Das sagen österreichische Linke zum russischen Einmarsch in die Ukraine – und so helfen fortschrittliche Organisationen jetzt ganz konkret.
Dieser Artikel wurde auf Anregung von Ukrainer*innen geschrieben, die in Wien leben. Er erscheint auf Deutsch und auf Ukrainisch. Übersetzung: Nina Nadeschda. Die ukrainische Version findest Du hier.
„Wir sind total überwältigt von euren Hilfsangeboten und kommen mit der Beantwortung eurer zahlreichen Nachrichten momentan kaum hinterher“ – so beschreibt die Wiener Hilfsorganisation „Train of Hope“ die enorme Hilfsbereitschaft ihrer Unterstützer*innen. Train of Hope ist derzeit mit einem Team von Freiwilligen im humanitären Ankunftszentrum in Wien-Leopoldstadt aktiv.
Dort unterstützen sie jetzt die Menschen, die aus der Ukraine flüchten müssen. „Um Menschen auf der Flucht in Wien willkommen zu heißen und mit dem Nötigsten zu versorgen“, wie die Flüchtlingshilfe-Organisation erklärt. Zeitweise mussten die Aktivist*innen darum bitten, keine weiteren Sachspenden für ukrainische Flüchtlinge vorbei zu bringen – die Lager waren bereits komplett voll. Was aktuell benötigt wird, schreiben die Aktivist*innen hier.
„In ganz Österreich wird gesammelt“
Auch SOS Balkanroute ist in diesen Tagen enorm aktiv: „An vielen Stellen in Wien und ganz Österreich werden derzeit Spenden für Flüchtlinge aus der Ukraine gesammelt“, erzählt Petar Rosandić, Sprecher der Flüchtlingshilfe-Organisation. „Wir konnten bereits viele Kisten Verbandsmaterial, Kompressen und Hygieneartikel übergeben“, so der Flüchtlingshelfer.
Auch ein ganzer Van voll Kleidung und Verbandsmaterial sei bereits an die Volkshilfe, eine bekannte Hilfsorganisation, weitergegeben worden. Am Wiener Donaukanal wurde inzwischen bereits ein neues Graffiti für SOS Balkanroute gemalt: Der Text: „Alle aufnehmen – Grenzen töten“.
Die Volkshilfe hat unterdessen bereits einen ersten Konvoi mit Hilfsgütern in die ukrainische Stadt Czernowitz gebracht. Dabei arbeitet sie mit der ukrainischen Hilfsorganisation „Narodna Dopomoha“ (Volkshilfe) zusammen.
Und auch der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) berichtet, dass bereits ein erster gewerkschaftlich organisierter Hilfstransport „mit insgesamt 15 Tonnen Lebensmitteln, Babynahrung, Damen-Hygieneartikeln und Decken an die slowakisch-ukrainische Grenze gebracht“ wurde. Der ÖGB arbeitet hier eng mit ukrainischen Gewerkschaften zusammen.
Aktive Linke
All diese Organisationen sind politisch nicht farbenblind. Die Volkshilfe ist eine Organisation, die von der österreichischen Sozialdemokratie gegründet wurde. Der ÖGB ist offiziell überparteilich, doch sozialdemokratisch dominiert. Und Train of Hope ist als fortschrittliche Flüchtlingshilfe-Organisation im Jahr 2015 entstanden. Damals sind Menschen vor allem aus Syrien und Afghanistan nach Österreich geflüchtet.
Viele dieser Menschen kamen Anfang September 2015 an den Wiener Bahnhöfen an. Aktivist*innen und Flüchtlingshelfer*innen haben damals sehr rasch am Hauptbahnhof Strukturen zur Unterstützung der ankommenden Menschen aufgebaut. In den nächsten Tagen schlossen sie sich zusammen: Als Zug der Hoffnung, „Train of Hope“.
Auf den Bahnhöfen und auf den Straßen
Die ersten Flüchtlinge kamen damals am 31. August 2015 am Westbahnhof an – nur wenige Stunden zuvor demonstrierten rund 20.000 Menschen in Wien für eine Änderung der Flüchtlingspolitik in Österreich und der EU. Einen starken Anteil an der Mobilisierung hatten verschiedene linke Organisationen – wie immer in Österreich bei Demonstrationen für geflüchtete Menschen.
Zahlreiche rote Fahnen wehten über der Demonstration. Vor allem politisch fortschrittlich und links denkende Menschen haben damals geholfen. Und heute helfen sie wieder. Flüchtlingshelfer Petar Rosandić von SOS Balkanroute etwa unterstützt mit seiner Organisation schon seit Jahren geflüchtete Menschen, die an der EU-Außengrenze fest sitzen.
Etwas Besseres als der Kapitalismus
Aktivist und Musiker Rosandić sagt: „Jetzt ist es für mich völlig selbstverständlich, auch Menschen zu unterstützen, die aus der Ukraine flüchten.“ Seine linke politische Motivation beschreibt der Rapper so: „Ich bin nicht happy mit dem Kapitalismus. Ich weiß zwar nicht ganz genau, wie die Alternative aussehen soll. Aber da muss es etwas Besseres geben.“
Die Wienerin Katarzyna Winiecka setzt sich ebenfalls für die Rechte geflüchteter Menschen ein. Die Aktivistin will erreichen, dass auch nicht-ukrainische Menschen sicher ankommen und danach in Europa bleiben können. „In der Ukraine waren zuletzt fast 80.000 Studierende vor allem aus afrikanischen und asiatischen Ländern“, berichtet sie.
Zehntausende stecken fest
Es gäbe Belege, dass diese Menschen an der Flucht gehindert würden so Winiecka. Ihre Forderung: „Alle Menschen müssen unabhängig von ihrer Herkunft das Recht auf Schutz haben.“ Das System an den Grenzen müsse „dekolonialisiert werden“.
"We were rounded up by Ukrainian soldiers & volunteers along with thousands of other Arabs, Indians, and Africans. They drew rectangles on the asphalt and lined us up inside them. Anyone who moved out of line was beaten with a baton or the butt of a rifle." – Amani Al-Attar, 25. pic.twitter.com/sTMDAbsenr
— Arwa Ibrahim (@arwaib) March 5, 2022
Winiecka, die im Wiener Bezirk Alsergrund auch Bezirksrätin für die Partei LINKS ist, kritisiert den „tief in der Gesellschaft verwurzelten Rassismus“ und fordert dazu auf, „Menschen, die gerade daran gehindert werden, praktisch in ihrer Mobilität zu unterstützen“.
Die Grenzen für alle Flüchtlinge öffnen
Auch die Partei LINKS positioniert sich eindeutig. Die linke Liste ist gemeinsam mit der KPÖ in 15 der 23 Wiener Bezirksvertretungen mit Bezirksrät*innen vertreten. Dieser Krieg würde zeigen, wie „imperialistische und kapitalistische Politik Millionen von Menschen ins Verderben stürzt“, so LINKS-Sprecherin Anna Svec. „Wir verurteilen den russischen Einmarsch und sind als Linke gegen jeden Krieg, immer und überall.“
Gleichzeitig fordert LINKS, dass alle Menschen, die jetzt vor dem Krieg in der Ukraine flüchten müssen, „unbürokratisch und unabhängig von ihrer Staatsbürger*innenschaft die Grenzen passieren können und aufgenommen werden“. Svec betont dabei, dass LINKS nicht an einem „nationalen Schulterschluss“ mit Parteien interessiert wäre, „die jetzt nach Aufrüstung und Militarisierung rufen“. Stattdessen will sie sich für eine „aktive linke Friedenspolitik von unten und die Aufnahme aller Geflüchteten“ einsetzen, „egal woher sie fliehen müssen“.
„Wer einen Krieg beginnt, ist schuldig“
Auch andere linke Parteien und Organisationen in Österreich beziehen eindeutig Stellung. Die linke Partei Wandel, die etwa im Gemeinderat von Linz vertreten ist, der drittgrößten Stadt des Landes, bezieht klar Stellung: „Jeder Krieg ist zu verurteilen und wer einen Krieg beginnt, ist schuldig. Im Fall des aktuellen Unkrainekrieges sind das ganz klar Putin und sein Regime“, so Fayad Mulla, Vorsitzender von Wandel. „Die imperialen Kriegstreiber unserer Welt zu entmachten und ihre Systeme aufzulösen, hat höchste Priorität.“
Update: Der Wandel unterstützt inzwischen auch selbst einen Hilfskonvoi in die Ukraine und arbeitet dabei mit der linken ukrainischen Organisation Соціальний рух | Sotsіalniy Rukh | Soziale Bewegung (Facebook – Web – Instagram) zusammen. Mehr zum Konvoi sowie der Spendenaufruf des Wandel sind hier zu finden.
Mulla erinnert gleichzeitig daran, dass die aktuelle Inszenierung von EU und NATO als Menschenrechtsorganisationen schlicht heuchlerisch wäre: „Imperiale Regime attackieren immer unter erlogenen Vorwänden illegal andere Nationen und deren Bevölkerungen. Was Putins Russland nun fast mitten in Europa tut, machen wir und unsere Freunde lieber fernab unserer Wohlfühlzone.“
In die gleiche Richtung geht auch die Gewerkschafts- und Arbeiterkammerfraktion „Kommunistische Gewerkschaftsinitiative“ (KOMintern): „Die klare Verurteilung des russischen Ukraine-Kriegs steht ebenso außer Frage, wie es für den Einmarsch Moskaus und die humanitäre Katastrophe – auch wenn diese maßgeblich von den USA und der NATO heraufbeschworen wurde – keine Rechtfertigung gibt“, heißt es in einer Stellungnahme.
Die KPÖ mit einer klaren Verurteilung
Auch die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) bezieht eindeutig Stellung. KPÖ-Bundessprecher Tobias Schweiger sagt: „Wir verurteilen den Einmarsch von Putins Truppen und den Angriff auf die Menschen in der Ukraine aufs Schärfste.“ Die KPÖ fordere „eine sofortige Einstellung der Kampfhandlungen sowie den Rückzug der russischen Truppen“.
Die KPÖ spielt aktuell auch praktisch eine wichtige Rolle in der Unterstützung von Flüchtlingen aus der Ukraine: In Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs, ist die KPÖ die stärkste Partei und stellt mit Elke Kahr die Bürgermeisterin. Regiert wird die Stadt von einer Koalition von KPÖ, SPÖ und Grünen.
Auf der Homepage der Stadt Graz werden Spendenmöglichkeiten beworben, die Stadtregierung hat bereits am 25. Februar eine erste Soforthilfe von 50.000 Euro beschlossen. „Die Stadt Graz zeigt mit diesem Akt der Solidarität, dass sie an der Seite der ukrainischen Bevölkerung steht“, so die kommunistische Bürgermeisterin Kahr. In einer Stellungnahme sagt sie, dass Putin mit seiner Aggression „schweres Unrecht begangen“ hätte.
Gegen Zar Putin
Innerhalb – und außerhalb – der steirischen KPÖ gibt es allerdings auch einen alt-stalinistischen Narrensaum. In dieser Fraktion wurde aus der Liebe zum Stalinismus die Liebe für alles, was aus Russland kommt … und damit heute die Unterstützung für Wladimir Putin. Kein Hindernis scheint für diese Kreise zu sein, dass Putin tatsächlich politisch rechtsaußen steht und sich bereits 1993 als Fan des chilenischen Faschismus geoutet hatte.
Innerhalb der Partei seien diese Personen aber inzwischen völlig isoliert, heißt es aus Parteikreisen. Ob diese Einschätzung stimmt, ist von außen nicht zu beurteilen. Doch die offizielle Stellungnahme der KPÖ Steiermark zum russischen Einmarsch ist eindeutig: Der Überfall wird als „völkerrechtswidrige Aggression aufs Schärfste“ verurteilt, Putin wird eine „an den Zarismus erinnernden Großmachtrhetorik“ vorgehalten.
Die steirische KP stellt sich auch auf die Seite der Antikriegs-Aktivist*innen in Russland: „In vielen russischen Städten gehen seit Tagen tausende Menschen gegen den Krieg auf die Straße. Viele wurden verhaftet. Auch ihnen gilt unsere Solidarität.“ Und auch KPÖ-Bundessprecher Schweiger stellt klar: „Die KPÖ steht an der Seite mit den Menschen in der Ukraine und den Demonstrationen für den Frieden in Russland. Wir haben dementsprechend keine Sympathie für den russischen Imperialismus übrig.“
Warnung vor Aufrüstung und Krieg
Gleichzeitig warnen viele Organisationen in Österreich derzeit vor dem Ruf nach Aufrüstung und Krieg. Die KPÖ zitiert dabei Rosa Luxemburg am Beginn des Ersten Weltkriegs: „Der Wahnwitz wird erst aufhören und der blutige Spuk der Hölle wird verschwinden, wenn die Arbeiter in Deutschland und Frankreich, in England und Rußland endlich aus ihrem Rausch erwachen, einander brüderlich die Hand reichen und den bestialischen Chorus der imperialistischen Kriegshetzer wie den heiseren Schrei der kapitalistischen Hyänen durch den alten mächtigen Schlachtruf der Arbeit überdonnern: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
In die gleiche Richtung geht ein Aufruf gegen den Krieg, der von zahlreichen linken Organisationen von Österreich über Deutschland, Polen und Bulgarien bis nach Russland unterzeichnet wurde.
Beim Protest heute vor der russischen Botschaft in Wien melden sich auch linke Ukrainer*innen zu Wort: "Gegen Imperialismus! Gegen Krieg! Gegen Kapitalismus!" pic.twitter.com/dWkuGdd6HB
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) February 26, 2022
Im Aufruf „Nein zum Krieg. Für eine Transnationale Politik des Friedens“ heißt es unter anderem: „Wir stehen an der Seite all derer in der Ukraine, die unter dem Ausbruch des Krieges leiden. Wir stehen an der Seite all derer in Russland, die sich dem Putin-Regime widersetzen.“ Der Aufruf, der in Österreich von der autonomen „Plattform Radikale Linke“ unterzeichnet wurde, ist hier auf Deutsch abrufbar, hier auf Ukrainisch, hier auf Russisch.
„Ein neues 1917“
Viele linke Organisationen in Österreich wollen jetzt auch russische Antikriegs-Aktivist*innen unterstützen. Petar Rosandić von SOS Balkanroute: „Wir dürfen die Menschen in Russland nicht vergessen, die jetzt die Gefahr auf sich nehmen, bis zu 15 Jahre ins Gefängnis zu gehen, weil sie gegen den Krieg auftreten.“
Die Sozialistische LinksPartei, eine trotzkistische Organisation, unterstützt auch bereits ganz konkret: Sie sammelt jetzt in Österreich Spenden für Antikriegsproteste von Sozialist*innen und Gewerkschafter*innen in Russland, mit denen die Partei in Kontakt steht. Um welche Organisationen es sich genau handelt, wird aus Sicherheitsgründen nicht bekannt gegeben.
Die Aktivist*innen erinnern dabei an die sozialistische Oktoberrevolution von 1917: Die beste Art, den Krieg zu stoppen, sei, „den Widerstand gegen Putin in Russland aufzubauen“. Gemeinsam mit sozialistischen Antikriegsaktivist*innen in Russland rufen sie dazu auf, dem „neuen Zaren ein neues 1917 zu bescheren.“
Mein Name ist Michael Bonvalot. Ich bin Herausgeber des stand.punkt. Ich hätte eine Bitte an Dich: Findest Du diesen Artikel gut? Hier kannst Du den stand.punkt unterstützen!