Die ehemalige Grünen-Chefin Madeleine Petrovic tritt mit eigener Liste zur Nationalratswahl an. Sie profitiert von einem scheinbar fortschrittlichen Image. Doch tatsächlich vertritt ihre neue Partei zahlreiche Positionen der einschlägigen Verschwörungsszene.
Über viele Jahre war Madeleine Petrovic in Österreich das Gesicht der Grünen Partei. Und die frühere grüne Bundessprecherin galt in den 1990er Jahren auch als engagierte Antifaschistin. Damals habe auch ich sie kennengelernt, hin und wieder haben wir miteinander gesprochen. Inzwischen gibt sie der extrem rechten Plattform „Info Direkt“ ausführliche Interviews und tritt mit einer dubiosen Verschwörungsliste bei der Nationalratswahl an. Was ist da passiert?
Bei den Grünen legte die heute 68-jährige Petrovic einst eine Blitz-Karriere hin. 1986 dockte sie bei der damals noch jungen grünen Partei in Wien-Döbling an, bereits im November 1990 zog sie ins Parlament ein. Bei den Nationalratswahlen 1994 und 1995 war sie dann bereits Bundessprecherin und Spitzenkandidatin der Partei.
Bundesweit ging es zwar nach Wahlniederlagen für Petrovic bergab, doch in Niederösterreich blieb Petrovic noch bis 2013 grüne Klubobfrau im Landtag. Vor allem während ihrer Zeit im Parlament galt Petrovic auch als Politikerin, die offen für antifaschistische Anliegen war. Doch eigentlich hätten schon sehr bald viele Alarmglocken klingeln müssen.
„Der gute Mensch von Döbling“?
Das grüne Monatsmagazin „Impuls“ brachte im September 1993 ein ausführliches Porträt über die frühe Madeleine Petrovic. Der Titel: „Ernst und Engagement. Die Verantwortung der Madeleine Petrovic“. Die damalige grüne Abgeordnete wurde als „der gute Mensch von Döbling“ dargestellt.
Schon damals behauptete Petrovic in einem Interview in der Parteizeitung, das „Rechts-Links-Schema“ wäre „überhaupt nicht mehr zu halten“. Es ist ein fast klassischer Ansatzpunkt, um später selbst abzudriften. Doch in diesem frühen Porträt fand sich noch ein anderer sehr bezeichnender Hinweis. Denn dort wurde auch eine Ärztin interviewt, die ihre Motivation erklärte, für die Grünen zu kandidieren.
Petrovic hätte sie persönlich auf die Möglichkeit einer Kandidatur aufmerksam gemacht, die grüne Nachwuchspolitiker wäre ein „Vorbild“ für sie. Und gleichzeitig behauptete die Ärztin dann auch, es würde „an alternativen Ansätze zur Schulmedizin“ mangeln [Grammatik im Original]. Der Begriff „Schulmedizin“ ist in esoterischen Kreisen sehr beliebt. Damit wird suggeriert, dass es neben der anerkannten und durch Studien belegten Medizin noch eine Art geheime Zweit-Medizin geben würde. Und das wiederum passt perfekt zu Petrovic.
Petrovic und die „Germanische Neue Medizin“
Denn bereits als grüne Klubobfrau trat Petrovic 1995 bei einer Diskussion in der ORF-Sendung Help TV auf. In der Sendung ging es um die irrwitzigen Positionen des deutschen Verschwörungsideologen und Antisemiten Ryke Geerd Hamer. Und Petrovic unterstützte den 2017 verstorbenen Hamer. Christian Kreil, ein langjähriger Beobachter der medizinischen Verschwörungsszene, beschrieb den bizarren Auftritt später so: Petrovic wäre „devot und hingerissen einem ganz besonders charismatischen Guru zur Seite“ gestanden: Dem „Sektenführer Ryke Geerd Hamer“.
Hamer war in Deutschland bereits 1986 die Approbation entzogen worden, also die Erlaubnis, als Arzt praktizieren zu dürfen. Mit guten Gründen, denn immer wieder mussten Menschen sterben, die Hamers Unsinn glaubten. In Östereich ging es dann 1995 um den sogenannten „Fall Olivia“, der durch alle Medien ging. Das neunjährige Mädchen Olivia P. war an Krebs erkrankt, ihre Eltern verweigerten ihr die nötige Behandlung. Stattdessen setzten sie auf die wirren Thesen von Hamer und dessen „Germanische Neue Medizin“ (GNM). Der einschlägige Name ist Programm.
Denn Hamer benützte das Leid krebskranker Menschen für antisemitische Verschwörungspropaganda. Seine Ablehnung der Chemotherapie „begründete“ Hamer etwa damit, dass sie eine jüdische Erfindung sei: „Sie [die Juden] möchten nicht, dass der Rest der Welt überlebt.“ Deshalb seien „zwei Milliarden Menschen mit Chemotherapie umgebracht worden“. Das ist selbstverständlich kompletter Müll.
ORF-Moderatorin als Stichwortgeberin
Diese Ausgabe von Help TV (die heute noch auf einem Hamer-Kanal auf YouTube abrufbar ist), ist übrigens noch auf anderer Ebene bemerkenswert. Denn ORF-Moderatorin Barbara Stöckl gibt teils die Stichwortgeberin für Petrovic.
Es gäbe zwar „Erfolge auf Seiten der Schulmedizin“, die seien „nicht wegzudiskutieren“, so Stöckl. Doch sie behauptet auch, die „Autorität“ der „Schulmedizin“ wäre „angeschlagen“. Und dann fragt sie Petrovic, ob „alternativen Methoden“ wie der „Lehre des Doktor Hamer“ nicht eigentlich „ein entsprechender Rechtsstatus zukommen“ solle. Zur Erinnerung: Hamer durfte damals in Deutschland schon lange nicht mehr als Arzt auftreten.
Und, welche Überraschung, Petrovic nimmt den Gedanken dankbar auf – und benützt den Auftritt auch gleich dazu, Zweifel „in der Frage des Impfens“ zu säen. So behauptet sie etwa, sie wäre beim Impfen auf „große Ungereimtheiten gekommen“. Es ist ein früher Spiegel der späteren Behauptungen aus der Corona-Szene.
Todesschips per Satellit
Auch im Parlament standen Petrovic und die damaligen Grünen auf Hamers Seite. 1995 stellte die Partei sogar eine parlamentarische Anfrage, ob sich das Gesundheitsministerium nicht mit Hamers Thesen auseinandersetzen wolle. Petrovic selbst wäre laut dieser Anfrage mit „etlichen PatientInnen“ in Kontakt, die „ihren überzeugenden Angaben zufolge jedoch aufgrund der Hamerschen Aussagen umfassend geheilt werden konnten“.
Was die wirren Behauptungen Hamers in der Praxis tatsächlich bedeuteten, soll hier nur an einem tragischen Fall aus dem Jahr 2010 geschildert werden: Dem der damals zwölfjährigen Susanne aus dem süddeutschen Allgäu. Hamer hatte behauptet, sie hätte gar keinen Krebs, sondern nur einen unbewältigten „Wasserkonflikt“ und wäre eigentlich gesund. Wenige Monate später starb die zwölfjährige Susanne an einem Tumor.
Journalist:innen der ARD fuhren danach nach Norwegen, konfrontierten Hamer mit der Situation. Der lieferte daraufhin im Interview abstruse Behauptungen und offenbarte gleichzeitig erneut seine zutiefst antisemitische und verschwörungsideologische Agenda: Im Krankenhaus sei dem Mädchen ein Todeschip implantiert worden. Und Chips wie dieser hätten „Giftkammern und können per Satellit ausgelöst werden“.
Mit Corona taucht Petrovic aus der Versenkung auf
Nachdem sich die grüne Spitzenpolitikerin 2018 auch aus dem niederösterreichischen Landtag verabschiedete, verschwand sie erst mal kurz in der Versenkung und kümmerte sich vor allem um Tierschutz-Agenden. Doch in der Corona-Pandemie tauchte Petrovic auf einmal wieder am politischen Radar auf. Im November 2021 wurde bei einer Kundgebung der inzwischen weitgehend zerfallenen Corona-Partei MFG eigens eine „Grußbotschaft“ von ihr verlesen.
Sie würde bedauern, dass es „keine fundierten öffentlichen Debatten“ zu „naturwissenschaftlichen Fragen“ und „langfristigen Gefahren“ gäbe, hieß es damals in einer Textfassung, die der Standard veröffentlichte. Dann folgten noch die aus der Szene bekannten Behauptungen über „Impfschäden samt „dubioser Machenschaften“. Die niederösterreichischen Grünen wollten übrigens überraschenderweise darin kein Problem erkennen. Petrovic bliebe eben „ihrer Linie treu, ein wachsamer, kritischer Geist zu sein“, so Landessprecherin Helga Krismer.
„Grüne gegen Impfpflicht und 2G“
Spätestens in dieser Zeit begann Petrovic erneut, sich politisch zu engagieren. Bei einer Pressuregroup grüner Schwurbler:innen unter dem Titel „Grüne gegen Impfpflicht und 2G“. Nachdem aber wohl irgendwann klar wurde, dass es bei den Grünen keine Chance auf eine Mehrheit geben würde, trat der Verein immer unabhängiger auf. Und auch die Grünen distanzierten sich. Doch genau aus dieser Gruppe ist nun die „Liste Madeleine Petrovic“ (LMP) entstanden.
Ein Teil der Impfpflicht-Truppe würde bereits „seit 1,5 Jahren an der Parteigründung“ arbeiten, heißt es in einer Pressemappe anlässlich der Gründung der LMP im Mai 2024. Die Initiative selbst würde parallel weiter bestehen und „markiert stets unsere Basis“. Das zeigt sich auch bei den LMP-Kandidat:innen.
Insgesamt sechs Personen werden auf der Seite der LMP namentlich genannt. Bei der Hälfte wird eigens die Aktivität bei der Grün-Abspaltung erwähnt, die sich inzwischen offiziell „Grüner Verein für Grundrechte und Informationsfreiheit“ (GGI) nennt. Dazu kommt mindestens noch Petrovic selbst, wo die GGI-Aktivitäten nicht eigens erwähnt werden.
Beachtlich ist dabei übrigens, dass die Verbindungen zur Grünen Partei bis heute offenbar nicht gänzlich gekappt sind. So tritt etwa Stefan Haring als steirischer Kontaktmann der LMP auf. Und der wird gleichzeitig auf der Seite der Grünen-Vorfeldorganisation „Grüne Wirtschaft“ weiterhin als Funktionär geführt.
Russland und die Ukraine: „Verrückt“ und „absurd“
Und dann gibt es noch einen weiteren Proponenten der Liste Madeleine Petrovic, dessen Positionen ebenfalls für Aufmerksamkeit sorgen sollten: Harald Haas, ein Hofrat im österreichischen Verteidigungsminister und Wissenschaftler an der Landesverteidigungsakademie Wien. Im Klartext: Ein Mann, der für die Ausbildung österreichischer Soldat:innen verantwortlich ist.
Besonders beachtlich ist ein Beitrag von Haas für die „Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik“, aus dem der Falter zitiert. Laut Haas hätte der russische Diktator Wladimir Putin „in den letzten Jahrzehnten bewiesen, dass er nicht nur Charisma und den Willen zur Macht besitzt, sondern auch einen starken und ausdauernden Willen“. Der rechte Kreml-Chef sei geprägt durch „Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß“ und man könne ihm nicht vorwerfen, „dass er von den Aggressionen des Westens, allen voran der USA, gelernt hat“. Und der russische Krieg gegen die Ukraine sei doch eine „Intervention“ und „Spezialoperation“.
Die Propagandaabteilung des Kremls hätte es vermutlich nicht schöner formulieren können. Sogar der umstrittene Sprecher des österreichischen Verteidigungsministeriums, Michael Bauer, hält den Text für „verrückt“ und „absurd“. Doch es passt perfekt in die Linie der einschlägigen Corona-Szene. Bei Aufmärschen konnte ich etwa regelmäßig russische Fahnen dokumentieren.
Die Themen der Verschwörungsszene
Das konkrete Programm der Liste Petrovic ist auf vielen Ebenen noch reichlich unklar. Auf der Seite finden sich nur wenige Informationen, viele davon in einem Text mit dem Titel „Liste Madeleine Petrovic antwortet“ vom Juli 2024. Und dort werden dann zahlreiche Themen durchdekliniert, zu denen die einschlägigen Verschwörungsszene seit langem agitiert. Von kritischen Worten zur Weltgesundheitsorganisation WHO über trans*-Rechte („viel zu ideologisch diskutiert“) bis zum Lob des Bargelds ist alles dabei.
Und selbstverständlich wird auch das Thema Corona rauf- und runtergespielt. So wird etwa behauptet, dass die Corona-Maßnahmen „verfassungswidrig“ und „sinnlos“ gewesen seien. Beides ist nachweislich falsch. Noch eindeutiger wird es dann bei zahlreichen wirren Behauptungen der „Grünen gegen Impfpflicht“.
Die behaupten in einer Presseaussendung im Juli 2023 etwa ernsthaft, die Herkunft von Covid sei die „Geschichte einer Vertuschung“. Schwurbeln darüber, dass Masken keinen nennenswerten Schutz gebracht hätten. Oder veröffentlichen einen Text mit der Behauptung, dass die Impfung „nicht Millionen Leben gerettet habe“. Auch das ist falsch.
Einzig beim Thema Migration werden wohl nicht alle Figuren aus der Szene glücklich sein, denn da werden von der LMP zumindest offen rassistische Positionierungen vermieden. Beachtlich ist dagegen, mit wem die Liste für ihre Textsammlung „Liste Madeleine Petrovic antwortet“ zusammengearbeitet hat. Denn tatsächlich sind es Antworten auf eine Anfrage der verschwörungsideologischen Plattform TKP.
Ist die Liste Petrovic für extreme Rechte wählbar?
Mit den sogenannten „alternativen Medien“ haben Petrovic und Co überhaupt eine enge Verbindung. So gibt es offenbar gute Kontakte zur dubiosen Corona-Zeitschrift „Die Krähe“. Deren Chefredakteurin, Liza Ulitzka, trat etwa im Juni bei einer Veranstaltung der Liste Petrovic in Linz auf. Und sogar nach ganz Rechtsaußen gibt es keinerlei Berührungsängste. Das zeigte sich etwa bei einer Pressekonferenz der Liste am 27. Juni in Linz.
Das ist der Aufmarsch der Corona-Leugner*innen heute auf der Ringstraße in Wien: Eine russische Fahne und eine Fahne des deutschen Reichs, die zwei Fahnen des antisemitischen Qanon-Kults überragen. Es sind extrem rechte Aufmärsche. Nicht mehr. Nicht weniger. #w2602 pic.twitter.com/upabjxd257
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) February 26, 2022
Während Petrovic und die anderen Kandidatinnen sprechen, stehen vor ihnen vier Mikrofone. Allesamt von Plattformen der verschwörungsideologischen und weit rechten Szene: Vertreten sind Auf1, Info Direkt, RTV sowie Report24. Rund um die Pressekonferenz geben mehrere Vertreterinnen der LMP der extrem rechten Plattform „Info Direkt“ dann sogar mehrere persönliche Interviews. Es gibt hier also keinerlei Abgrenzung. Die einschlägige Plattform verbreitet diese Interviews dann bezeichnenderweise unter dem Titel „Ist die ‚Liste Madeleine Petrovic‘ für Patrioten wählbar?“ Es passt ins Bild.
Rechtsaußen-Plattformen sorgen für die Reichweite
Info Direkt startete sein Erscheinen 2015 mit der Forderung „Wir wollen einen wie Putin“ auf dem Titelbild. Redaktions-Aushängeschild Michael Scharfmüller war einst beim „Bund freier Jugend“ (BfJ), einer heute nicht mehr aktiven Rechtsaußen-Truppe. Laut einem mir vorliegenden Gutachten des Verfassungsrechtlers Heinz Mayer wären Artikel der einstigen BfJ-Publikation „Jugend Echo“ sogar „klar“ als nationalsozialistische Wiederbetätigung „im Sinne der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu qualifizieren“ gewesen. Vom Vorwurf der NS-Wiederbetätigung wurde Scharfmüller freigesprochen. Für Petrovic und Co ist Info Direkt dennoch ein Gesprächspartner.
Jetzt Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen!
Und das ist wohl kein Betriebsunfall, wie er auf einer Pressekonferenz schon mal passieren kann. Im Juli 2024 kommt Petrovic dann sogar eigens ins Fernseh-Studio des extrem rechten Verschwörungssenders AUF1 und diskutiert dort mit MFG-Obmann Joachim Aigner. Die Plattform AUF1 wurde von Stefan Magnet gegründet – einst übrigens ein Kamerad von Scharfmüller beim BfJ.
Das Playbook von Donald Trump
Und bei AUF1 geht es dann sofort eindeutig los. So jammert Moderator Nicolas Schott bereits beim Einstieg ins Gespräch über ein angebliches „globalistisches Establishment“. Der Begriff wird in der äußersten Rechten gerne als Chiffre verwendet. Viele erinnert er wohl nicht zufällig an die Parole von den vermeintlich mächtigen, doch angeblich „heimatlosen Juden“. Dann verbreitet Schott auch noch Zweifel über die seiner Meinung nach „umstrittene Briefwahl“ und behauptet diesbezügliche „Gerüchte über Unregelmäßigkeiten“. Es ist exakt das Playbook von Donald Trump und Co.
Schott ist übrigens gleichzeitig auch Chefredakteur der Plattform RTV aus dem oberösterreichischen Steyr. Und im Anschluss an die Sendung darf dann Report24-Mann Florian Machl seinen Senf zur Debatte beitragen. Da bleibt alles in der Verschwörungs-Familie.
Petrovic klagt beim Verschwörungssender AUF1 über angebliche „Zensur“
Du kannst das folgende Banner mit einem Klick auf das X wegdrücken und weiterlesen! Oder Du kannst davor noch Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen!
Doch zuvor ist noch Petrovic am Wort. Gleich zum Einstieg wird sie gefragt, was sie von den Begriffen links und rechts halten würde. Ihre Liste würde zwar als „eher links eingeschätzt“ so Petrovic. Aber diese Begriffe seien „mittlerweile sehr verwaschen“. Die Aussage erinnert frappant an ihr frühes Impuls-Interview. Unmittelbar danach geht es um das (inzwischen aufgehobene) Verbot der extrem rechten Zeitschrift Compact in Deutschland.
In den Worten von Moderator Schott: Das „patriotische, regierungskritische Compact-Magazin“. Dann will Schott in dramatischen Worten wissen, ob auch in Österreich eine „Zensurwut“ drohen würde, vor allem für AUF1. Petrovic weiß offenbar genau, was AUF1-Seher:innen hören wollen. Ihre Antwort: „Bis zu einem gewissen Grad haben wir ja schon eine Zensur.“ Zum Compact-Magazin dagegen findet sie kein Wort der Abgrenzung.
Keine Abgrenzung zur FPÖ
Apropos Abgrenzung: Auch die Interviews der LMP für „Info Direkt“ sind äußerst aufschlussreich. Bereits in seiner Frage an Petrovic-Kandidatin Nora Summer präsentiert „Info Direkt“-Gesicht Scharfmüller seine einschlägigen Parolen. Er will von Summer wissen, wie die neue Partei zum Thema Migration stünde. Bei ihm klingt das so: „Ist das dann eher Willkommensklatschen oder Grenze schließen, Remigration?“ Die Schlagseite ist eindeutig: „Willkommensklatschen“ und „Remigration“ sind typische Kampfbegriffe der äußersten Rechten.
Summers Antwort: Die LMP würde zwar „auf keinen Fall“ für „Mauern“ stehen. Doch sie beginnt ihre Antwort damit, dass die Liste „ganz bewusst“ sehen würde, dass es bei der Migration „Probleme“ gäbe. Die Propaganda-Begriffe von Scharfmüller weist sie nicht offensiv zurück. Und Petrovic ergänzt: Ihre Truppe stünde zur FPÖ zwar „auch in einer Konkurrenz“, doch, so Petrovic: „Wir reden mit der FPÖ, so wie wir mit allen Parteien reden würden“.
Das hätte sie auch in der Vergangenheit getan. So hätte sie selbst etwa einst mit dem früheren FPÖ-Minister und schlagenden Verbindungsstudenten Herbert Haupt „etliche Themen“ sogar „sehr gut besprechen können. Sie würde zwar „sicher nicht in allen Punkten mit der FPÖ übereinstimmen“, so Petrovic. Aber: „In den Punkten, in denen wir übereinstimmen, ja warum sollten wir das nicht auch laut sagen“. Eine klare Distanzierung von den extrem rechten Blauen sieht anders aus.
Die Klimakrise als „Weltuntergangs-Szenarien“
Und noch auf einer weiteren Ebene marschiert die Liste Petrovic im Gleichklang mit der verschwörungsideologischen Szene. Auf der Seite der LMP heißt es ernsthaft: „Weltuntergangs-Szenarien durch eine Klimakrise im 21. Jahrhundert und dass der Klimawandel ausschließlich menschengemacht und durch CO2 / Treibhausgase verursacht wäre, halten wir für eine einseitige und unsachgemäße Betrachtung.“ Dazu gäbe es „Denk- und Berechnungsfehler“. Wissenschaftlich ist das selbstverständlich völlig verkürzt und damit unhaltbar.
Die Klimakrise ist inzwischen buchstäblich eine Gefahr für den Fortbestand der Menschheit. Hier habe ich für Dich aufgeschrieben, welche Städte und Regionen bald im Meer versinken werden. Doch für eine ehemalige grüne Bundessprecherin ist das doch sehr überraschende Position. In einem Interview mit der ZIB2 versucht Petrovic dann, bei diesem Thema abzulenken.
Menschen würden zwar „wahrscheinlich das großräumige Klima“ beeinflussen, gibt sie zu. Doch „die Folgerungen“, die daraus gezogen würden, wären falsch. Ins gleiche Horn stößt LMP-Kandidatin Monika Henninger-Erber gegenüber „Info Direkt“: „Wir sprechen nicht vom Klimaschutz, wir verstehen auch Menschen, die fragen beim Klima, was schützen wir da, wie sollen wir das schützen.“
Henninger-Erber war laut Kurier übrigens noch im Mai 2024 Grün-Gemeinderätin im niederösterreichischen Grafenegg, inzwischen wurde ihr Eintrag allerdings von der Seite der grünen Ortsgruppe entfernt.
Diffamierung der Sexualaufklärung in den Schulen
Und auch ein weiteres Thema fällt bei den Interviews mit der Rechtsaußen-Plattform „Info Direkt“ auf: Der Umgang mit der Aufklärung für Kinder und Jugendliche. Konkret das angebliche Thema „Frühsexualisierung“, da hätte sie „eine ganz klare Haltung“, so LMP-Kandidatin Nora Summer. Sie wolle nicht, „dass den Kindern was aufgezwungen wird“. Sie fände „Aufklärung sehr wichtig, aber wann sich Kinder was aneignen“, diese „Freiheiten müssen bei den Kindern bleiben“. Das Interview ist an dieser Stelle geschnitten, doch offensichtlich nimmt sie eine Frage von Scharfmüller auf.
Sicher ist allerdings: „Frühsexualisierung“ ist ein einschlägiger Propagandabegriff der äußersten Rechten. Er wird verwendet, um Sexualaufklärung in Schulen zu diffamieren. Scharfmüller kann also auch hier den Ton vorgeben, er wirft in seinen Fragen dazu einschlägige Begriffe wie „LGBTQ-Ideologie“ in den Raum. Und LMP-Kandidatin Summer nimmt die Stichworte dankbar und ohne jeden Widerspruch auf. Ganz im Gegenteil.
Angriffe gegen die LGBTI+-Community
So fragt Rechtsaußen-Scharfmüller etwa wörtlich: „Da gibt es ja viele, die sagen, da muss man Toleranz erziehen in der Schule schon und darum ist die LGBTQ-Ideologie in den Schulen schon so wichtig, sehen Sie das dann nicht so?“
Und was macht die angeblich grün-bewegte LMP-Kandidatin? Sie stimmt ihm komplett zu. Ihr Statement im Wortlaut: „Nein, ich sehe das nicht so. Ich sehe, ich bin überhaupt eine Verfechterin von Freiheit der Kinder und das heißt, dass sie überhaupt nichts aufgezwungen werden sollen, sie sollen sich frei entscheiden, sie sollen tolerant sein, aber richtige Toleranz heißt, ich schau mich viel an, aber ich schaue es mir dann an, wenn ich bereit dafür bin.“
Ein Angriff auf die Sicherheit von Kindern
Durchgedacht sind all diese Aussagen eine komplette Katastrophe. Logischerweise können Kinder nicht selbst entscheiden, wann sie sich aufklären sollen. Denn dazu fehlt ihnen ja genau das grundlegende Wissen. Stellen wir uns vor, jemand würde solche abstrusen pseudo-pädagogischen Konzepte auf das Lesen, Schreiben oder Rechnen umlegen.
Und es gibt noch ein weiteres, riesiges Problem: Bereits in den Volksschulen werden heute Pornos herumgeschickt, das führt bei Kindern zu einem völlig falschen Bild von Sexualität. Wer nun aber die Aufklärung in den Schulen zurückdrängen will, lässt die Kinder mit diesen Zerrbildern alleine zurück. Und schließlich ist frühzeitige und altersgerechte Aufklärung von Kindern auch ein zentrales Instrument im Kampf gegen Missbrauch und Übergriffe.
Wenn ein Kind gelernt hat, Nein zu sagen, ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper hat und auch die eigenen Körperteile ohne Scham benennen kann, wird es wesentlich eher bereit sein, einen möglichen Übergriff zu berichten. Die LMP nimmt stattdessen offenbar lieber die Stichworte der extremen Rechten auf.
Welche Chancen hat die LMP bei der Nationalratswahl?
Wie die Liste Petrovic bei den Wahlen Ende September abschneiden wird, ist derzeit noch völlig ungewiss. Aktuell rangiert die LMP in Umfragen meist unter „Sonstige“. Und gerade bei kleinen Parteien sind Umfragen ohnehin oft schwierig: Es ist gar nicht so einfach, bekennende Wähler:innen zu finden. In einer Lazarsfeld-Umfrage von Ende Juni für die Boulevard-Plattform Ö24 (2.000 Befragte, 24.6.-25.6., max. Schwankungsbreite 2,2%) wird die LMP mit 1 Prozent ausgewiesen. Doch die Umfrage ist älter und, wie gesagt, mit Vorsicht zu genießen. Dennoch wäre es sehr überraschend, wenn die LMP ins Parlament einzieht.
Dafür gibt es vor allem drei Gründe: Corona ist auch für viele früher Empörte heute nur noch ein Randthema. Mit der MFG kandidiert in sieben von neun Bundesländern noch eine zweite Schwurbel-Partei. Die beiden Listen werden sich gegenseitig kannibalisieren. Und vor allem: Die FPÖ wird den Großteil der einschlägigen Stimmen abstauben. Warum zum Schmiedl gehen, wenn es einen Schmied gibt?
Sinnloses Kuscheln
Dagegen dürften nicht einmal Kuschel-Interviews mit der extremen Rechten helfen. Zumindest wenn es nach den Kommentaren auf dem YouTube-Kanal von „Info Direkt“ geht. Grüne seien „für Patrioten sicher nicht wählbar“, meint ein User. Ein anderer schreibt von der „Liste Üblicher Sch….“. Und ein dritter beschimpft Petrovic wüst sexistisch und behauptet anschließend in Blockbuchstaben, dass doch ohnehin nur „Volkskanzler Kickl“ wählbar sei.
Dennoch sollte die Bedeutung der LMP auch nicht gänzlich unterschätzt werden. Denn sie zeigt exemplarisch, wie bestimmte – meist esoterisch geprägte – Grün-Milieus sich in der Corona-Pandemie entwickelt haben. Und dass sie inzwischen die Stichworte der äußersten extremen Rechten aufnehmen und verbreiten. Und das sollte eine deutliche Warnung sein.
Diese Recherche war viel Arbeit. Wieviel ist Dir guter Journalismus wert?
Standpunkt.press wird ausschließlich über Deine Spenden finanziert. Schon ab fünf Euro kannst Du einen wichtigen Beitrag leisten. Und wenn Du standpunkt.press künftig monatlich unterstützt, können in Zukunft noch viel mehr Recherchen erscheinen. Vielen Dank!
• Spendenkonto – monatlich/einmalig:
IBAN: AT64 1420 0200 1026 2551
BIC: BAWAATWW
Easy Bank, 1100 Wien
Kontoinhaber: Michael Bonvalot
(Bitte die Mailadresse als Verwendungszweck, damit ich Dich bei technischen Fragen erreichen kann!)
• Kreditkarte und Paypal – monatlich/einmalig:
• Steady – monatlich: Klick hier für Steady!
[Steady zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]
• Patreon – monatlich: Klick hier für Patreon!
[Patreon zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]
Vielen Dank für Deine Unterstützung!