In der extremen Rechten wird das Zitat rauf- und runtergespielt: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus.‘ Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus.'“ Was steckt dahinter?
Wer schon einmal rechte soziale Medien oder einen rechten Aufmarsch beobachtet hat, hat den Spruch mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits gehört. Wenn der Faschismus heute wiederkehren würde, dann würde er nicht sagen: „Ich bin der Faschismus“. Stattdessen würde er sich nun verstecken und behaupten, er sei „der Antifaschismus“.
Auch der heutige FPÖ-Chef Herbert Kickl geht mit diesem Zitat hausieren. Bezeichnenderweise übrigens in einer Presseaussendung, wo er den Auftritt seines damaligen Chefs Heinz-Christian Strache am Ball der deutschnationalen Studentenverbindungen in der Wiener Hofburg rechtfertigen wollte. Der AfD-Abgeordnete Martin Sichert, ehemals bayerischer Landessprecher der Partei, lobt das Zitat auf Facebook für seine „große Weitsicht“.
Und Henryk M. Broder, Herausgeber des einflussreichen rechten Blogs „Achse des Guten“, wandelt den Ausspruch in der konservativen Welt einfach nur ein wenig ab: Der Antifaschismus ist für Broder „der Faschismus des 21. Jahrhunderts“. Das Zitat ist in einschlägigen Kreisen also ein Gassenhauer.
Ein beliebtes Zitat unter tatsächlichen Faschist:innen
Sehr gern wird diese Phrase heute verwendet, um zu behaupten, dass der neue Faschismus quasi von links kommen würde. Die Linke sei es nun, die freiheitseinschränkend wäre. Das konkrete Thema zu diesem Unsinn lässt sich dann beliebig auswechseln.
Einmal ist es die „Freiheit“ zur Verpestung der Umwelt in der Klimakrise. Dann die „Freiheit“ zur Ignoranz gegenüber geschlechtergerechter Sprache und den Rechten von Minderheiten. Oder auch die „Freiheit“ zur Hetze gegen gesundheitspolitische Maßnahmen.
Kein Wunder also, dass dieser Ausspruch am Höhepunkt der Corona-Pandemie in einschlägigen Kreisen sehr beliebt wurde. Mit dieser Phrase wurden dann sinnvolle Gesundheitsmaßnahmen wie Impfungen, das Einhalten von Abständen oder das Tragen von Schutzmasten attackiert.
Die geheimnisvolle Mutation
Und so mutierten die oft einschlägig rechtsextremen Organisator:innen der Aufmärsche über Nacht zu vermeintlichen Kämpfer:innen gegen den Faschismus. Als es nach dem Höhepunkt der Pandemie dann wieder mit den altbekannten Themen wie Rassismus oder Homophobie weiterging, blieb von diesem angeblichen Antifaschismus übrigens erwartungsgemäß wenig übrig. Doch woher kommt dieses Zitat überhaupt?
Zugeschrieben wird der Ausspruch dem Italiener Ignazio Silone – einem jahrzehntelang aktiven italienischen Linken. Und gerade das macht diesen Ausspruch für extreme Rechte so attraktiv. Silone ist quasi der „Kronzeuge“ von der „anderen Seite“. Das Problem: Es ist tatsächlich völlig unklar, was Silone tatsächlich gemeint hat – und ob die Sätze überhaupt jemals so gefallen sind.
Wer war Ignazio Silone?
Der am 1. Mai 1900 geborene Ignazio Silone hatte sich schon früh in der sozialistischen Bewegung politisiert, sein Geburtsname war übrigens Secondino Tranquilli. 1921 wurde der junge Sozialist am Gründungsparteitag in Livorno dann einer der Gründer der Kommunistischen Partei Italiens (KPI). Schnell übernahm er zentrale Funktionen in der jungen Partei.
Als der Faschismus in Italien ab 1922 an die Macht kam, kämpfte Silone auch noch im Untergrund gegen den Faschismus. Doch als nach der Stalinisierung in der Sowjetunion auch in der italienischen KP die Stalin-Fraktion die Macht übernahmen, begannen die Konflikte.
Vermutlich 1931 wurde Silone wegen seiner oppositionellen Haltung aus der Partei ausgeschlossen – und wendete sich in weiterer Folge angewidert von der KPI ab. Jahrzehnte später, im Jahr 1990, hat die damals bereits in Auflösung befindliche KPI Silones Ausschluss übrigens revidiert.
Wir wissen gar nicht, was Silone wirklich gesagt hat
Vom Exil in der Schweiz aus unterstützte Silone dann die Sozialdemokratie beim Untergrund-Widerstand gegen den Faschismus. Er leitete auch das Auslandszentrum der Sozialistischen Parteien der Schweiz. Gleichzeitig wurde Silone damals zu einem erfolgreichen Schriftsteller. In seinem späteren Leben näherte er sich auch dem Christentum an und starb schließlich 1978 in Genf. Doch für sein berühmt gewordenes angebliches Zitat gibt es eigentlich überhaupt keinen direkten Beleg.
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Denn den angeblichen Ausspruch über den neuen Faschismus hatte der Schweizer Essayist François Bondy erst 1988 veröffentlicht. Möglicherweise gab es eine erste Veröffentlichung Bondys schon im Jahr 1979, also ebenfalls bereits nach Silones Tod. Dazu schrieb Bondy, dass Silone ihm das an den Tag gesagt hätte, als er nach dem Sieg über den Faschismus aus dem Exil nach Italien zurückgekehrt wäre. Vermutlich war das im Oktober 1944.
Nicht im luftleeren Raum
Damit waren also bereits mindestens 35 Jahre vergangen, als Bondy die angebliche Aussage Silones zu Papier brachte. Allein das macht die Sache schon sehr schwierig. Es ist natürlich möglich, dass der Ausspruch tatsächlich so oder zumindest so ähnlich gefallen ist. Immerhin sollen die beiden befreundet gewesen sein, Bondy hätte keinen bekannten Grund gehabt, seinem Freund ein falsches Zitat umzuhängen.
Allerdings findet sich in einer sehr interessanten Diskussion zu diesem Zitat auf Wikipedia ein spannender Hinweis. Ein User, „KarlV“, hat sich ausführlich mit der Geschichte des Zitats auseinandergesetzt und schreibt, dass er auf einen Artikel von Bondy aus dem Jahr 1976 gestoßen wäre.
Eine zweite mögliche Version
Damals hätte Bondy noch geschrieben: „Das erinnerte mich an das, was Ignazio Silone 1945 kurz nach seiner Rückkehr aus seinem Zürcher Exil nach Italien sagte: ‚Der Faschismus von morgen wird niemals sagen: ‚Ich bin Faschismus‘. Es wird heißen: ‚Ich bin Antifaschismus.'“ Anfänglich hatte Bondy als Entstehungsjahr übrigens noch das Jahr 1945 angegeben, später schrieb er 1944.
Das Zitat könnte also tatsächlich eine Warnung an die italienische Nachkriegsgesellschaft sein: Vor alten Faschist:innen, die sich nun tarnen und verstecken würden. Dazu gleich noch mehr! Das würde das Zitat für extreme Rechte jedenfalls komplett unbrauchbar machen. Denn die kommen ja genau aus dieser Tradition.
Was wollte Silone eigentlich sagen?
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Ein großes Problem liegt damit auf dem Tisch: Wir haben tatsächlich überhaupt keine Ahnung, was Silone mit seinem Ausspruch überhaupt ausdrücken wollte. Dazu sind die Sätze viel zu isoliert.
Denn es gäbe noch eine weitere Möglichkeit: Silone wollte damit seine Gegnerschaft zum Stalinismus ausdrücken. Dafür gebe es immerhin einige Hinweise. Bereits 1936 hatte er in einem offenen Brief die stalinistischen Schauprozesse gegen bolschewistische Führungsfiguren wie Sinowjew, Kamenjew, Bucharin, Radek und viele andere angeprangert. Der Brief wurde damals in der Baseler Arbeiter-Zeitung abgedruckt.
Silones Abrechnung mit dem Stalinismus
Silone kritisierte in seinem Brief, wie die stalinistische Führung den Antifaschismus instrumentalisierte, um ihre politischen Gegner:innen als „fünfte Kolonne des Faschismus“ zu diskreditieren. Der Brief ging an die in Moskau erscheinende Exilzeitschrift „Das Wort“, die von Bert Brecht und Leon Feuchtwanger herausgegeben worden war. Feuchtwanger hatte Stalin und die Schauprozesse eindeutig verteidigt, auch Brecht hatte sich auf Stalins Seite geschlagen.
Silone dagegen schrieb, was aus seiner Sicht zum Kampf gegen den Faschismus vor allem notwendig wäre: „Eine völlig andere Sichtweise auf das Leben und die Menschen“, als ihn die Stalinist:innen predigten. Denn sonst, so Silone, „würden wir selber Faschisten werden, meine lieben Freunde, nämlich: rote Faschisten! Nun, was ich Ihnen ausdrücklich erklären musste, ist, dass ich mich weigere, ein Faschist zu werden, und wenn es auch ein roter Faschist wäre“.
Es ist ein Zitat, das in seiner Zeit gesehen und verstanden werden muss: Als scharfe Anklage gegen den Stalinismus. Das Thema wird Silone auch später beschäftigen, etwa in seinem Buch „Die Schule der Diktatoren“. Darin analysiert er Faschismus, Nationalsozialismus und Stalinismus aus seiner Sicht. Und dann gibt es auch noch eine weitere Deutung.
War es eine Warnung für die Nachkriegsgesellschaft?
Der Ausspruch von Silone könnte eine Mahnung zur Wachsamkeit für die Nachkriegsgesellschaft sein. Denn nach 1945 wechselten in Italien – genauso wie in Österreich und Deutschland – viele Faschist:innen und Nazis einfach nur die Partei.
Viele von ihnen gaben sich danach offiziell – mehr oder weniger – antifaschistisch, ihre tatsächliche politische Ideologie aber mussten sie nicht ändern. In Italien etwa blieb der Staatsapparat nahezu unangetastet. Die Nachfolgepartei der Faschist:innen, die MSI (Soziale Bewegung Italiens) wurde bereits 1946 gegründet. Und deren Nachfolger, die „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens), stellen aktuell mit Giorgia Meloni die italienische Ministerpräsidentin. Auch vor solchen Entwicklungsmöglichkeiten könnte Silone also gewarnt haben.
Wie rechte Kreise dieses Zitat instrumentalisiert haben
Auffällig allerdings ist, wie sich dieses Zitat im deutschsprachigen Raum verbreitet hat. Erstmals soll es im Jahr 2009 über einschlägig rechte Accounts verbreitet worden sein, wie der bereits erwähnte Faktenchecker „KarlV“ schreibt.
Erstmals auf Twitter wird der Propaganda-Spruch am 6. Juli 2009 gepostet… pic.twitter.com/tGOoV3gvG8
— Faktencheck KarlV (@FKarlv) September 1, 2021
„KarlV“ schreibt auch, dass das Zitat dann ab 2012 vor allem über die extrem rechte Seite Metapedia verbreitet worden sei, einen einschlägigen Wikipedia-Klon. Als Quelle sei dort eine Ausgabe der extrem rechten Zeitschrift Nation Europa aus dem Jahr 2009 angegeben worden.
Was ebenfalls sehr auffällig ist: Zum hundertsten Geburtstag von Silone erschienen im Frühjahr 2000 in wichtigen deutschsprachigen Medien mehrere Artikel über den Italiener. Etwa in der Welt und der FAZ, beides wichtige konservative Blätter. Doch das angeblich so berühmte Zitat Silones wird im Jahr 2000 noch nirgends erwähnt. Kaum denkbar, dass die Autoren darauf verzichtet hätten, wenn sie den angeblichen Ausspruch damals bereits gekannt hätten.
Was wir nicht wissen – und was wir wissen
Zusammengefasst: Wir wissen heute nicht einmal, ob das Zitat in irgendeiner Form authentisch ist. Wir wissen nicht, was Silone tatsächlich gesagt hat. Und schließlich wissen wir auch nicht, was er damit ausdrücken wollte. Es gibt allerdings deutliche Hinweise, dass extrem rechte Kreise dieses mögliche Zitat sehr bewusst ausgegraben haben.
Und was wir auf jeden Fall wissen: Als vermeintlicher Zitatgeber für extreme Rechte taugt der antifaschistische Widerstandskämpfer Ignazio Silone mit Sicherheit nicht.
Ergänzt um Informationen über den MSI und die Fratelli d’Italia.
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