„Linke und Rechte“ würden gemeinsam auf den Corona-Aufmärschen marschieren, heißt es immer wieder. Hält diese Behauptung der Realität stand? Und wie rechts sind die Corona-Aufmärsche tatsächlich? Ein Faktencheck.

Der 27. November 2021 war jener Tag in Österreich, wo die bisher wohl größten Corona-Aufmärsche seit Beginn der Pandemie stattgefunden haben. Allein in Graz, der zweitgrößten Stadt des Landes, sind nach Polizeiangaben rund 25.000 Personen auf die Straße gegangen. Ursprünglich hatte die Polizei von 30.000 Personen gesprochen, diese Angabe dann aber nach unten korrigiert. Auch wenn wir davon ausgehen, dass es eine Mobilisierung mindestens aus der gesamten Steiermark und wohl auch aus anderen Bundesländern war, ist das enorm: In Graz selbst leben knapp 300.000 Menschen.

Der Aufmarsch wurde von der Grazer FPÖ unterstützt, die FPÖ publizierte danach auf Facebook Bilder von Gemeinderät*innen auf dem Aufmarsch. Den Zug führen zeitweise extreme Rechte mit einem Frontbanner mit der Aufschrift „Regierung einsperren – nicht das Volk“ an. Das führte in Folge zwar zu einem Disput mit der Aufmarsch-Leitung – doch in Folge konnte die Gruppe weiter am Aufmarsch teilnehmen, wie das Doku Service Steiermark mit Bildern belegt.

Verdacht auf Wiederbetätigung

„Patriotische Aktivisten aus der gesamten Steiermark“ seien es gewesen, die den Zug „optisch und akustisch anführten“, heißt es danach von der neofaschistischen Gruppe Identitäre. Gegen drei Männer wurde polizeilich eingeschritten. Sie stehen im Verdacht, bei der Abschlusskundgebung den „Hitler-Gruß“ gezeigt und den Nationalsozialismus verharmlost zu haben.

In der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt waren zeitgleich laut Polizei rund 5000 bis 6000 Personen auf der Straße. In Klagenfurt leben insgesamt rund 100.000 Menschen. Bei der Abschlusskundgebung vor der Landesregierung sprach der Kärntner FPÖ-Obmann Erwin Angerer.

Oft sogar direkt von der FPÖ organisiert

In St. Pölten marschierten laut Polizei rund 3500 Personen. Insgesamt hat die Landeshauptstadt von Niederösterreich rund 54.000 Einwohner*innen. Aufgerufen zum Aufmarsch in St. Pölten hatte hier gleich direkt und ganz offen die FPÖ. Angeführt wurde der Zug von Aktivist*innen der neofaschistischen Gruppe Identitäre mit einem Banner mit der Aufschrift „Kontrolliert die Grenze, nicht euer Volk“.

Der Aufmarsch in Innsbruck mit laut Polizei rund 1500 Personen wurde von einer Gruppe namens „Studenten stehen auf“ organisiert – eine Struktur mit (Telegram-Gruppen) in einer ganzen Reihe von Städten in Deutschland und Österreich. In der Innsbrucker Teil-Gruppe wird regelmäßig weit rechte Propaganda verbreitet, darunter sind etwa Artikel des FPÖ-nahen Blättchens „Wochenblick“.

Einen der – in Relation zur Bevölkerung – größten Aufmärsche gab es bereits am Freitag in Vöcklabruck in Oberösterreich. Dort waren mehrere tausend Personen auf der Straße. In der gesamten Stadt leben gerade einmal rund 12.500 Personen. Vöcklabruck ist gegenwärtig einer der Orte in ganz Österreich mit der höchsten Anzahl an Menschen, die an COVID-19 erkranken – und gleichzeitig einer der Orte mit der niedrigsten Impfquote.

Aufgerufen zum Aufmarsch hatte die Freiheitliche Jugend, die Jugendorganisation der FPÖ. In Vöcklabruck ist – oder war – auch ein Ableger der neofaschistischen Gruppe Identitäre aktiv, der bei vorangegangenen Aufmärschen mit Bannern präsent war. Im Vorfeld des Aufmarschs hatte Identitären-Gesicht Martin Sellner auf seinem Kanal zur FPÖ-Kundgebung aufgerufen.

Direkte Bedrohungen in der Steiermark

Bereits seit einigen Wochen gibt es regelmäßige Aufmärsche in Gleisdorf bei Graz. Zeitweise marschieren bis zu 2000 Personen durch den Ort mit gerade einmal rund 5500 Einwohner*innen. Der ÖVP-Bürgermeister wird bedroht, die Aufmärsche gehen bis zu seiner Haustür, dort wird dann laut Standard „Holts ihn raus“ skandiert.

Vorneweg immer wieder einschlägige extreme Rechte. Die neofaschistische Gruppe Identitäre lobt sich auf Telegram etwa dafür, dass beim Aufmarsch am 21. November in Gleisdorf „patriotische Aktivisten die Führung“ übernommen hätten.

Im Burgenland organisieren die Neonazis gleich selbst

In Eisenstadt will am 4. Dezember erneut die selbsternannte „Corona-Querfront“ aufmarschieren. Die Gruppe marschiert bereits seit Monaten regelmäßig durch die Landeshauptstadt des Burgenlands. Haben wir hier also tatsächlich ausnahmsweise eine Querfront zwischen Links und Rechts gefunden? Nein.

Bei dieser Gruppe handelt es sich tatsächlich um die Neonazis der Gruppe „Alpen Donau“ rund um Gottfried Küssel – die bei ihren Mobilisierungen zunehmend Verstärkung von der deutschen Neonazi-Partei „III. Weg“ bekommt. Auf dem Telegram-Kanal der „Corona-Querfront“ wechseln sich Verschwörungs-Bildchen zur Pandemie mit einschlägig extrem rechter Propaganda ab.

Und in Wien? FPÖ, Neofaschist*innen, Neonazis

Bereits am vergangenen Samstag sind in Wien laut Polizeiangaben rund 40.000 Personen auf die Straße gegangen. Die Angaben der Veranstalter von rund 100.000 Menschen gehören ins Reich der Fantasie. Wie bei allen bisherigen Aufmärschen in Wien ist auch diesmal zu bedenken, dass Aufmärsche in Wien zwar in absoluten Zahlen größer sind, in Relation zur Bevölkerung allerdings weit kleiner als in vielen anderen Städten.

Dazu kommt, dass in Wien erfahrungsgemäß vor allem Personen aus anderen Bundesländern aufmarschieren. Dennoch soll das nicht darüber hinwegsehen lassen, dass das der insgesamt bisher größte Aufmarsch seit Beginn der Pandemie war. Aufgerufen zu diesem Aufmarsch hatten die FPÖ sowie so gut wie alle führenden Köpfe der Corona-Schwurbler*innen-Szene. Und diese Szene ist bereits seit Beginn der Pandemie weit rechts dominiert.

Der bekannteste Kopf der einschlägigen Milieus ist der Kärntner Martin Rutter. Noch bei der Nationalratswahl 2019 war er Spitzenkandidat der FPÖ-Abspaltung BZÖ. Auf der Homepage des BZÖ wurden bereits zu Beginn der Pandemie absurdeste und offen rassistische Verschwörungserzählungen verbreitet. Eindeutig ist auch das Naheverhältnis zwischen Rutter und der Gruppe Identitäre.

Als Rutter etwa während eines Aufmarschs am 6. März 2021 in Wien in Polizeigewahrsam genommen wurde, wird auf seinem Telegram-Kanal durchgehend Propapanda der Identitären verbreitet – offenbar hatten oder haben deren Kader Administrations-Zugang auf seinem Kanal.

Am Aufmarsch am 20.11. in Wien vorneweg dann Aktivist*innen der Gruppe Identitäre mit drei – rassistischen – Bannern. Daneben einschlägig bekannte rechte Hooligan-Milieus. Im Zug unter anderem die Neonazis der „Corona-Querfront“. Vor allem Personen mit Kameras wurden dort regelrecht gejagt. So wurde sogar ein deutscher Querdenker von extremen Rechten attackiert, ich selbst und zwei andere Kolleg*innen wurden sogar bereits mit Flugblättern gesucht.

Aufruf zu einem „Warnstreik“ am 1. Dezember

In den einschlägigen Gruppen werden bereits die nächsten Aufmärsche beworben. So wird etwa von vielen einschlägigen Figuren der Szene ein Aufruf verbreitet, am 1. Dezember in einen „Warnstreik“ zu treten. Die meisten, die diesen Aufruf verbreiten, scheinen allerdings keine Ahnung davon zu haben, was ein Streik bedeutet.

So schreiben etwa einige davon, an diesem Tag nicht einkaufen gehen zu wollen. Und FPÖ-Chef Herbert Kickl meint auf Telegram, es könne sich an diesem Tag ja „jeder Urlaub oder Zeitausgleich nehmen“. Mit einem Streik hat das allerdings schlicht überhaupt nichts zu tun. Parallel dazu ruft Kickl an diesem Tag um 13 Uhr zu Aufmärschen in allen Landeshauptstädten sowie in Wien auf.

Die Szene rund um Rutter ruft darüber hinaus zu einem nächsten Aufmarsch am 4. Dezember in Wien auf. Es wäre wenig überraschend, wenn die FPÖ hier ebenfalls wieder mit dabei wäre. [Update: Bei einer Pressekonferenz am 30. November hat Kickl bekanntgegeben, dass die FPÖ für den Aufmarsch aufrufen wird.]

Sind deshalb alle Marschierer Rechtsextreme?

Über alle Aufmärsche hinweg zeigt sich ein klares Bild. Organisiert und propagiert werden die Aufmärsche von allen Spektren der extremen Rechten: Von den neu entstandenen extrem rechten Corona-Gruppen über die FPÖ, Neofaschist*innen und Neonazis bis zu katholisch-faschistischen Gruppen.

All diese Gruppen können sich auf den Aufmärschen wie ein Fisch im Wasser bewegen. Es gibt keinen Widerstand gegen sie. Sie können dort ihre Propaganda verbreiten, sie können auf Bühnen und durch Megaphone sprechen und sie können trotz geringer Zahl mit ihrer organisatorischen Erfahrung das Bild der Aufmärsche prägen – etwa, indem sie sich mit ihren Bannern in die erste Reihe stellen und die Parolen vorgeben.

[Du kannst das folgende Banner wegklicken und danach weiterlesen. Du kannst über das Banner auch sehr gern künftige Recherchen mit Meinung und Haltung unterstützen.]

Das ist übrigens keine neue Entwicklung. Bereits zu Beginn der Pandemie zeigte sich, dass die extreme Rechte die Aufmärsche dominiert. Hier könnt ihr meine erste Analyse vom Mai 2020 lesen, wo ich beschreibe, wie sich bereits zu diesem Zeitpunkt die ersten einschlägigen Strukturen herausbildeten.

Wie ist das jetzt mit den Linken auf den Aufmärschen?

Alle relevanten linken Organisationen und Strukturen in Österreich lehnen die rechts-dominierten Corona-Aufmärsche eindeutig und klar ab. Es gibt keine linken Mobilisierungen zu diesen Aufmärschen. Journalist*innen und Medien, die anderes behaupten, sind entweder völlig ahnungslos und schreiben einfach irgendetwas – oder verfolgen bewusst die Agenda der sogenannten Hufeisen-Theorie.

Einzig einige völlig irrelevante Mini-Grüppchen hatten im Frühjahr versucht, auf diesen Aufmärschen zu intervenieren. In Wien war das etwa eine maoistische Gruppe mit einem Banner mit der Aufschrift „Volkswiderstand“ – die prompt Lob von Identitären-Gesicht Sellner bekam. Es gibt die maoistische Parole „Dem Volke dienen“. Es ist relativ eindeutig, welchem „Volk“ da gedient wurde. Dazu gibt es die Telegram-Gruppe „Freie Linke“, wo sich tatsächliche Schwurbler*innen treffen.

Schwurbler*innen fliegen raus

Einige Personen aus der Gruppe „Freie Linke“ beteiligen sich in Wien auch mit Fahnen an Aufmärschen – und marschieren somit dort hinter den Bannern der extremen Rechten her. Doch die Relationen sind eindeutig. In der österreichischen Gruppe sind, Stand 28.11., gerade einmal 317 Personen (und da sind Personen wie ich dabei, die zur Information mitlesen). Zum Vergleich: Martin Rutter folgen auf Telegram über 28.000 Personen. Und innerhalb der organisierten Linken ist diese Gruppe völlig isoliert – und wird auch rausgeworfen, falls sie versucht, aufzutreten.

So etwa bei einer linken Demo nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz vor dem Parlament in Wien, wo ich das persönlich beobachten konnte. Tatsächlich in relevanter Zahl präsent auf den Aufmärschen sind allerdings Personen, die optisch ins esoterische Eck passen.

Rechte Esoterik

Hier allerdings gibt es ein entscheidendes Missverständnis: Denn esoterisch zu sein, bedeutet noch lange nicht, links zu sein. Ganz im Gegenteil gibt es vielfältige Überschneidungen des esoterischen Milieus mit extrem rechten Inhalten. So wurde etwa bereits zu einem der ersten Corona-Aufmärsche in Graz am 23. Mai 2020 von einem Verein namens Studienkreis 5BN aufgerufen.

Dahinter verbergen sich Fans der sogenannten „Germanischen Neuen Medizin“ von Ryke Geerd Hamer – die in esoterischen Kreisen durchaus verbreitet ist. Dabei handelt es sich im Kern schlicht um antisemitische Tiraden. Konventionelle Krebstherapien werden abgelehnt, die Chemotherapie sei eine Erfindung und „Waffe“ von Jüdinnen und Juden.

Auch die in Österreich – und auch Deutschland – weit verbreitete Waldorf-Pädagogik von Rudolf Steiner ist ein gutes Beispiel für die Überschneidungen von Esoterik und rechten Milieus. In der Öffentlichkeit gelten die Steiner-Schulen gemeinhin als alternativ. Doch real war Steiner selbst ein überzeugter Rassist und völkischer Antisemit.

Alle, die teilnehmen, sind mitverantwortlich

Es wäre völlig falsch und verkürzt, alle Personen, die aktuell an diesen Aufmärschen teilnehmen, als extreme Rechte zu bezeichnen. Tatsächlich marschieren dort auch viele Personen mit, die subjektiv keine ideologischen Überschneidungen mit der extremen Rechten und mit Neonazis haben. Doch das ändert nichts an der objektiven Rolle, die sie aktuell spielen.

Alle Personen, die aktuell auf diesen Aufmärschen teilnehmen, akzeptieren, dass sie auf Aufruf extremer Rechter marschieren. Sie akzeptieren, dass sie gemeinsam mit Neonazis auf die Straße gehen und sich hinter den Bannern von Neofaschist*innen sammeln.

Aus dem Schutz der Masse dieser Aufmärsche heraus greifen extreme Rechte nicht nur Journalist*innen an, sondern alle, die ihnen nicht in ihre völkischen Bilder passen. So gab es nach verschiedenen Berichten beim letzten Aufmarsch in Wien sowohl antisemitische wie rassistische Übergriffe gegen umstehende Passant*innen. Und der Schutz der Masse, aus dem diese Angriffe heraus stattfinden können, wird von allen gebildet, die daran teilnehmen.

Schließlich wird die extreme Rechte von diesen Aufmärschen enorm profitieren. Die FPÖ als wichtigste Kraft der extremen Rechten in Österreich hat unter dem Eindruck der Massenmobilisierung einen bedeutenden strategischen Schwenk vollzogen. Bisher hatte die FPÖ immer nur auf Standkundgebungen gesetzt und das zumeist auch nur in Wahlkampf-Perioden. Auf solchen Kundgebungen hatte sie zu jedem Zeitpunkt die volle Kontrolle.

Nun organisiert die FPÖ laufend Aufmärsche. Mobilisiert wird für diese Aufmärsche in den einschlägigen Corona-Gruppen auf Telegram, wo extrem rechte Propaganda aktuell buchstäblich im Sekundentakt verbreitet wird. Dabei handelt es sich nicht nur um virtuelle Gruppen, hier sind faktische rechte Strukturen entstanden.

Mit diesen Aufmärschen hat die extreme Rechte insgesamt enorm an Selbstbewusstsein dazugewonnen – ein Selbstbewusstsein, das künftig wohl auch bei Aufmärschen zu anderen Themen zum Tragen kommen wird, etwa bei Mobilisierungen gegen geflüchtete Menschen. Und schließlich sind die Aufmärsche für neofaschistische und neonazistische Gruppen ein wichtiges Rekrutierungsbecken. Mitverantwortlich für all das sind alle, die heute an diesen Aufmärschen teilnehmen.

Aktualisiert um weitere Angaben über den Aufmarsch in der Steiermark.

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