der Wiener Landespolizeivizepräsident Franz Eigner. Halten wir fest: Zehntausende verletzen vorsätzlich gesetzliche Vorgaben, in diesem Fall die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske. Dann gibt es buchstäblich Jagdszenen gegen Personen mit Kameras und Übergriffe auf Menschen, die Demonstrationsteilnehmer*innen nicht ins rassistische und antisemitische Konzept passen.

Und schließlich wird die Polizei bei mehreren Angelegenheiten von großen Gruppen massiv angegriffen. Stellen wir uns nur einmal kurz vor, das wäre eine linke Demonstration gewesen. Glaubt irgendjemand, dass die Polizei sich dann zurückgezogen hätte, „um eine Eskalation zu verhindern“?

Es war klar, dass etwas passiert

Dass diese Demo eskalieren wird, war allerdings bereits im Vorfeld eindeutig. Dazu reichte es, in den einschlägigen Gruppen auf Telegram mitzulesen. Bereits Samstag früh hatte ich gewarnt: „Es wird groß und es wird gefährlich.“ Am Vormittag des Aufmarschs hatte ich dann bei einer Pressekonferenz den Polizeisprecher gefragt, wie die Polizei zur Einschätzung kommen würde, dass dieser Aufmarsch nicht hochgefährlich wäre.

Als Antwort bekam ich den Hinweis, dass die Polizei ohnehin auch bei mir mitlesen würde – und ansonsten keine klare Antwort. Die Antwort gaben dann die Ereignisse.

Wieviel ist 1300 wirklich?

Die Polizei hatte nach eigenen Angaben 1300 Beamt*innen im Einsatz. Das klingt im ersten Moment viel. Real bedeutet das aber, dass zum jeweils gleichen Zeitpunkt nicht mehr als einige hundert uniformierte Polizist*en im Einsatz sind.

Andere sind abgestellt für Objektsicherung, Verkehrsregelung oder Beobachtungen in Zivil. Dazu gibt es Einheiten in Reserve und Einheiten zur Ablöse. Einige hundert Uniformierte auf rund 40.000 teils hoch aggressive Marsch-Teilnehmer*innen. Die Überforderung der Polizei mit ihren viel zu geringen Kräften war vor Ort zu jedem Zeitpunkt zu erkennen.

Die Polizei könnte, aber sie will nicht

Zum Vergleich: Genau so viele Kräfte hatte die Polizei vor Ort, als es darum ging, die Pizzeria Anarchia im Wiener zweiten Bezirk zu räumen. Die „Gegner“ damals: Rund 40 junge Menschen. Es wäre allerdings naiv, zu glauben, dass die Taktik der Polizei reine Unfähigkeit war. Tatsächlich hat die ÖVP genau diese enorm zurückhaltende Taktik bereits seit Beginn der Aufmärsche in ganz Österreich angewendet.

Offensichtlich ist es eine Vorgabe des ÖVP-geführten Innenministeriums. Auf der Straße sind diesmal keine Linken, die schon mal zusammengeschlagen werden können, sondern ‚“ihre Leute“. Die Strateg*innen der ÖVP wollen es nicht endgültig mit potentiellen rechten Wähler*innenmilieus verscherzen. Warum die Polizei der rechten Corona-Aufmärsche toleriert, habe ich hier in einer Analyse genauer erklärt.

Die „ganz normalen Leute“

In sozialen Medien war nach dem Aufmarsch zu lesen, dass dort die sprichwörtlichen ganz normalen Leute zusammengekommen wären. Das wurde als Beleg dafür genommen, dass es sich nicht weitgehend um Rechte handeln könne. Woran sich diese „Normalität“ festmacht und warum diese „Normalität“ nicht rechts sein kann, bleibt allerdings immer offen. Mutmaßlich geht es dabei vor allem darum, dass die Personen auf den Aufmärschen großteils nicht den Klischees entsprechen, wie Rechtsextreme auszusehen hätten.

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Offensichtlich suchen manche immer noch nach Skinheads mit Springerstiefeln und weißen Schuhbändern – und bleiben damit hoffnungslos in den 1990er Jahren stecken. Doch bleiben wir bei den Fakten: Bei der Bundespräsidentschaftswahl 2016 haben fast 50 Prozent der Bevölkerung für Norbert Hofer gestimmt, den Kandidaten der rechtsextremen FPÖ. Rechtsextremismus ist in Österreich normal – und ebenso normal sehen dann eben auch jene aus, die rechtsextrem wählen und denken. Aber waren deshalb alle Aufmarsch-Teilnehmer*innen rechtsextrem?

Alle sind verantwortlich

Dominant waren – wie immer auf diesen Aufmärschen – konservative, rechte und extrem Wähler*innengruppen. Die Bundesländer-Fahnen und Dialekte zeigten dabei erneut, dass ein großer Teil der Marschierer mit Bussen und Autos aus anderen Bundesländern nach Wien gekarrt wurden.

Doch vor Ort waren auch andere Personenkreise, die vor allem esoterisch geprägt waren. Auch Vertreter der absurden Mini-Truppe „Freie Linke“ waren mit Fahnen vertreten.

Gleichzeitig haben sich aber alle diese Personen bewusst entschieden, einen Aufruf der FPÖ und der extrem rechten Führungsclique innerhalb der Corona-Bewegung zu folgen. Sie haben sich bewusst entschieden, gemeinsam mit extremen Rechten, Neofaschist*innen und Neonazis auf die Straße zu gehen. Und schlussendlich sind sie hinter den rassistischen Frontbannern der neofaschistischen Gruppe Identitäre marschiert, die den Zug anführten.

Ein entscheidender Strategiewechsel der FPÖ

Für die FPÖ und die rechte Corona-Bewegung ist die Mobilisierung zweifellos ein enormer Erfolg. Die FPÖ hat dabei ein langjähriges Prinzip verlassen: Seit Jörg Haider 1986 den Vorsitz der FPÖ übernommen hatte und die Partei danach ihren Aufstieg antrat, galt ein unausgesprochenes Prinzip: Die FPÖ veranstaltet vor allem Wahl-Kundgebungen, die sich nie als Demonstrationen in Bewegung setzen.

Solche Kundgebungen hat die Partei zu jedem Zeitpunkt vollständig unter Kontrolle. Außerhalb von Wahlkundgebungen gibt es so gut wie keine Mobilisierungen. Nun aber mobilisiert die FPÖ die Straße und setzt sich buchstäblich in Bewegung. Das ist eine neue Qualität der politischen Auseinandersetzung: Die FPÖ hat sich nun dazu entschieden, ihren Einfluss an der Wahlurne auch konkret in extrem rechte Mobilisierungen zu übersetzen.

Die Identitären wollen „sportliche Männer“ rekrutieren

Die erste Reihe auf der Straße hat die FPÖ am Samstag der neofaschistischen Gruppe Identitäre überlassen. Die Identitären selbst haben seit einigen Monaten eine neue Strategie. Die neue Zielgruppe seien „junge, sportliche Männer“, die lieber vermummt agieren würden.

Das erklärte ein Sprecher der Wiener Gruppe jüngst gegenüber der extrem rechten Plattform „Ein Prozent“. Offensichtlich soll hier das rechte Hooligan-Milieu angesprochen werden. Symbolisch dafür ein Sprechchor auf dem Aufmarsch in Wien: „Heimat Freiheit Tradition – Schallenberg, Du Hurensohn“.

Einerseits ein klassischer Slogan der Gruppe Identitäre, andererseits die typische Diktion des Fußballmilieus. Mit dieser Neuorientierung einhergehen könnte auch eine Abkehr von der bisherigen Taktik, sich in der Öffentlichkeit gewaltfrei zu geben.

Nazis und Identitäre kämpfen um das Hooligan-Milieu

Um dieses Hooligan-Milieu streiten sich in Wien aktuell die neofaschistischen Identitären mit der Neonazi-Truppe „Alpen Donau“ / „Corona-Querfront“ rund um Gottfried Küssel. Die Gefahr dabei: In einer Spirale muss jede der beiden Strömungen den Hools immer neue „erlebnisorientierte“ Angebote machen.

Die Neonazi-Strukturen der „Corona-Querfront“ waren auch am Samstag in Wien präsent und haben es offensichtlich geschafft, auch einzelne Personen an sich zu binden. Das dürfte etwa in der burgenländischen Landeshauptstadt Eisenstadt der Fall sein, wo die Neonazis regelmäßig eigene Corona-Aufmärsche organisieren. Parallel dazu organisiert die Truppe derzeit Schulungen für junge Hooligans und dockt aktuell bei der deutschen Neonazi-Partei „III. Weg“ an.

Das neue Selbstbewusstsein der äußersten Rechten zeigt sich nicht zuletzt auch bei Übergriffen. So wurden jüngst auf einer Wohnungstür, die mir fälschlicherweise zugerechnet wird, Drohungen hinterlassen. Die Täter stammen mutmaßlich aus dem Milieu der Gruppe „Tanzbrigade“, die eng mit den Küssel-Strukturen verbunden ist.

Die Stimmung wird sich schnell radikalisieren

Aus der erfolgreichen Mobilisierung am Samstag in Wien werden die verschiedenen Fraktionen der rechten Corona-Szene zweifellos den Schluss ziehen, sehr bald erneut auf die Straße zu gehen. Vor allem mit der Impfpflicht, die ab 1. Februar 2022 gelten soll, gibt es ein zentrales und greifbares Mobilisierungsthema.

In der absurden Weltsicht dieser Kreise ist die Schutzimpfung eine „Giftspritze“, die jedenfalls verhindert werden müsse. Ob die führenden Köpfe der Bewegung diesen Schwachsinn selbst glauben oder solche Verschwörungen nur benützen, muss dahingestellt bleiben. Doch damit haben sie jedenfalls ein starkes Thema, mit dem sie jene auf die Straße bringen, die diesen Unsinn tatsächlich glauben.

Die Stimmung wird sich dabei schnell weiter radikalisieren. Es entspricht der Dynamik solcher Mobilisierungen. In den Niederlanden und in Belgien etwa gibt es bereits seit mehreren Tagen heftige Ausschreitungen, befeuert auch dort von extremen Rechten und einschlägigen Hooligan-Milieus.

Wie gefährlich kann es werden?

Diese Radikalisierung wird sich auch in Österreich auf der Straße zeigen. Es wird während solcher Aufmärsche nochmals wesentlich gefährlicher für Journalistinnen werden und für all jene, die nicht ins Weltbild der extremen Rechten passen. Es ist nicht mehr die Frage, ob es bald schwere Verletzungen gibt. Es ist nur noch die Frage, wann das der Fall sein wird.

Gleichzeitig könnte sich nun auch ein terroristischer Untergrund herausbilden. Erste Vorboten davon gab es bereits im Mai, wo ich rechte Corona-Gruppen aufgedeckt hatte. Vor allem (ehemalige) Soldat*innen organisierten sich in dieser geheimen Gruppe. Zu dem Zeitpunkt, wo die Behörden eingeschritten sind, wurden bereits Anleitungen zum Bau von Bomben ausgetauscht.

Gegen mich gab es in diesen Gruppen Morddrohungen, eine Frau wurde wegen der Weiterleitung dieser Drohungen Anfang September in Innsbruck rechtskräftig verurteilt. Der Urheber der Drohungen ist allerdings bis heute nicht verurteilt. Dazu wurde darüber geschrieben, aus welchen Kasernen am einfachsten Waffen gestohlen werden könnten und wie Maschinenpistolen am unauffälligsten durch Wien zu transportieren wären.

Die kommenden Monate könnten enorm gefährlich werden. Ein Höhepunkt ist im Jänner zu erwarten, kurz vor der Einführung der Impfpflicht. Danach ist allerdings kein schnelles Ende zu erwarten. Zum einen wird es weitere Proteste gegen die Impfungen geben. Vor allem aber sind in der Pandemie rechte Milieus, Vernetzungen und Zusammenhänge entstanden, die uns noch lange beschäftigen werden.

Ich warne in meinen Artikeln bereits seit Monaten vor der Zuspitzung der Lage. Es ist eindeutig: Die Situation ist brandgefährlich.

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