In einem Wohnungslosen-Heim in Wien-Hietzing hat es einen Corona-Ausbruch gegeben. Ein Mitarbeiter erhebt nun schwerste Vorwürfe zum Krisenmanagement.

„Die Menschen rufen immer wieder, dass sie dringend einen Arzt brauchen. Doch es kommt niemand“, sagt Karl Mitterbauer*. Mitterbauer ist Mitarbeiter des Wohnungslosenheims in Wien-Hietzing, das seit Samstag unter Corona-Quarantäne steht. Mitterbauer (sein Name wurde auf seinen Wunsch geändert ) berichtet von ebenso katastrophalen wie gefährlichen Zuständen. „Die Versorgung mit Medikamenten ist nicht ausreichend gegeben. Es ist nicht einmal genug Essen da.“

Betroffen sind laut Mitterbauer „rund 190 bis 210 Menschen, genauer wissen wir es selbst nicht“. Das sind weit mehr als die 120 Menschen, von denen Medien bisher berichtet hatten. Andreas Huber vom Krisenstab der Stadt Wien sagt mir: „Vor der Quarantäne hielten sich dort rund 180 Personen auf, durch die Verlegung wurde die Personendichte reduziert.“ Auf eine genaue Zahl legt er sich trotz Nachfrage nicht fest. Hier könnt ihr lesen, was die Corona-Krise insgesamt für wohnungslose Menschen bedeutet.

„Besonders problematisch ist die Lage in einem Pavillon mit rund 120 Menschen, die unter Quarantäne stehen. Diese Menschen sind buchstäblich sich selbst überlassen“, sagt  Mitarbeiter Mitterbauer. Besonders problematisch: Unter den Quarantäne-Betroffenen befänden sich rund 60 Menschen mit Suchterkrankungen.

Kalter Entzug

Rund 20 dieser Menschen wären in einem Substitutionsprogramm, für sie würde es Medikamente geben. „Aber wir haben auch rund 40 Personen, die ebenfalls suchtgiftkrank sind. Sie sind aber nicht im Substitutionsprogramm.“ Für diese Betroffenen sei die Lage derzeit unerträglich. Sprecher Huber vom Krisenstab sagt dazu: „Die Versorgung mit Medikamenten ist sichergestellt.“

„Diese Menschen müssen aktuell einen kalten Entzug durchmachen, das ist das Schlimmste, was Du jemanden antun kannst“, sagt dagegen Mitarbeiter Mitterbauer in Hietzing. „Wir haben hier Menschen, die durch den kalten Entzug epileptische Anfälle bekommen – und es gibt keine ausreichende Hilfe.“

Schwer verletzt

Manche Menschen würden deshalb die Flucht versuchen: „Ein Mann im kalten Entzug hat versucht, sich mit zusammengeknoteten Bettlaken aus einem Fenster abzuseilen. Er ist mehrere Meter gestürzt und wurde schwer verletzt.“ Krisenstabs-Sprecher Huber bestätigt mir gegenüber diesen Unfall. Er geht dabei nicht auf die Frage ein, ob der Mann im kalten Entzug gewesen wäre. /…/

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Es gäbe auch Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, auch hier ohne ausreichende Betreuung, sagt Mitterbauer. „Wir bräuchten dringend ärztliche Hilfe, doch es passiert viel zu wenig.“ Auf meine diesbezügliche Anfrage hat der Krisenstab nicht geantwortet.

Bis Montagabend hätte es auch noch keine Corona-Testungen gegeben, obwohl das Haus seit Samstag unter Quarantäne steht. Andreas Huber sagt am Mittwochvormittag: „Es haben bereits Testungen stattgefunden. Diese werden aber nach Priorität aufgrund der Kontaktintensität durchgeführt.“

Zu wenig Essen

Es gäbe nicht einmal ausreichend zu essen. „Rund 50 Leute haben am Montag zu wenig Essen bekommen.“ Die Menschen hätten rebelliert, die Lage wäre nicht mehr unter Kontrolle gewesen. Laut Krisenstabs-Sprecher Huber würden die Menschen „ausreichend“ mit Essen und Trinken versorgt.

Doch auch das Boulevard-Blatt Krone hatte unter Berufung auf einen Bewohner bereits von zu wenig Essen berichtet. Das Haus ist laut Mitterbauer insgesamt für eine Quarantäne nicht gut geeignet.

„Wir hatten Zimmer mit bis zu acht Personen. Jetzt haben wir auf höchstens 4-Bett-Zimmer umgestellt. Doch es ist aussichtslos, irgendwelche Mindestabstände zu verlangen, das geht hier nicht.“ Auf meine diesbezügliche Anfrage hat der Krisenstab nicht geantwortet. Einmal mehr zeigt sich das Problem von Massenlagern, das bereits in Traiskirchen und in der Wiener Messe deutlich wurde.

Alle haben Angst

„Ich fühle mich schlecht, weil ich mir gut vorstellen kann, wie sich die Leute im Haus füllen müssen. Viele sprechen kein Deutsch. Die meisten müssen panische Angst haben und extrem verzweifelt sein“, sagt Mitterbauer. „Die Menschen sind eingesperrt, haben keine Medikamente und wissen nicht, was passiert.“ Auch für die MitarbeiterInnen sei die Lage extrem schwierig: „Wir sind in einer aussichtslosen Lage. Wir können uns nicht mehr vorstellen, dass es besser wird.“

Besonders betroffen in der aktuellen Corona-Krise sind jene gesellschaftlichen Gruppen, die schon zuvor besonders an den Rand gedrängt waren, etwa geflüchtete oder eben wohnungslose Menschen. Es ist völlig klar, dass in der aktuellen außergewöhnlichen Situation nicht alles reibungslos laufen kann. Dennoch muss über Missstände berichtet werden – das hilft auch dabei, den nötigen Druck aufzubauen, damit problematische Situationen möglichst schnell gelöst werden.

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